Putin besiegelt Annexion von vier Gebieten in der Ostukraine – Ukraine fordert beschleunigten Beitritt zur Nato

Putin besiegelt Annexion von vier Gebieten in der Ostukraine – Ukraine fordert beschleunigten Beitritt zur Nato
Russlands Staatspräsident Wladimir Putin.

Moskau / Kiew – Gut sieben Monate nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine hat Russland vier Gebiete im Osten des Landes annektiert. Kremlchef Wladimir Putin unterschrieb am Freitag die Abkommen, mit denen die Einverleibung der von russischen Truppen besetzten Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson besiegelt wurde. International werden die Annexionen nicht anerkannt. Die Ukraine beantragt einen beschleunigten Beitritt in die Nato.

Die Menschen in Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja seien ab sofort russische Staatsbürger – «und das für immer», sagte Putin. Moskau hatte in den vier Regionen zuvor Scheinreferenden organisiert, in denen die Bevölkerung angeblich für einen Beitritt zu Russland gestimmt hat. Auch diese sogenannten Referenden wurden weltweit nicht anerkannt und als undemokratisch sowie völkerrechtswidrig verurteilt. Dennoch sagte Putin nun, die Annexion sei «der Wille von Millionen Menschen», die in «ihre historische Heimat zurückzukehren» wollten.

Von nun an Angriffe auf «eigenes Staatsgebiet»
Putin forderte die Ukraine zu Verhandlungen auf. Sein Land sei bereit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, fügte er an. Über die nun einverleibten Gebiete werde aber nicht mit der Ukraine diskutiert. Kiew müsse zudem die Angriffe gegen die russischen Truppen im Osten stoppen – dort hatte die Ukraine Gegenoffensiven gestartet und Gebiete zurückerobert. Russland wolle Militärschläge in den Regionen von nun als Angriffe gegen das eigene Staatsgebiet werten. Putin wiederholte die Drohung, «mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln» zu reagieren. Dies verstärkt Ängste vor einem möglichen Atomschlag Moskaus.

Ukraine beantragt beschleunigten Nato-Beitritt
Die Ukraine hat nach der völkerrechtswidrigen Annexion offiziell ihren Antrag auf eine Nato-Mitgliedschaft eingereicht. Das teilte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videoansprache mit. Man gehe einen entscheidenden Schritt, indem man den Antrag auf eine beschleunigte Nato-Mitgliedschaft unterzeichnet habe, sagte Selenskyj. Faktisch habe man bereits bewiesen, dass man die Standards der Militärallianz erfülle. «Wir vertrauen einander, wir helfen einander, und wir beschützen einander. Das ist die Allianz.» Um Mitglied der Nato zu werden, ist die Zustimmung aller aktuellen Mitgliedsstaaten notwendig. Derzeit sind 30 Länder in dem Militärbündnis vereint.

Der ukrainische Präsident bekräftige sein Versprechen, das «gesamte Territorium» seines Landes zu befreien – also auch jene Landesteile, die von russischen Truppen besetzt sind und aus Moskaus Sicht nach der Annexion nun zu Russland gehören.

USA verkünden wegen Annexion weitere Sanktionen
Als Reaktion auf die russische Annexion von vier besetzten ukrainischen Gebieten verhängen die USA weitere Sanktionen gegen Russland. Die Strafmassnahmen richten sich unter anderem gegen weitere russische Regierungsvertreter, deren Familienmitglieder sowie Angehörige des Militärs, wie die US-Regierung am Freitag in Washington mitteilte. Betroffen seien auch Netzwerke für die Beschaffung von Verteidigungsgütern, einschliesslich internationaler Lieferanten. Zu der langen Liste an Personen, die die Amerikaner in diesem Schritt ins Visier nehmen, gehören zum Beispiel Russlands Zentralbankchefin Elvira Nabiullina, weitere Parlamentsabgeordnete, sowie Familienangehörige von Ministerpräsident Michail Mischustin, von Verteidigungsminister Sergej Schoigu, von Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin und von Ex-Kremlchef Dmitri Medwedew, der inzwischen Vizechef des russischen Sicherheitsrats ist.

US-Aussenminister Antony Blinken erklärte: «Die Vereinigten Staaten weisen den betrügerischen Versuch Russlands, die international anerkannten Grenzen der Ukraine zu ändern, unmissverständlich zurück.» Dies ist ein «klarer Verstoss gegen das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen».

23 Tote bei Beschuss von zivilem Autokonvoi
Unterdessen wurde in der südukrainischen Stadt Saporischschja ein ziviler Autokonvoi mit Raketen beschossen. 23 Menschen starben nach übereinstimmenden ukrainischen und russischen Angaben. Beide Seiten bezichtigten sich gegenseitig, den Konvoi angegriffen zu haben. Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj nannte die Täter «absolute Terroristen», für die «in der zivilisierten Welt kein Platz ist». Die ukrainische Führung erklärte, die Autos seien von den Russen beschossen worden, als Menschen in die von russischen Truppen besetzten Gebiete fuhren, um dort Hilfe zu bringen und Familienangehörige abzuholen. Die Besatzer behaupteten dagegen, die Ukrainer hätten die Raketen abgefeuert und die Menschen getötet, weil diese in das von Russland kontrollierte Territorium wollten.

Finnlands Grenze für russische Touristen dicht – Norwegen alarmiert
Finnland schloss in der Nacht zum Freitag seine Grenze für russische Touristen geschlossen. Wie Aufnahmen des Senders Yle zeigten, schafften es am Grenzübergang Vaalimaa um 0.02 Uhr noch sieben Autos sowie ein Mann auf einem Fahrrad über die Grenze. Dann fiel der Schlagbaum herunter. Für Finnland, das eine komplexe Geschichte mit Russland verbindet, war das ein historischer Moment. Norwegen kündigte an, seine Grenze zu Russland stärker zu überwachen.

Ostsee-Explosionen entsprachen «Sprengladung von mehreren 100 Kilo»
Die Lecks an den Nord-Stream-Gaspipelines wurde nach Einschätzung von dänischen und schwedischen Experten von Explosionen unter Wasser herbeigeführt mit «vermutlich einer Sprengladung von mehreren hundert Kilogramm». Das berichteten die zwei skandinavischen Länder dem US-Sicherheitsrat vor der Dringlichkeitsdebatte am Freitagabend.

EU einigt sich auf Gewinnabschöpfung gegen hohe Energiepreise
Die EU-Staaten haben sich angesichts hoher Energiepreise auf europäische Notmassnahmen verständigt, um Strom zu sparen und Entlastungen zu finanzieren. Die Fachminister einigten sich darauf, dass Energieunternehmen künftig einen Teil ihrer Krisengewinne an den Staat abgeben müssen, wie die tschechische Ratspräsidentschaft mitteilte. Mit diesem Geld sollen Verbraucher entlastet werden. Die Einigung muss noch formell bestätigt werden. (awp/mc/pg)

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