Dr. Axel Müller, Geschäftsführer Intergenerika, im Interview

Dr. Axel Müller, Geschäftsführer Intergenerika, im Interview
Dr. Axel Müller, Geschäftsführer Intergenerika. (Foto: Intergenerika)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Müller, Sie sind seit 1.5 Jahren Geschäftsführer des Branchenverbandes Intergenerika. Welches sind die wichtigsten Entscheidungen, die Sie in dieser Zeit getroffen haben, welche grössten Projekte liegen auf Ihrem Schreibtisch?

Dr. Axel Müller: Auch unter meiner Führung setzt sich der Verband weiterhin für die stärkere Förderung von Generika in der Schweiz ein. Es gibt keinen Grund, weshalb die patentabgelaufenen Qualitätsarzneimittel in der Schweiz noch ein embryonenhaftes Dasein führen. Gerade hinsichtlich der für die Zukunftsfähigkeit des Schweizerischen Gesundheitssystems zentralen Sparbemühungen sind die qualitativ gleichwertigen und gleichzeitig bis zu 70% günstigeren Alternativen zu den Originalen von zentraler Bedeutung. Schon heute leisten Generika jährlich einen Sparbeitrag von einer Milliarde Franken – und bei dem tiefen Marktanteil von Generika liegt hier noch ein weit grösseres Sparpotential brach. Ein weiterer Fokus liegt auf der Verhinderung eines aktuell vom Bundesrat geprüften Referenzpreissystems für Medikamente.

Wie eine Dreivierteilmehrheit der Schweizer Bevölkerung, die Ärzteschaft und Apotheker lehnen wir einen Systemwechsel klar ab und treten in einer Allianz konzertiert dagegen an. Last but not least werden wir zukünftig Biosimilars, die Nachahmerprodukte von Biopharmazeutika, nicht zuletzt wegen der inhärenten Sparpotentiale zukünftig in der Schweiz fördern. Mit der ansteigenden Verbreitung von Biosimilars können zukünftig auch in der Schweiz noch zusätzliche signifikante Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe getätigt werden. Was mich besonders freut – wir konnten in diesem Jahr zwei neue Mitgliedsunternehmen für Intergenerika gewinnen und wollen unseren Verband zukünftig noch breiter abstützen.

Der Bundesrat möchte bis 2020 Referenzpreise für Medikamente einführen, deren Patentschutz abgelaufen ist. Sie wehren sich dagegen mit dem Argument, dass die Patienten keine Einschränkung wünschten. Viele Patienten benötigen aber schon Zuschüsse, um die Prämien überhaupt noch bezahlen zu können. Wäre es also nicht an der Zeit, alle möglichen Mittel zur Preissenkung zu unterstützen?

Lassen Sie mich vorab mit einem Missverständnis aufräumen – Medikamente sind in der Schweiz keine Kostentreiber, und Generika schon gar nicht. Im Gegenteil, die Arzneimittelpreise sind seit Jahren permanent am sinken. Aus verschiedenen Gründen ist ein Referenzpreissystem für die Schweiz ungeeignet. Bei dieser „Billigstmedizin“ bekommt der Patient nur noch das billigste Medikament von der Krankenkasse erstattet. Er wäre also der Wahlfreiheit beraubt. Ich kenne die mit dem Wegfall der Wahlfreiheit verbundenen Nachteile aus ganz persönlicher Erfahrung, ist doch meine Mutter in Deutschland eine der Millionen von Patientinnen und Patienten, die mit den nach dem Billigstprinzip und nicht nach den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Patienten verursachten Medikamentenwechseln konfrontiert sind.

Gerade bei älteren Menschen, die gleichzeitig mehrere Medikamente einnehmen müssen, können erzwungene Medikamentenwechsel erfahrungsgemäss zu grossen Problemen wie einer Übermedikation führen. Gemeinsam mit Ärzten, Apothekern und Patientenorganisationen lehnen wir ein Referenzpreissystem für Medikamente klar ab und setzen uns für den Erhalt des bewährten bestehenden Systems des differenzierten Selbstbehaltes ein, bei dem Patienten schon heute in einem sozial verträglichen Masse in die Selbstverantwortung gezogen werden.

«Erfahrungen aus der EU zeigen, dass die Gesundheitskosten durch die Einführung von Referenzpreisen bei Generika nur kurzfristig gesenkt werden.» Dr. Axel Müller, Geschäftsführer Intergenerika

Welche Erfahrungswerte gibt es aus Ländern, welche Referenzpreise eingeführt haben?

Erfahrungen aus der EU zeigen, dass die Gesundheitskosten durch die Einführung von Referenzpreisen bei Generika nur kurzfristig gesenkt werden. Längerfristig steigen die Kosten aber, weil die Ärzte eher wieder teurere Originalpräparate verschreiben. Auch deshalb, weil sie schlichtweg keine Zeit dafür haben, Patienten das komplizierte Referenzpreissystem zu erklären und ihnen die Zuzahlung in der Apotheke ersparen wollen. Ein weiteres Phänomen ist das Sterben der Anbieter im Markt. In vielen EU-Ländern herrscht ein ruinöser Preiskampf, bei dem sich Hersteller in Ausschreibungsverfahren immer weiter unterbieten. Mit dem steigenden Kostendruck auf Arzneimittelhersteller sinkt deren Interesse, margenschwache aber lebensnotwendige Medikamente wie Antibiotika weiter herzustellen. In der Schweiz würden Oligo- oder gar Monopole drohen und die Gefahr von Versorgungsengpässen drohen. Schon heute kommt es hierzulande vor, dass Ärzte händeringend nach einigen Medikamenten suchen.

Sie sind angetreten, um sowohl Advokat der Patienten und gleichzeitig Vertreter der Interessen der Generika-Industrie zu sein. Wenn man den Preisüberwacher fragen würde, eine wohl kaum lösbare Aufgabe, da Intergenerika, im Gegensatz zu den Prämienzahler, nicht an den günstigsten Preisen interessiert ist.

Die Vertretung dieser beider Interessen ist sehr wohl zu vereinbaren. Bei Intergenerika setzen wir uns für die qualitativ hochwertige Versorgung der Schweizer Bevölkerung durch Medikamente zu fairen Preisen ein. Leider schaut der Preisüberwacher nur auf den absoluten Preis und nicht auf das Preis-Leistungsverhältnis. Schweizer Patientinnen und Patienten bekommen viel Qualität für ihr Geld – neben passenden Darreichungsformen zur Sicherung der Compliance auch verwechslungssichere Verpackungen in den drei grossen Landessprachen. Und die Schweizerinnen und Schweizer wissen diese Qualität zu schätzen.

Laut einer repräsentativen, im Januar 2017 von dem Marktforschungsinstitut Gfs Zürich durchgeführten Befragung von 1005 Personen in der Deutsch- und Westschweiz spricht sich im Übrigen eine deutliche Mehrheit in der Schweizer Bevölkerung für den Erhalt der Wahlfreiheit bei Medikamenten aus. Demnach wären 78% der Befragten nicht bereit, zu einem Krankenkassenmodell zu wechseln, bei welchem die Krankenkasse und nicht der Arzt oder Apotheker bestimmt, welches Generikum zu verschreiben ist, auch wenn damit im Monat 3 Franken Krankenkassenprämie gespart werden kann. Eine ebenso deutliche Mehrheit der Schweizer Bevölkerung von 74% wären ebenfalls nicht bereit, zu einem Krankenkassenmodell zu wechseln, bei welchem die Krankenkasse nur noch das günstigste Generikum vergütet, auch wenn damit im Monat 5 Franken Krankenkassenprämie gespart werden kann.

«Während bei Originalpräparaten korrekt gleiches mit gleichem verglichen wird, enthält der Vergleich der Generika eine unzulässige Vereinfachung.»

Der Preisüberwacher hielt in einer Untersuchung von 2016 (und auch 2015) fest, dass die 20 umsatzstärksten Generika in der Schweiz im Durchschnitt deutlich mehr als doppelt so teuer sind als in den 15 untersuchten europäischen Vergleichsländern. Wie lässt sich das erklären und welche Massnahmen sollten getroffen werden, um hier Abhilfe zu schaffen?

Diese Auslandspreisvergleiche kritisieren wir seit Jahren, weil sie unzulässig und irreführend sind. Während bei Originalpräparaten korrekt gleiches mit gleichem verglichen wird, enthält der Vergleich der Generika eine unzulässige Vereinfachung: Statt fertiger Arzneimittel werden hier nur Wirkstoffe verglichen. Damit wird man dem Charakter eines Medikamentes nicht gerecht.

Die Gesundheitssysteme lassen sich nicht vergleichen, dafür sind sie viel zu unterschiedlich. Wir können uns nicht mit südeuropäischen Ländern, wie z.B. Portugal vergleichen. Wenn wir uns mit Ländern mit ähnlichen Systemen vergleichen, dann liegt der Preisunterschied nur noch bei 30 bis 40%. Das ist immer noch viel, aber dennoch signifikant weniger. Warum dieser Preisunterschied? Die Länder sind Länder der EU und haben freien Warenverkehr. Die Schweiz hingegen hat ein eigenes Zulassungsverfahren, zudem ist der Schweizer Markt mit gut 8 Millionen Einwohnern ein vergleichsweise kleiner Markt. Wenn man bei Herstellern kleinere Chargen bestellt, belasten die höhere Preise. Im Übrigen sind ja Produkte generell in der Schweiz teurer als in den meisten anderen Ländern in Europa.

Sie setzen sich mit Intergenerika für die Wahlfreiheit der Patienten ein. Das führt aber unweigerlich zu einer Verteuerung, da dann alle möglichen und gewünschten Produkte, Dosierungen, Verpackungsgrössen und Darreichungsformen angeboten werden müssen, unabhängig davon, ob es günstigere Varianten gäbe. Wie wollen Sie das in Zukunft handhaben?

Das Bundesamt für Gesundheit und swissmedic haben sehr konkrete Vorgaben. Damit ein Generikum von den Kassen erstattet wird, muss es in allen Dosierungen und Packungsgrössen angeboten werden, die auch der Originalanbieter führt. Das führt gerade bei weniger geläufigen Packungen zu immensen Mehrkosten. Hier könnte man sich Vereinfachungen vorstellen. Viel Geld liesse sich auch in der Vereinfachung des aktuellen Zulassungsverfahrens für Medikamente durch die Schweizerische Zulassungsbehörde swissmedic sparen. Es ist schwer nachzuvollziehen, weshalb selbst im Ausland schon bewährte Medikamente ein zum Teil noch aufwendigeres Verfahren hierzulande zusätzlich noch durchlaufen müssen.

Medikamente sind vom “Cassis de Dijon”-Prinzip ausgenommen, was nebst einem zusätzlichen administrativen Aufwand dazu führt, dass praktisch auch keine Parallelimporte möglich sind. Ist dies ein Bereich, in dem Sie eine Änderung anstreben?

Richtig, bei Medikamenten gilt das „Cassis de Dijon“-Prinzip nicht. Sie sind in der Schweiz erst marktfähig und kassenerstattet, nachdem sie von swissmedic zugelassen und vom BAG in die Spezialitätenliste aufgenommen wurden. Grundsätzlich sind Parallelimporte bei Medikamenten möglich. Reimporteure können beispielsweise günstige Generika im europäischen Ausland erwerben, importieren, in marktfähige Form bringen und vertreiben. Aber gerade gerade wegen des von den Behörden vorgegebenen teuren „Finish“ wird der Preisvorteil weggefressen. Aus diesem Grund lohnt sich ein Parallelimport nicht. Die vergleichsweise hohen Medikamentenpreise sind also das Resultat von inländischen Kosten und nicht exorbitant hohen Margen, wie das oft fälschlicherweise behauptet wird.

«Der Patient braucht das Vertrauen zu einem Produkt, das er kennt und dessen Wirkung er kennt.»

Eine grosse Verlustquelle sind Medikamente, die nicht eingenommen oder weggeworfen werden (Schätzungen gehen von bis zu 600 Millionen Franken pro Jahr aus). Wie können diese Verluste vermindert werden?

Sie sprechen das Thema Therapietreue beziehungsweise Compliance an. Aus dem Ausland wissen wir, dass diese Verschwendung gerade bei unnötigen Medikamentenwechseln, die beim Patienten zur Verwirrung und fehlerhafter Therapietreue führen, entsteht. Die Therapie ist ein Prozess, in dessen Zentrum die Arzt-Patientenbeziehung steht. Eine wesentliche Rolle für den Therapieerfolg spielen auch die patientenfreundliche Darreichungsform, die verwechslungssichere Verpackung und ergänzende Massnahmen zur Verbesserung der Therapietreue (Compliance). Der Patient braucht das Vertrauen zu einem Produkt, das er kennt und dessen Wirkung er kennt. Ständige aufoktroyierte Medikamentenwechsel sind Gift für die Therapietreue und Grund dafür, dass Medikamente ungenutzt in den Abfall wandern.

Sie haben den Vorschlag gemacht, dass Ärzte und Apotheker für alle abgegebenen Medikamente dieselbe Marge erstatten bekommen sollten, um Anreize zur Verabreichung von höherpreisigen Medikamenten zu unterbinden. Wie weit ist die Diskussion hier schon gediehen, wie realistisch ist die Einführung dieser Massnahme?

Das Anreizsystem muss angepasst werden. Heute wird der Apotheker oder selbstdispensierender Arzt bestraft, wenn er das günstigere Generika abgibt. Das macht aus unserer Sicht überhaupt keinen Sinn. Wir fordern gleichlange Spiesse für alle. Egal, ob Apotheker oder Arzt. Seine Dienstleistung ist unabhängig davon, ob er ein Originalpräparat oder ein Generikum verschreibt. Wir setzen uns bei Intergenerika für eine Gleichbehandlung ein, um den Sparbeitrag erhöhen zu können. Auch Patienten können durch die aktive Nachfrage nach Generika einen Sparbeitrag leisten, der den Krankenkassenbeitrag entlastet.

Sie möchten ein Schweizer Gesundheitssystem mit Versorgungssicherheit, Wahlfreiheit, Therapietreue und Innovationen, dazu gleich lange Spiesse für Generika und Original. Wie soll damit das Gesundheitswesen günstiger werden?

Noch einmal – die Medikamente sind nicht die Kostentreiber im Gesundheitswesen. Wir setzen uns für die systematische Förderung von Generika und zukünftig von Biosimilars ein. Mit den steigenden Volumina und sinkenden Stückkosten werden die patentabgelaufenen Qualitätsarzneimittel noch günstiger. Durch unser heutiges Preisfestsetzungssystem sinken Generikapreise immer weiter. Ein Präparat, für das Sie vor zehn Jahren noch 100 Franken bezahlt haben, kostet heute knapp die Hälfte.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?

Die Welt verfügt über Errungenschaften wie noch nie zuvor in der Geschichte. Sie sollten zum Nutzen aller Menschen gereichen und die wachsende Ungleichheit und Ungleichbehandlung bekämpfen. Uns geht es sehr gut in der Schweiz. Ich wünschte mir, dass sich die Menschen dieser privilegierten Stellung noch mehr bewusst sind, dafür kämpfen und sie nicht vorschnell aus der Hand geben.

Der Gesprächspartner
Seit dem 1. Mai 2016 hat Dr. Axel Müller die Führung des Verbandes Intergenerika inne. Müller ist promovierter Apotheker und verfügt über rund 30 Jahre Erfahrung in der Pharmaindustrie. Dabei war er in zahlreichen unterschiedlichen Funktionen zwischen Entwicklung, Zulassung und Markt tätig und bekleidete Führungspositionen in kleinen und grossen Unternehmen mit nationaler und internationaler Ausrichtung, meist mit Spezialisierung auf Generika.

Über Intergenerika
Intergenerika ist die Vereinigung der führenden Generikafirmen in der Schweiz, die ihrerseits über 90% des Generika-Volumens in der Schweiz repräsentieren. Intergenerika fördert die Akzeptanz von Generika durch Aufklärung von Medizinalpersonen, Fachverbänden, Krankenkassen und Patienten und fördert deren Verbreitung als qualitativ mindestens gleichwertige, jedoch preiswertere Arzneimittel. Im Weiteren plant und koordiniert der Verband die Kontakte zu Medien, Behörden und Vereinigungen im Bereiche von Medizinalpersonen und des Gesundheitswesens. Mit allen Massnahmen verfolgt Intergenerika das Ziel einer angemessenen Vertretung von Generika im schweizerischen Arzneimittelmarkt bzw. im schweizerischen Gesundheitswesen.

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