Sorge vor Flächenbrand nach Irans Grossangriff auf Israel

Sorge vor Flächenbrand nach Irans Grossangriff auf Israel
Israelisches Raketenabwehrsystem am Samstagabend im Einsatz bei Ashkelon.

Tel Aviv / Teheran – Der Iran hat seine Drohung wahr gemacht und den erklärten Erzfeind Israel erstmals direkt angegriffen. Bei dem nächtlichen Grossangriff feuerte der Iran nach Angaben des israelischen Militärs rund 200 Drohnen und Raketen ab. «Die grosse Mehrheit der Raketen wurde von unserer Raketenabwehr noch ausserhalb der Grenzen Israels abgefangen», sagte Armeesprecher Daniel Hagari in der Nacht zum Sonntag. Nur eine kleine Anzahl von Raketen sei auf israelischem Gebiet eingeschlagen, Todesopfer oder grössere Schäden gab es den Angaben zufolge nicht. Der UN-Sicherheitsrat in New York plant voraussichtlich noch am Sonntag eine Sondersitzung.

Wegen des iranischen Angriffs wurde in der Nacht zum Sonntag an verschiedenen Orten in Israel Raketenalarm ausgelöst. Nach Angaben der Armee heulten die Warnsirenen unter anderem im Süden Israels, am Toten Meer, im Grossraum Jerusalem sowie im Norden des Landes. Hagari zufolge wurde ein Mädchen verletzt. Zudem sei eine Militärbasis im Süden des Landes getroffen und leicht beschädigt worden. Nach Angaben des Weissen Hauses konnte Israel auch dank der Mithilfe des US-Militärs «nahezu alle anfliegenden Drohnen und Raketen abfangen». Nach einigen Stunden gab Israels Heimatschutz schliesslich vorerst Entwarnung: Einwohner im Norden und Süden des Landes müssten sich nicht mehr in der Nähe von Schutzräumen aufhalten, hiess es.

Biden telefoniert mit Netanjahu
US-Präsident Joe Biden telefonierte noch in der Nacht mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Wie die israelische Regierung am frühen Sonntagmorgen mitteilte, führten beide ihr Gespräch nach Beratungen des israelischen Sicherheitskabinetts und des Kriegskabinetts. Das Weisse Haus teilte anschliessend mit, Biden habe den iranischen Angriff «auf das Schärfste» verurteilt und das»eiserne Bekenntnis» der USA zu Israels Sicherheit bekräftigt. Für diesen Sonntag kündigte Biden ein Treffen der G7-Gruppe wirtschaftsstarker Demokratien an. Er werde die Staats- und Regierungschefs der G7 zusammenrufen, «um eine gemeinsame diplomatische Reaktion auf den dreisten Angriff des Iran zu koordinieren».

Iran warnt die USA
Irans Revolutionsgarden richteten eine scharfe Drohung an die USA. «Jede Unterstützung und Beteiligung an der Beeinträchtigung der Interessen Irans» werde eine «entschiedene Reaktion der Streitkräfte der Islamischen Republik Iran nach sich ziehen», hiess es in einer Erklärung der Revolutionswächter, die in der Nacht zu Sonntag im Staatsfernsehen verlesen wurde.

Nach dem mutmasslich von Israel geführten Luftangriff auf Irans Botschaftsgelände in Syrien am 1. April hatte der Iran wiederholt angekündigt, Vergeltung zu üben. Bei dem Luftangriff waren zwei Brigadegeneräle und fünf weitere Mitglieder der mächtigen Revolutionsgarden getötet worden. Der Iran macht Israel für ihren Tod verantwortlich.

Reagiert Israel mit Gegenangriff?
Offen war zunächst, ob Israel auf den massiven iranischen Vergeltungsschlag mit einem Gegenangriff reagieren würde. Das Sicherheitskabinett habe Netanjahu sowie Benny Gantz, Minister im Kriegskabinett, und Verteidigungsminister Joav Galant befugt, Entscheidungen über das weitere Vorgehen zu treffen, berichtete der Fernsehsender Channel 12. Israels Generalstabschef Herzi Halevi führe im Einsatzzentrum der Luftwaffe eine Lagebeurteilung durch, teilte das Militär in der Nacht mit. «Ein direkter iranischer Angriff wird eine angemessene israelische Antwort gegen den Iran erfordern», hatte Galant am Freitag gewarnt.

Scholz verurteilt Irans Angriff scharf
Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte die iranischen Angriffe auf Israel «mit aller Schärfe». «Mit dieser unverantwortlichen und durch nichts zu rechtfertigenden Attacke riskiert Iran einen regionalen Flächenbrand», erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit nach Ankunft des Bundeskanzlers in China am Sonntag in dessen Namen. «In diesen schweren Stunden steht Deutschland eng an der Seite Israels. Über weitere Reaktionen werden wir uns nun eng mit unseren G7-Partnern und Verbündeten besprechen.»

UN-Generalsekretär warnt vor Eskalation
Auch UN-Generalsekretär António Guterres betonte das Risiko einer katastrophalen Zuspitzung der Lage in Nahost. «Ich bin zutiefst beunruhigt über die sehr reale Gefahr einer verheerenden Eskalation in der gesamten Region», sagte er in New York. Er verurteile den Angriff des Irans «aufs Schärfste» und fordere eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten. EU-Chefdiplomat Josep Borrell schrieb auf X: «Dies ist eine beispiellose Eskalation und eine ernste Bedrohung für die regionale Sicherheit.»

Auch Ägypten ist äussert besorgt
Ägypten hatte sich zuvor ebenfalls «extrem besorgt» über den iranischen Angriff auf sein Nachbarland gezeigt und zu äusserster Zurückhaltung aufgerufen. Der vom Iran angekündigte Angriff sei Zeichen einer «gefährlichen Eskalation» zwischen den beiden Ländern, teilte das ägyptische Aussenministerium am Samstagabend mit. Ägypten habe schon zuvor vor einer Ausweitung des Konflikts infolge von «Israels Krieg im Gazastreifen» gewarnt. Die Regierung in Kairo sei in ständigem Kontakt mit allen beteiligten Parteien, um die Eskalation zu stoppen, hiess es. Ägypten hatte 1979 als erstes arabisches Land Frieden mit Israel geschlossen.

London schickt zusätzliche Kampfjets nach Nahost
Israels Regierungschef Netanjahu hatte sich kurz vor dem iranischen Angriff an die Bürger seines Landes gewandt. «Der Staat Israel ist stark. Die IDF (Israels Streitkräfte) sind stark. Wir wissen es zu schätzen, dass die USA an der Seite Israels stehen, ebenso wie die Unterstützung Grossbritanniens, Frankreichs und vieler anderer Länder», sagte er. «Wir haben ein klares Prinzip: Wer uns schadet, dem schaden wir auch.»

Grossbritannien schickt derweil als Reaktion auf Irans Angriffe weitere Kampfflugzeuge in die Region, wie Verteidigungsminister Grant Shapps mitteilte. «Diese Jets werden bei Bedarf alle Luftangriffe innerhalb der Reichweite unserer bestehenden Missionen abfangen», hiess es. (awp/mc/ps)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert