Italien: Statt Übergangsregierung Neuwahlen im Visier

Italien: Statt Übergangsregierung Neuwahlen im Visier
Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella.

Rom –  Der designierte italienische Ministerpräsident Carlo Cottarelli erwägt Parteikreisen zufolge, auf die Bildung einer Übergangsregierung zu verzichten. Damit würde er den Weg zu Neuwahlen am 29. Juli ebnen, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag aus Parteikreisen. 

Für einen solchen Schritt müsste Präsident Sergio Mattarella in den kommenden Tagen das Parlament auflösen. Bei einem Urnengang Ende Juli würde der jetzige amtierende Regierungschef Paolo Gentiloni bis dahin im Amt bleiben, sagten die beiden Insider. Über Cottarellis Überlegungen hatte zuerst die Nachrichtenagentur Ansa berichtet. Zuerst sah es so aus, als würde sich die ZHusammenstelluzng der einer Übergangsregierung in Italien zieht sich in die Länge. Der designierte Ministerpräsident Carlo Cottarelli traf am Dienstag mit Staatspräsident Sergio Mattarella zusammen. Erwartet worden war, dass er dabei eine Ministerliste vorstellen wird. Die beiden würden sich am Mittwoch erneut treffen, sagte der Sprecher des Präsidenten ohne weitere Angaben zu machen. Jetzt scheint ein anderer Weg beschritten zu werden.

Mattarella hatte dem Finanzexperten den Regierungsauftrag gegeben, um das Land nach dem Scheitern der Regierungsbildung zwischen Fünf-Sterne-Partei und der fremdenfeindlichen Lega zu einer Neuwahl zu führen.

Die italienische Notenbank hat vor dem Hintergrund der aktuellen Marktturbulenzen vor einem Verlust des Vertrauens in Italien gewarnt. «Wir dürfen niemals vergessen, dass wir immer nur ein paar Schritte von dem sehr ernsten Risiko eines Verlusts des unersetzbaren Guts von Vertrauen entfernt sind», sagte Ignazio Visco, Gouverneur der italienischen Notenbank, am Dienstag in Rom. Eine Finanzkrise müsse vermieden werden. Visco bestimmt auch im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) über die Geldpolitik mit.

Eine Vertrauenskrise hätte vor allem auch für zahlreiche italienische Banken verheerende Folgen. Wie eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigt, machen italienische Staatspapiere etwa 20 Prozent der Vermögenswerte der italienischen Banken aus, zitiert etwa das Onlineportal «Zerohedge». Teilweise übersteigt die Höhe der Staatsanleihen das Tier1-Kapital um das Vierfache, heisst in dem Bericht weiter.

Nicht überraschend also, dass Bankaktien europaweit zu den grössten Verlierern zählen. Im Schweizer Leitindex SMI führen Banken und Versicherer geschlossen die Verliererliste an.

Er forderte die Politik in Italien auf, die Reformpolitik fortzusetzen. Die europäischen Vorgaben müssten akzeptiert werden. «Die Zukunft Italiens ist in Europa», sagte Visco. Er betonte, dass für die aktuelle Entwicklung nicht die Vorgaben der EU oder Spekulanten verantwortlich sind. Vielmehr hätten die Italiener mit ihrem Handeln und politischen Vorstellungen Umschichtungen an den nationalen und internationalen Märkten ausgelöst.

Turbulenzen an den Finanzmärkten
Die gescheiterte Regierungsbildung durch zwei eurokritische Parteien hat zu heftigen Turbulenzen an den Finanzmärkten geführt. So stiegen die Renditen zehnjähriger italienischer Staatsanleihen am Dienstag um über 50 Basispunkte. Erstmals seit Mitte 2014 wurde die Marke von drei Prozent überschritten. Im zweijährigen Laufzeitbereich erhöhten sich die Renditen gar um eineinhalb Prozentpunkte. Der Eurokurs und die Aktienmärkte gerieten stark unter Druck. Die Entwicklung erinnert an die Hochphase der Eurokrise.

Nach dem Scheitern der Regierungsbildung in Italien zieht nun eine handfeste institutionelle Krise herauf. Die populistischen Parteien blasen zum Kampf gegen Staatspräsident Sergio Mattarella. Der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, kündigte an, er wolle sicherstellen, dass bei der nächsten Wahl «nicht derselbe Präsident» an der Macht sei, der eine «Regierung des Wandels» verhindern wolle. Ein Amtsenthebungsverfahren sei durchaus möglich. Den nächsten Präsidenten müssten die Bürger wählen, «nicht die Ratingagenturen, die Banken oder die Deutschen», so Di Maio.

Die geplante europakritische Koalition zwischen den Sternen und der rechtspopulistischen Lega war am Sonntag geplatzt, weil Präsident Mattarella angesichts der Unruhe an den Finanzmärkten den Euro- und Deutschland-kritischen Finanzminister des Bündnisses nicht absegnen wollte.

Die Lega und die Sterne, die eine Mehrheit im Parlament haben, nennen das undemokratisch. Vor allem teure Wahlversprechen wie Steuersenkungen in dem hoch verschuldeten Land und die Anti-EU-Haltung der Lega und der Sterne hatten Anleger und EU-Partner verunsichert.

Di Maio rief für kommenden Samstag zu einer grossen Demonstration in Rom auf. Er will nach eigenen Worten damit ein Zeichen für die Demokratie setzen. Der 2. Juni ist der Tag der Republik, der Nationalfeiertag Italiens, der mit einer grossen Militärparade gefeiert wird.

Für Freitag riefen unterdessen die Sozialdemokraten, die bei der Wahl am 4. März eine schwere Niederlage einstecken mussten, zu einer Demonstration in Rom und Mailand auf. Sie wollen damit die Institutionen und den Präsidenten verteidigen.

Mattarella hatte dem parteilosen Finanzexperten Carlo Cottarelli den Regierungsauftrag gegeben. Es wird erwartet, dass der am Dienstag ein verschlanktes Kabinett vorschlägt. Anschliessend muss dieses vereidigt werden und sich im Parlament einer Vertrauensabstimmung stellen. Es wird erwartet, dass Cottarelli das Vertrauen im Parlament nicht bekommt, da die Lega und die Sterne dort die Mehrheit haben. Für diesen Fall hatte er angekündigt, dass Land bis zu einer Neuwahl ab September zu führen.

Rhetorik weiter verschärft
Die Entscheidung des Präsidenten dürfte die Rhetorik der populistischen Parteien noch verschärfen. Es stehe ein «rücksichtsloser Kampf Establishment versus Anti-Establishment bevor, mit Italiens Staatschef als Verkörperung des Establishments und als angeblicher Handlanger der Deutschen», sagte Politanalyst Francesco Galietti.

Vor allem Kommentare in Medien und von Politikern aus Deutschland hatten in Italien Unmut hervorgerufen, weil sie als Einmischung angesehen wurden. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), mahnte nun zur Zurückhaltung des Auslandes. «Im Moment ist die Gefahr, dass wir es gut meinen, aber die Sache verschlimmern, zu gross», sagte Röttgen der «Rheinischen Post» (Dienstag). (awp/mc/ps/cs)

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