Steuern – G20-Dauerhit mit grossem Streitpotenzial
Berlin – Das Thema Steuern hat sich zur dauerhaften Nummer Eins auf der Hitliste der internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik gemausert. Die Debatte auf globaler Ebene beschränkt sich nicht mehr nur auf den Kampf gegen Steuerflucht von Grosskonzernen und Steuerbetrug von Superreichen, der Emotionen schürt und die öffentliche Debatte bisher bestimmte.
Es geht um noch mehr: den Zusammenhang von Steuern und Wachstum, um Fairness im weltweiten Steuerwettbewerb. Eine Harmonieveranstaltung wird der anstehende G20-Gipfel daher nicht. Es geht um Multimilliardensummen, die die eine Staatskasse gewinnt und die andere verliert.
Die Erbitterung, mit der der Streit über Steuer-Nachzahlungen von Apple und anderen US-Konzernen geführt wird, gibt eine Vorahnung auf das in diesen Fragen liegende Konfliktpotential.
Die Richtung für die neue Steuer-Debatte gaben kürzlich die Finanzminister der führenden Schwellen- und Industrieländer (G20) vor. «Wir anerkennen die wichtige Rolle, die die Steuerpolitik in unserer breiteren Agenda für ein starkes, nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum spielt», erklärten sie Ende Juli im chinesischen Chengdu.
Dort bereiteten die Minister den G20-Gipfel der Staats- und Regierungschefs vor, der am kommenden Sonntag in Hangzhou beginnt. Damit wird die Frage, wie man die Steuerpolitik gezielt und wirksamer als Wachstumstreiber nutzt, endgültig zur Chefsache.
Schliessen von Schlupflöchern
Es war der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, der das Thema Steuern 2012 bei einem G20-Treffen in Mexiko mit seinen Kollegen aus London und Paris erstmals prominent auf die Welt-Bühne hob. Er schob mit Unterstützung der Industrieländerorganisation OECD die sogenannte BEPS-Initiative an.
Dabei geht es um das Schliessen von Schlupflöchern für Konzerne, die die unterschiedlichen Steuergesetze nutzen und mit Gewinnverschiebungen Steuermilliarden sparen. Mittlerweile werden die BEPS-Vorschläge umgesetzt.
Daneben wollen ab 2017 über 100 Länder Steuerbetrügereien von Superreichen und damit dem Bankgeheimnis den Garaus machen, indem ihre Finanzbehörden automatisch Informationen austauschen. Auch den Steueroasen, von Panama bis zu den Cayman Islands, geht es an den Kragen. Ihnen drohen Strafmassnahmen, sollten sie nicht kooperieren.
Nächste Etappe
Jetzt steht die nächste Etappe an: Die Fragestellungen sind vielfältig. Wie können die untereinander konkurrierenden Staaten ihre Steuersysteme so aufeinander abstimmen und fortentwickeln, dass sie für mehr dauerhaftes Wachstum sorgen?
Wie kann man verhindern, dass sich Staaten mit «Sonderangeboten» gegenseitig Steuerschuldner wie Grosskonzerne zum Wohle ihrer Staatskasse abjagen? Wie kann man eine faire Besteuerung von Geschäften sicherstellen, die mit der Hilfe und über digitale Netze in Sekundenbruchteilen rund um den Erdball abgewickelt werden? Und in welchen Staaten sind diese steuerpflichtig?
Ende des Jahres übernimmt Deutschland von China die G20-Präsidentschaft. Die deutsche Regierung will das Thema Steuern zu einem der bestimmenden machen. Das ist heikel, denn es geht darum, wie Steuerbillionen künftig verteilt werden. und der Faktor Steuern ist entscheidend für die Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen und damit auch für Millionen von Jobs.
Unrechtmässige Steuervergünstigungen
Was das bedeutet, zeigt ein aktueller Konflikt. Die EU untersucht seit längerem, ob Konzerne wie Apple, Starbucks oder Amazon in EU-Staaten, namentlich Irland, unrechtmässig Steuervergünstigungen eingestrichen haben.
Im Fall von Apple entschied die Brüsseler Behörde am Dienstag, dass der Konzern bis zu 13 Milliarden Euro Steuern an Irland nachzahlen muss. Der US-Regierung gefällt das überhaupt nicht. Sie wirft der EU-Kommission vor, sich als supranationale Steuerbehörde aufzuspielen. Und auch Irland findet das Vorgehen nicht gut, weil das Land an Attraktivität einbüsst.
Dass sich die grossen Staaten der Welt auf einheitliche Steuersätze und -systeme zubewegen können, wäre zwar aus Wettbewerbsgesichtspunkten das ideale, ist aber, darin sind sich alle Experten einig, völlig unrealistisch.
Schäuble schob daher in Chengdu ein anderes Ziel in den Vordergrund: Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Transparenz der Besteuerung im Rahmen der geltenden Regeln. Das wiederum setzt wirksame, funktionierende Steuerverwaltungen voraus.
Kein Selbstzweck
Ein Selbstzweck ist der Ansatz, in Sachen Steuern zu mehr Gemeinsamkeiten in der G20 zu kommen, nicht. «Kein Land kann für sich alleine eine verlässliche Besteuerung sicherstellen», begründete Schäuble kürzlich die neue Dynamik.
Und OECD-Generalsekretär Angel Gurria geht noch weiter: für ihn ist ein faires, sozial gerechtes Steuersystem ein entscheidender Punkt für das Vertrauen der Bürger in die Politik. (awp/mc/ps)