Selenskyj nennt Verhandlungen «produktiv»

Selenskyj nennt Verhandlungen «produktiv»
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. (president.gov.ua)

Berlin – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die zweitägigen Verhandlungen mit den USA über eine Friedenslösung für die Ukraine in Berlin als «produktiv» bezeichnet. Auf einem Wirtschaftsforum sagte er aber auch, dass die Gespräche insgesamt «nicht sehr einfach» seien. «Wichtig ist, dass der Frieden würdig wird», betonte er. «Man darf in Europa nicht vergessen, woher dieser Krieg kam. Wer ihn brachte.»

Selenskyj dankte ausdrücklich den europäischen Partnern und speziell Deutschland. «Die europäische Einigkeit bringt tatsächlich die Gerechtigkeit zurück», sagte er. «Ich bin überzeugt davon, dass Deutschland weiter mit uns sein wird.»

Merz spricht von «täglichem Albtraum»
Bundeskanzler Friedrich Merz sagte in einer sehr emotionalen Rede, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine «seit fast vier Jahren ein täglicher Albtraum» sei – nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa. Er griff den russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich für seinen «verbrecherischen Überfall» auf die Ukraine an. Sehr eindringlich warb er dafür, dass die EU bei ihrem Gipfel am Donnerstag grünes Licht für die Nutzung des eingefrorenen russischen Vermögens für die Ukraine gibt. Dies sei eine «Schlüsselfrage», die jetzt gelöst werden müsse. Wenn das nicht geschehe, sei die Handlungsfähigkeit Europas «massiv beschädigt».

Einzelheiten aus den Verhandlungen über den US-Friedensplan mit derzeit 20 Punkten verrieten beide nicht. Merz betonte aber, dass die Ukraine sich bei diesen Gesprächen auf die Unterstützung der Europäer verlassen könne. Ein «echter Frieden in Freiheit» müsse das Ziel sein. Deutschland habe dabei eine besondere Verantwortung. «Uns diese Verantwortung nehmen wir auch an.»

Gespräche im «kleinen Kabinettssaal» seit Sonntag
Nach ersten fünfstündigen Gesprächen am Sonntag waren Selenskyj und die vom Sondergesandten Steve Witkoff angeführte US-Delegation heute erneut ab 10.00 Uhr zu Gesprächen im kleinen Kabinettssaal des Kanzleramts zusammengekommen. Bei den bereits seit November laufenden Verhandlungen geht es um drei Knackpunkte:

  • Territorium: Die schwierigste Frage sind mögliche Gebietsabtretungen der Ukraine. Sie sind für Russland unabdingbar und für die Ukraine eigentlich nicht akzeptabel. Es gibt zwar Lösungsansätze, aber wirkliche Bewegung ist noch nicht in Sicht.
  • Garantien: Fortschritte soll es dagegen bei den Sicherheitsgarantien geben, die im Fall einer Friedenslösung einen neuen Angriff verhindern sollen. Selenskyj hatte auf dem Weg nach Berlin seine Einsicht erkennen lassen, dass ein Nato-Beitritt für ihn derzeit aussichtslos erscheint. Als neues Verhandlungsziel gab er verbindliche «bilaterale Sicherheitsgarantien» mit den USA und anderen Ländern aus. Die Garantien sollten dabei in etwa dem Artikel fünf des Nato-Vertrages entsprechen, der militärischen Beistand im Angriffsfall garantiert. «Das ist bereits ein Kompromiss von unserer Seite», teilte Selenskyj mit.
  • Finanzen: Die dritte Frage ist die der finanziellen Unterstützung der Ukraine. Die Europäer wollen das in der EU eingefrorene Vermögen der russischen Staatsbank von etwa 185 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Ukraine nutzen. Ohne dieses Vermögen könnten die finanziellen Möglichkeiten der Europäer bald an ihre Grenzen kommen. Und bei US-Präsident Donald Trump gibt es keinerlei Bereitschaft mehr, für den Krieg Geld auszugeben.

Für Merz geht es auch persönlich um viel
Als Erfolg wird auf deutscher und europäischer Seite verbucht, dass dieses Treffen überhaupt in Berlin stattgefunden hat. Damit wurde manifestiert, dass die Europäer eine Rolle bei den Verhandlungen über die Ukraine spielen – und nichts über ihre Köpfe hinweg entschieden wird.

Das kann sich Kanzler Merz persönlich auf die Fahnen schreiben. Die nächste Nagelprobe kommt für ihn am Donnerstag beim EU-Gipfel. Bei der Nutzung des russischen Staatsvermögens hat er die führende Rolle unter den Befürwortern eingenommen. Erfolg oder Misserfolg werden daher auch mit seiner Person verbunden sein.

US-Delegation zufrieden
Die US-Delegation hatte sich schon nach dem ersten Verhandlungstag zufrieden mit den Gesprächen gezeigt. Es seien «viele Fortschritte» erzielt worden, schrieb Witkoff auf der Plattform X. Der 20-Punkte-Friedensplan, Wirtschaftsthemen und andere Fragen seien intensiv erörtert worden. Zur US-Delegation gehört auch der Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump, Jared Kushner.

Was ist mit Russland?
An den USA liegt es nun, die Ergebnisse mit Russland weiter zu diskutieren. Kremlsprecher Dmitri Peskow hielt sich dazu zunächst bedeckt. Russland sei über die Gespräche bisher nicht unterrichtet worden, sagte Peskow. «Erst danach, wenn sie ihre Arbeit abgeschlossen haben, erhalten wir von unseren amerikanischen Gesprächspartnern die Sichtweise, die heute erörtert wird.» Auf die Frage, ob eine Friedenslösung bis Weihnachten gefunden werden könne, sagte Peskow nur, dass er keine konkreten Daten nennen wolle.

Rüstungskooperation soll vertieft werden
Der Besuch Selenskyjs war auch ein sogenannter bilateraler Besuch in Deutschland, zu dem Treffen mit den wichtigsten Politikern des Landes gehören. So wurde Selenskyj vor dem Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit einer Umarmung empfangen und war anschliessend bei Bundestagspräsidentin Julia Klöckner im Reichstagsgebäude.

Die Bundesregierung legte am Rande des Besuchs einen Zehn-Punkte-Plan vor, um die Rüstungskooperation mit der Ukraine weiter auszubauen. Er sieht unter anderem die Eröffnung eines Verbindungsbüros der ukrainischen Rüstungsindustrie in Berlin und eine enge Zusammenarbeit beim Bau von Zehntausenden von der Ukraine entwickelten Kampfdrohnen in Deutschland vor. Deutschland will ausserdem digitale Gefechtsfelddaten der Ukraine und Erkenntnisse über den Einsatz deutscher Waffen im Abwehrkampf gegen Russland nutzen, um das Training von Soldaten und die Entwicklung von Strategien zu verbessern. (awp/mc/pg)

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