Erster Fluchtweg aus Stadt in Ukraine

Erster Fluchtweg aus Stadt in Ukraine
Flüchtende in der Ukraine. Ort unbekannt.

Kiew / Moskau – Im Krieg Russlands gegen die Ukraine sind erstmals Hunderte Zivilisten bei einer abgestimmten Evakuierung aus einer umkämpften Stadt gerettet worden. Nach einer Feuerpause startete am Dienstag eine Fahrzeugkolonne mit Einwohnern aus Sumy im Nordosten der Ukraine. Zuvor starben dort bei russischen Angriffen in der Nacht nach Behördenangaben mindestens 21 Menschen, darunter zwei Kinder.

Für andere eingeschlossene Städte wie Mariupol oder Wolnowacha in der Ostukraine scheiterten in den vergangenen Tagen mehrere Versuche zur Einrichtung eines derartigen «grünen Korridors». Beide Seiten warfen sich gegenseitig Sabotage vor. Angaben über russische Angriffe auf flüchtende Menschen entsprechen aus Sicht der Nato der Wahrheit. «Es gibt sehr glaubwürdige Berichte, dass Zivilisten bei der Evakuierung unter Beschuss geraten», sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Fast zwei Wochen nach dem Einmarsch russischer Truppen laufen die diplomatischen Bemühungen um eine Deeskalation und ein Ende des Krieges auf Hochtouren. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping rief nach einem Videogespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zur Zusammenarbeit auf. Alle Bemühungen zur friedlichen Lösung sollten unterstützt werden. Für diesen Donnerstag ist ein Treffen des ukrainischen Aussenministers Dmytro Kuleba mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow geplant.

Russland hatte das Nachbarland Ukraine am 24. Februar angegriffen. UN-Angaben zufolge wurden bisher mehr als 400 Zivilisten getötet. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht.

Nach Feuerpause erster Fluchtkorridor – Lage in Mariupol katastrophal
Sumy ist die erste von fünf ausgewählten ukrainischen Städten, bei der ein Fluchtkorridor bisher auch tatsächlich funktionierte. Das russische Militär hatte nach eigenen Angaben am Dienstag eine Feuerpause angesetzt und «humanitäre Korridore» in der Hauptstadt Kiew sowie den Grossstädten Tschernihiw, Sumy, Charkiw und der Hafenstadt Mariupol geöffnet.

Als besonders kritisch gilt 13 Tage nach dem Einmarsch die Lage in der belagerten Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer. Dort warten nach Angaben des Roten Kreuzes 200 000 Menschen darauf, über verschiedene Routen aus der Stadt zu kommen. Nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz ist die Lage katastrophal. «Die Situation ist apokalyptisch», sagte Sprecher Ewan Watson.

Selenskyj zu Gesprächen über Donbass und Krim bereit
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich zu Gesprächen über den Status der Separatistengebiete im Osten des Landes und der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim bereit gezeigt. Im US-Sender ABC machte Selenskyj am Montagabend (Ortszeit) zugleich deutlich, dass er nicht auf Forderungen aus Moskau eingehen werde, die Unabhängigkeit der selbst ernannten «Volksrepubliken» sowie die russische Herrschaft über die Krim anzuerkennen. «Ich bin bereit für einen Dialog. Aber wir sind nicht bereit für eine Kapitulation.»

Deutschland, Frankreich und China wollen in enger Zusammenarbeit auf ein Ende des Krieges hinwirken. In ihrer Videokonferenz seien sich Kanzler Scholz, Frankreichs Präsident Macron und Chinas Präsident Xi Jinping einig gewesen, alle Verhandlungen zu unterstützen, die auf eine diplomatische Lösung des Konflikts gerichtet seien, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Laut dem chinesischen Staatsfernsehen sagte Xi: «Es ist wichtig, eine Eskalation der Spannungen oder einen Kontrollverlust zu vermeiden.»

Vereinte Nationen: Mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aus Ukraine
Seit Beginn des russischen Einmarschs sind nach UN-Angaben mehr als zwei Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Die meisten Menschen seien nach Polen sowie nach Ungarn, Rumänien, Moldau und in die Slowakei gegangen, sagte eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR). Nach Angaben der UN-Organisation für Migration waren darunter gut 100’000 Menschen aus Drittstaaten. Die Zahl der in Deutschland angekommenen Kriegsflüchtlinge ist auf 64’604 gestiegen, teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums mit. Da es an den EU-Binnengrenzen keine stationären Kontrollen gebe, könne die tatsächliche Zahl bereits wesentlich höher sein.

Russland droht mit Gas-Lieferstopp – Debatte um Energieembargo
Russland hat erstmals offen mit einem Gas-Lieferstopp durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 gedroht. «Wir haben das volle Recht, eine «spiegelgerechte» Entscheidung zu treffen und ein Embargo auf die Durchleitung des Gases durch die Pipeline Nord Stream 1 zu erlassen», sagte Vize-Regierungschef Alexander Nowak. Er bezog sich auf die gestoppte Leitung Nord Stream 2. «Aber noch treffen wir diese Entscheidung nicht. Niemand gewinnt dabei», sagte Nowak.

Die EU will schnellstmöglich unabhängig von russischem Gas werden. Die EU-Kommission legte einen Plan vor, um russische Gasimporte innerhalb von einem Jahr um zwei Drittel zu reduzieren. Mehr als 40 Prozent des in die EU importierten Gases kommt aus Russland.

US-Präsident Joe Biden wollte am Dienstag nach Angaben des Weissen Hauses neue Strafmassnahmen gegen Russland verkünden. Laut US-Medien wird ein Importverbot der USA für Öl, Gas und Kohle aus Russland erwartet. Der US-Sender CNN meldete, die USA würden die neuen Strafmassnahme ohne ihre europäischen Verbündeten vollziehen.

Europäische Staaten sind weit stärker auf russische Energieimporte angewiesen als die USA. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte vor einem Einbruch der Wirtschaft im Fall eines Embargos. Laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) bereitet die Bundesregierung weitere Sanktionen vor.

Die Spritpreise stiegen erstmals über die Schwelle von zwei Euro. Im bundesweiten Schnitt kostete Superbenzin der Sorte E10 am Montag laut ADAC 2,008 Euro je Liter, bei Diesel waren es 2,032 Euro. Treiber des Anstiegs sind die Ölpreise. Der Mineralölriese Shell will keine Geschäfte mehr in Russland machen. Man werde tagesaktuell kein russisches Öl mehr kaufen und langfristige Verträge auslaufen lassen. Auch sei die schrittweise Abkehr von russischem Gas geplant. (awp/mc/ps)

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