Regierungskrise in Italien – Berlusconi-Partei zieht Minister ab

Regierungskrise in Italien – Berlusconi-Partei zieht Minister ab
Italiens ehemaliger Regierungschef Silvio Berlusconi.

Bezeichnet ein Urteil gegen sich als «Staatsstreich»: Silvio Berlusconi.

Rom – Nach nur fünf Monaten steht die italienische Regierung von Enrico Letta vor dem Aus. Die Partei von Medienmogul Silvio Berlusconi (77) kündigte den Rücktritt ihrer fünf Minister aus der grossen Koalition an. Die Regierungskrise mit möglichen Neuwahlen trifft die drittgrösste Volkswirtschaft der Euro-Zone in der schwersten Rezession nach dem Krieg. Staatspräsident Giorgio Napolitano will Neuwahlen noch vermeiden, Berlusconi dagegen strebt eine möglichst baldige Abstimmung an – und gibt sich siegessicher.

Er werde das Parlament nur auflösen, wenn es keine andere Wahl mehr gebe, sagte Napolitano. Er traf am Sonntagabend Regierungschef Enrico Letta, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Nach Ansicht der beiden soll das Parlament über die politische Zukunft Italiens entscheiden. Dort sei der Ort für eine «auflösende Erklärung», hiess es in einer Mitteilung des Quirinalpalastes des Staatspräsidenten. Letta kündigte an, sich am Mittwoch dem Vertrauensvotum des Parlaments zu stellen.

Berlusconi warnt
«Wir haben eine sehr komplizierte und komplexe Situation bewertet und haben beschlossen, möglichst bald ins Parlament zu gehen», sagte Letta. «Ich habe nicht vor, um jeden Preis zu regieren.» Sollte er das Vertrauen nicht erhalten, werde er Konsequenzen ziehen. Die Berlusconi-Minister betonten am Samstag, die Bedingungen für einen Verbleib in der Regierung seien nicht mehr gegeben. «Meine Loyalität gegenüber Berlusconi ist langlebig und bombenfest», sagte Angelino Alfano, Chef von Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PdL).

Berlusconi selbst warnte am Sonntag davor, dass Letta das Vertrauensvotum mit Stimmen von abtrünnigen PdL-Abgeordneten und Unterstützern aus der oppositionellen Bewegung 5 Sterne (M5S) für sich entscheiden und weiterregieren könnte. «Ich glaube an keine brüchige Übergangsregierung aus Überläufern», sagte er.

Berlusconi warnt vor Steuererhöhungen
In der Koalition aus Berlusconis PdL-Partei und der linken PD (Demokratische Partei) Lettas gibt es seit vielen Wochen erhebliche Spannungen. Ein Hauptgrund ist der drohende Ausschluss des rechtskräftig verurteilten Berlusconis aus dem Senat. Seine Partei nannte jedoch ein anderes Motiv für den Rückzug der Minister: die von ihnen abgelehnte Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 22 Prozent.

«Wir können keine Regierung unterstützen, die den Steuerdruck auf die Bürger erhöht», sagte Berlusconi zum Rückzug. Er forderte möglichst baldige Neuwahlen, alle Umfragen signalisierten ihm dafür einen Sieg. «Ich bin nicht kampfesmüde, ich bin in Höchstform», so Berlusconi, der am Sonntag 77 Jahre alt wurde. Mit Steuerversprechen hatte er mehrfach Wahlen gewonnen.

Negative Reaktionen an Finanzmärkten befürchtet
Nach einem Rücktritt der Regierung könnte Staatschef Napolitano erneut Letta oder einen anderen Politiker beauftragen, eine neue Mehrheit für eine Übergangsregierung zu suchen. Er war immer strikt dagegen, das Parlament aufzulösen und dann Neuwahlen auszurufen. Denn mit dem derzeit gültigen Wahlrecht könnte es bei einer Abstimmung wieder eine Patt-Situation wie im Februar geben.

Letta hatte von der PdL ein Bekenntnis zur Regierung verlangt. Er fordert von der Partei, sie solle sich im Parlament öffentlich erklären. Die Regierungskrise in Rom dürfte auch negative Reaktionen der Finanzmärkte hervorrufen.

PD-Parteichef Guglielmo Epifani nannte die PdL-Ankündigung den letzten Akt vor dem Kollaps. Die beiden Parteien machten sich gegenseitig für das offensichtliche Scheitern ihrer grossen Koalition verantwortlich. Berlusconi-Gegner meinten, dieser habe die Regierungskrise nur vom Zaun gebrochen, damit im Senat nicht über seinen Ausschluss aus der Kammer entschieden werden könne.

Staatschef kritisiert Berlusconi
Im aufgeheizten Streit um die politische Zukunft Berlusconis hat Letta die Vertrauensfrage angekündigt. Er will wissen, ob er auch nach der Rücktrittsdrohung von Berlusconi-Abgeordneten im Parlament noch Rückhalt für seine Politik hat. PdL-Parlamentarier hatten zuvor mit einem «Massenrücktritt» gedroht, sollte der verurteilte Berlusconi bei einer Sitzung des zuständigen Senats-Ausschusses am 4. Oktober ausgeschlossen werden.

Der Staatschef hatte Berlusconis Partei zuvor scharf kritisiert. Sie sollte nicht die Funktionsfähigkeit des Parlaments mitten in der Wirtschaftskrise aufs Spiel setzen, sagte Napolitano. Es sei absurd, dass Berlusconi ein Urteil gegen sich einen «Staatsstreich» nenne. (awp/mc/ps)

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