Libyen: Tod eines Dikators

Libyen: Tod eines Dikators

TV-Bild mit der angeblichen Leiche Gaddafis.

Tripolis – Historischer Tag für Libyen: Der ehemalige Machthaber Muammar al-Gaddafi ist tot. Im ganzen Land feierten die Menschen frenetisch das Ende der knapp 42 Jahre langen Herrschaft. Zwei Monate nach seinem Sturz wurde der 69-Jährige in seiner Heimatstadt Sirte von Milizionären getötet, wie Ministerpräsident Mahmud Dschibril in Tripolis bestätigte. Damit ist neun Monate nach Beginn des «Arabischen Frühlings» auch in Libyen der Weg frei für die Bildung einer provisorischen Übergangsregierung und die Vorbereitung demokratischer Wahlen.

Der Nato-Rat will auf einer Sondersitzung voraussichtlich schon am Freitag den Militäreinsatz in Libyen für beendet erklären. US-Präsident Barack Obama sprach von einem «historischen Tag in der Geschichte Libyens». «Sie haben ihre Revolution gewonnen», sagte er in Washington an die Adresse der Rebellen gerichtet. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem Schlusspunkt unter dem Regime Gaddafi. «Damit geht ein blutiger Krieg zu Ende, den Gaddafi gegen sein eigenes Volk geführt hat», sagte Merkel in Berlin.

Offenbar lebend in die Hände Aufständischen gefallen
Der ehemalige Machthaber ist in seiner Geburtsstadt Sirte offenbar noch lebend in die Hand der Aufständischen gefallen. In einem von Al-Arabija ausgestrahlten verwackelten Video ist angeblich der verwundete Gaddafi zu sehen. Er wird von der Kühlerhaube eines Fahrzeugs gezogen und von Milizionären umringt, die ihn wegzerren. Gaddafi scheint dabei noch auf eigenen Beinen zu stehen und zu wanken. Sein Hemd ist blutgetränkt. Er scheint zu sprechen und seine rechte Hand zu bewegen. Auf späteren Bildern ist Gaddafi tot mit einer Schusswunde im Kopf zu sehen. Ein Arzt im Krankenhaus von Misrata, wohin der Leichnam aus Sirte gebracht wurde, bestätigte nach einer Untersuchung, Gaddafi sei am Kopf und am Bauch von Schüssen getroffen worden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte eine Untersuchung der Todesumstände. Die neue Regierung müsse mit der «Kultur des Missbrauchs» unter Gaddafi vollständig brechen und Menschenrechtsreformen durchsetzen, die das Land bitter nötig habe, hiess es.

Zwei Gaddafi-Söhne getötet
Ausser Gaddafi sollen auch dessen Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi und Verteidigungsminister Abu Bakr Junis getötet worden sein. Am Abend wurde zudem der Tod der Gaddafi-Söhne Saif al-Islam und Mutassim von staatlichen Fernsehen bestätigt. Beide sollen wie ihr Vater in Sirte getötet worden sein.

Saif al-Islam war mehr oder weniger offen als Nachfolger Gaddafis gehandelt worden. Mutassim war im Regime seines Vaters nationaler Sicherheitsberater. Zuvor hatte es geheissen, die beiden verletzten Gaddafi-Söhne Mutassim und Saif befänden sich in den Händen der Milizionäre des Übergangsrates. Der Ex-Diktator und seine Söhne sollen jetzt nach libyschen Medienberichten an einem geheimen Ort beigesetzt werden, damit seine Anhänger keinen Wallfahrtsort haben. Gaddafis Heimatstadt Sirte war am Donnerstag als letzte Bastion des Widerstands gegen die neuen Herrscher gefallen. Milizionäre hissten die Flagge des Übergangsrates im Stadtzentrum und feuerten Salven aus ihren Maschinenpistolen ab. Auch in der Hauptstadt Tripolis herrschte grosse Freude.

Obama: «Ende eines langen und schmerzhaften Kapitels»
Der Tod Gaddafis ist eine weitere historische Zäsur im «Arabischen Frühling», der vor neun Monaten mit dem Umsturz in Tunesien begann und seither eine ganze Region in Aufruhr versetzt. Die Nachricht über den Tod des Despoten löste in westlichen Staaten Erleichterung aus. Obama sprach vom «Ende eines langen und schmerzhaften Kapitels». Das libysche Volk habe nun die Chance, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, sagte Obama im Rosengarten des Weissen Hauses. Die Libyer hätten aber auch eine «grosse Verantwortung», eine Regierung zu schaffen, die alle gesellschaftlichen Gruppen einschliesse.

Ban Ki Moon ruft zur Versöhnung auf
«Heute kann Libyen eine neue Seite in seiner Geschichte aufschlagen und eine neue demokratische Zukunft beginnen», hiess es in einer EU-Erklärung. «Sic transit gloria mundi» – so vergeht der Ruhm der Welt – mit diesen Worten zitiert die italienische Nachrichtenagentur Ansa Regierungschef Silvio Berlusconi. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sagte: «Für das libysche Volk öffnet sich ein neues Kapitel, das der Versöhnung in Einheit und Freiheit.» «Ich bin stolz auf die Rolle, die Grossbritannien dabei gespielt hat», kommentierte der britische Premierminister David Cameron mit Blick auf die Unterstützung der Aufständischen durch die Nato. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die Libyer zur Versöhnung auf: «Die Kämpfer aller Seiten müssen ihre Waffen in Frieden niederlegen. Das ist die Zeit der Versöhnung, nicht der Rache.»

Der Nachrichtensender Al-Arabija zeigte am Donnerstag Bilder von dem Ort in Sirte, an dem die Kämpfer Gaddafi angeblich gefunden hatten. Zu sehen sind zwei grosse Betonröhren, darüber hat jemand auf eine Betonwand gesprüht: «Dies ist der Platz der verfluchten Ratte Al-Gaddafi – Gott ist gross». Vor den Betonröhren liegen zwei Leichen am Boden. Der britische Sender BBC zitierte einen Milizionär, wonach Gaddafi gebettelt haben soll: «Nicht schiessen, nicht schiessen.»

Nato-Angriff auf Gaddafi-Konvoi
Wie ein Reporter der britischen Tageszeitung «Guardian» berichtete, wurde der Konvoi Gaddafis am Donnerstagmorgen von Nato-Flugzeugen angegriffen, als er gerade Sirte verlassen wollte. Nach Angaben des französischen Verteidigungsministeriums waren es französische Kampfflugzeuge. Der US-Sender Fox News berichte, auch eine US-Drohne sei an dem Einsatz beteiligt gewesen. Dass Gaddafi sich in Sirte versteckt hatte, war für viele Beobachter überraschend. Der seit zwei Monaten Flüchtige war in einer Oase im Süden des Landes vermutet worden. Allerdings erklärt sich jetzt, warum in Sirte Gaddafi-Getreue über Wochen hinweg erbitterten Widerstand gegen die Truppen des Übergangsrates geleistet haben. (awp/mc/upd/ps)

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