Kevin Kelly, CEO Heidrick & Struggles

Kevin Kelly, CEO Heidrick & Struggles

Kevin Kelly, CEO Heidrick & Struggles

Interview Teil 1

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: China hat begonnen, sehr intensiv ausländische Studenten für ihre Universitäten anzuwerben. Ist das Teil des „Kampfs um Talente“ in dem zurzeit Europa und die USA ihre Spitzenpositionen eventuell an neue Ausbildungszentren verlieren werden? Wie beurteilen Sie die Situation?

Kevin Kelly: Die ist momentan sehr spannend. Ich habe mir gerade den Ausdruck “Kampf um Talente” durch den Kopf gehen lassen. Als ich letztes Jahr in einem Meeting mit dem CEO eines chinesischen Unternehmens war, stand dieser auf und sagte: „Ich habe tolle Neuigkeiten. Der Kampf um Talente ist beendet. Die Talente haben gewonnen.“

Wir mussten alle lachen. Dann dachte ich aber, er hat Recht. In der heutigen Zeit, auch unter Berücksichtigung der Finanz- und Wirtschaftskrise, gibt es zwei entscheidende Faktoren: Portabilität und Mobilität. Portabilität wirft die Frage auf, ob man jemanden aus einer Schweizer Firma in einer anderen Schweizer Firma einsetzen kann. Oder: Kann man jemanden aus GE herausnehmen und in eine andere amerikanische Firma versetzen? Schon alleine diese kulturelle Anpassung innerhalb desselben Landes ist eine Herausforderung.

“In der heutigen Zeit, auch unter Berücksichtigung der Finanz- und Wirtschaftskrise gibt es zwei entscheidende Faktoren: Portabilität und Mobilität.” Kevin Kelly, CEO Heidrick & Struggles

Heute sehen wir uns mit der grossen Herausforderung der Mobilität konfrontiert. Sprachen wir früher von IQ (Intelligenz Quotient) und EQ (Emotionaler Quotient), befassen wir uns heute mit dem KQ (Kultureller Quotient). Wenn man kein Verständnis hat, wie sich unterschiedliche Kulturen nicht nur zwischen Firmen, sondern auch zwischen Ländern wie der Schweiz und China, Deutschland und Frankreich auswirken, wird man nur schwerlich Erfolg haben. Das ist heute eine Schlüsselkomponente. Um den Kreis zu schliessen: Der Grund, weshalb die Chinesen ausländische Studenten umwerben ist, dass die chinesischen Unternehmen zum ersten Mal gezielt und vehement nach Europa und Amerika expandieren wollen. Zuvor machten sich amerikanische und europäische Unternehmen auf der Suche nach Talenten auf nach China, heute verläuft die Entwicklung genau in der Gegenrichtung.

Was bedeutet das für die Spitzentalente Amerikas und Europas? Werden diese nach Asien ziehen, werden sie sich der neuen Kultur anpassen oder anpassen müssen?

Aus meiner Sicht werden es die Amerikaner am Schwersten haben. Und für mich als Amerikaner ist dies keine leichte Aussage. Sehen Sie, Sie selbst sprechen wahrscheinlich drei oder vier Sprachen. Sie verstehen, was es heisst, in einem anderen Land Ferien zu verbringen oder zu arbeiten. Die Europäer haben ein Fundament, das es ihnen erlaubt, in anderen Kulturen zu arbeiten. Amerika hingegen hat sich lange Zeit auf einen homogenen Markt fokussiert. Die Amerikaner werden sich der Herausforderung stellen müssen, die nötige Mobilität und Anpassungsfähigkeit zu entwickeln.

Der Wirtschaftsexperte Kjell Nordström meinte kürzlich, er mache sich um die USA überhaupt keine Sorgen, da ihre Fähigkeit, die besten Talente aus aller Welt förmlich aufzusaugen, immer noch ungebrochen funktioniere. Die politischen Verhältnisse in China hingegen seien noch zu unstabil als dass ausländische Talente permanent dort leben möchten. Wie beurteilen Sie diese Einschätzung?

Ich meine, dass viele amerikanische Unternehmen in den verschiedensten Märkten um Talente kämpfen. Auf der einen Seite haben wir einige der Top-Universitäten und die Studenten gehen wegen der hervorragenden Ausbildung dorthin. Auf der anderen Seite haben wir aber die Ungewissheit, ob diese bestens ausgebildeten Studienabgänger zum Beispiel von Harvard oder Wharton auch genügend mobil und in neue Märkte “portierbar” sind. Selbst chinesische oder indische Niederlassungen von amerikanischen Firmen stehen hier vor einer echten Herausforderung. Noch viel mehr trifft das auf chinesische oder indische Firmen zu, die Manager für ihre Niederlassungen im Ausland suchen.

“Ob wir es mögen oder nicht, die Welt ist in sich verschlungen und vernetzt. Der Markt ist heute einfach global, wie die aktuelle Finanzkrise gezeigt hat.”

Ein wenig kennen wir das in der Schweiz ja auch. Unter dem steigenden Druck gibt es eine Tendenz, statt sich zu öffnen, sich noch mehr zu verschliessen. Das führt dazu, dass sich auch talentierte Führungskräfte auf den lokalen Markt konzentrieren und Karriere zuhause machen wollen.

Etwas ganz ähnliches geschah in Japan, wo ich viel Zeit verbrachte. Ich glaube aber nicht, dass das auf lange Sicht eine sinnvolle Strategie ist. Ob wir es mögen oder nicht, die Welt ist heute vernetzt und der Markt global. Vor diesem Hintergrund ist der Unterschied zwischen China und Japan sehr interessant: Die Japaner legten ein Inselverhalten an den Tag und sind jetzt zur Expansion und zum Wachstum gezwungen. Die Chinesen hingegen laden jedermann in ihr Land ein, der dort Geschäfte machen will. Die Chinesen sehen das als Lernerfahrung.

Viele Unternehmen sind ja in China schon kläglich gescheitert, da sie zum Beispiel nicht verstanden haben, dass die List in China eine Tugend ist. Die Chinesen bewundern Menschen, denen es gelingt, andere zu überlisten, während dies im Westen vor allem im geschäftlichen Bereich verpönt ist. Wo sehen Sie die grössten kulturellen Barrieren zum Beispiel zwischen China und den USA?

Es gibt sehr grosse Unterschiede, wenn es zum Beispiel um geistiges Eigentum geht. Ich könnte stundenlang Geschichten zu Missbräuchen von geistigem Eigentum erzählen. Im Wesentlichen kommen wir zurück zum emotionalen und kulturellen Quotienten (EQ und KQ). Das wird in China eine grosse Herausforderung, unabhängig davon, dass die neue Generation technisch hervorragend ausgebildet ist. Wie werden diese jungen Menschen andere führen und managen? Werden sie sich nur auf der IQ-Seite aufhalten und mit Blackberry, technischen Systemen und per e-Mail Führung wahrnehmen? Um Ihre Frage konkret zu beantworten: Die Chinesen müssen sich vor allem auf die EQ-Seite der Gleichung fokussieren, indem sie sich öffnen, ausländische Studenten ins Land bringen, neue Kulturen kennen lernen und selbst ins Ausland expandieren. Das haben sie aber schon verstanden und bemühen sich darum.

Was bedeutet das für die europäischen und amerikanischen Universitäten? Was müssen diese tun, um die Studierenden besser auf die globalen Herausforderungen vorzubereiten?

Ich hielt vor etwa einem halben Jahr eine Rede und erwähnte darin eine Business-Schule. Dort verbringen die Studierenden 95 Prozent der Zeit mit Finanzen, operationeller Führung, Marketing und Strategie und etwa fünf Prozent mit der Interaktion mit Menschen. Dann kommen die Studenten aus der Schule, finden die erste Anstellung und verbringen fünf bis zehn Prozent der Zeit mit Strategie oder operationellem Management und 90 Prozent mit zwischenmenschlichen Belangen. Zumindest einige Universitäten fokussieren sich nun vermehrt darauf, wie man mit anderen Menschen kommuniziert, welche Schwierigkeiten in Gesprächen auftreten können, wie man offene und ehrliche Rückmeldungen gibt.

Wie sehr wir uns im Wandel befindet zeigt auch folgendes Beispiel: Ich traf zwei japanische Studenten einer berühmten amerikanischen Universität und fragte sie, wie viele der 600 Studierenden aus Japan kämen. “Sechs oder sieben”. In den 80-er Jahren waren es bis zu 80 Personen. Einer der Studenten fuhr fort: “20 Prozent der Studierenden in unserer Klasse kommen aus China.” Es sprechen also 120 Personen auf dem Campus Chinesisch, unabhängig davon, ob sie aus Singapur, dem Hinterland Chinas oder Taiwan kommen. Es besuchen also eine grosse Anzahl Studierenden noch die Ausbildungsstätten in den USA.

Wissen Sie, was mit diesen diese Talenten geschieht, nachdem sie die Ausbildung in den USA abgeschlossen haben? Gehen Sie zurück oder suchen sie eine Anstellung in den USA?

Viele versuchen in den USA eine Anstellung zu bekommen, was aber wegen der Visa-Bestimmungen nicht ganz einfach ist. Wenn ein amerikanisches oder europäisches Unternehmen sie einstellt, dann vorwiegend mit dem Ziel, die Talente wieder nach China zurück zu bringen, ihnen dort eine Aufgabe zu geben und eine Karriere zu ermöglichen. Dort ist nämlich der grösste Bedarf. In China haben wir eine spezielle Herausforderung auf der höchsten Management-Ebene mit der kulturellen Umstellung. In China selbst gibt es praktisch keine 50-jährigen Manager mit einer modernen Ausbildung. Hier werden wir oft um Hilfe gebeten.

“Die Chinesen müssen sich vor allem auf die EQ-Seite der Gleichung fokussieren, indem sie sich öffnen, ausländische Studenten ins Land bringen, neue Kulturen kennen lernen und selbst ins Ausland expandieren.”

Gibt es weitere solche Trends, die Sie in den letzten Jahren überrascht haben?

Wir sprechen seit Jahren davon, wie sich chinesische, japanische und koreanische Unternehmen international ausbreiten würden. Umso erstaunlicher war es deshalb, dass unerwartet vor allem indische Unternehmen stark expandiert haben. Für uns das Faszinierende daran ist, dass wir heute nicht nur Suchaufträge wahrnehmen, sondern auch Assessments von Spitzenkräften in Indien, dem Mittleren Osten und China durchführen. Wenn wir mit Führungskräften in der Schweiz oder Deutschland ein Assessment durchführen ist deren erste Frage danach meist: “Wie habe ich gegenüber gleichrangigen Kollegen abgeschnitten? Was muss ich tun, um mich noch zu verbessern?” Im Vergleich dazu fragen die Führungskräfte aus Indien oder China meistens: “Wie habe ich gegenüber einer Führungskraft von GE (General Electric) abgeschnitten?” Das ergibt eine völlig andere Wahrnehmung.

Heisst das, dass nicht nur das mittlere Kader viel hungriger ist, sondern sich auch die Spitzenleute auf einer globaleren Ebene vergleichen, als wir das hier lokal tun?

Das ist korrekt.

In Gesprächen mit Schweizer CEOs zeigen sich diese vermehrt überrascht, wie wenig begeistert Führungskräfte auf Positionen ausserhalb der Schweiz reagieren. Die von Ihnen zuvor erwähnte Mobilität scheint hier weitgehend zu fehlen. Als Argumente dienen das familiäre Umfeld oder die soziale Verankerung. Selbst bei Aussicht auf eine bessere Karriere wird ein Auslandengagement abgelehnt. Ist das typisch für die Schweiz und Europa?

(Lacht) Ich dachte eigentlich, das sei typisch für Amerika. Wenn es um die Besetzung von Führungspositionen geht, werden wir konstant nach Personen gefragt, die Erfahrungen in unterschiedlichen Kulturen und Märkten gemacht haben. Persönlich hatte ich das Glück, dass ich 10 Jahre in Asien und danach 3.5 Jahre in London leben durfte. Ohne diese Erfahrung könnte ich meine heutige Aufgabe nicht wahrnehmen. Es sind oft kleine Dinge: Wissen, wie man sich am besten in Shanghai oder Hong Kong zurecht findet, verstehen, wie man ein Geschäft abschliesst, akzeptieren, dass es unterschiedliche Wege zur Lösung eines Problems gibt. Eigentlich geht es immer darum, Vertrauen und eine echte Beziehung aufzubauen.

Gibt es qualitative Unterschiede bezüglich der Länder, in denen man gearbeitet haben sollte? Suchen Sie vor allem Personen, die in Asien Erfahrungen gesammelt haben? Oder genügt es, in Amerika gearbeitet zu haben, um für eine Führungsposition im Westen in Frage zu kommen?

Ich denke, das hängt sehr vom Unternehmen ab. Dennoch glaube ich, dass man möglichst in unterschiedlichen Regionen gearbeitet haben sollte. Ob das dann die USA sind, Asien, Europa, oder auch Lateinamerika, ist Nebensache. Die grosse Herausforderung ist, die Familie für solche Engagements zu begeistern.

Weitere Qualitäten für Führungskräfte, die immer wieder gefordert werden, sind Kreativität und Innovation. Einige Experten sehen gerade hier ein Problem in China. Dort seien zwar viele Talente vorhanden, die aber im herrschenden politischen System kaum Kreativität und Innovation entwickeln konnten. Wie sehen Sie das?

Beide Fähigkeiten sind im Geschäftsleben sehr wichtig und beide sind in vielen Unternehmen ungenügend vorhanden. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Begebenheit bei Ericsson. Der damalige CEO sprach mit Sergey Brin und Larry Page, den Gründern von Google, über Kreativität und Innovation. Dabei sah er, wie die beiden ein mobiles Gerät benutzten. Plötzlich meinte er: “Wir müssen uns zum Software-Unternehmen entwickeln, weg von der Hardware und versuchen, innovativer und kreativer zu werden.” In Japan gibt es ein Sprichwort: “Der Nagel, der herausragt, wird eingeschlagen.” Kreativität wurde lange im Keime erstickt. Durch die technologische Entwicklung konnte die Unterdrückung von Innovation und Kreativität nicht mehr aufrechterhalten werden. Heute haben wir in Indien und China mehr Ingenieure als in der westlichen Welt. Wir werden sehen, wie sich die Einführung von Facebook und Google in China auswirken wird.

Gerade Facebook und Google zeigen doch, dass das System in China noch nicht bereit ist für diese Art der Offenheit, was wiederum ein Anzeichen dafür ist, dass es für China schwierig wird, an der Spitze der technischen Evolution oder sogar Revolution zu stehen. Sehen Sie das als Problem oder wird China uns mit einem völlig eigenen Weg überraschen?

Ich habe die genauen statistischen Fakten nicht präsent, aber Asien weist von Singapur über Thailand, Vietnam bis nach China ein viel tieferes Durchschnittsalter der Bevölkerung aus als die westliche Welt. Diese jungen Menschen benutzen die technologischen Möglichkeiten intensiv. So hat zum Beispiel Korea eine der weltweit höchsten Rate für die Internetnutzung. Dies und die hohen Investitionen in die Ausbildung werden es verunmöglichen, Kreativität und Innovation zu unterdrücken.

Der zweite Teil des Interviews folgt in Kürze.

Der Gesprächspartner:
Kevin Kelly ist der CEO von Heidrick & Struggles, einem global tätigen Beratungs- und Vermittlungsunternehmen von Führungskräften. In seiner erfolgreichen Laufbahn unterstützte er einige der weltweit innovativsten Firmen bei der Gestaltung von Führungs-Teams. Kevin Kelly begann seine Karriere bei Heidrick & Struggles 1997 in der Niederlassung in Tokyo, war danach Regional Manager für Asia Pacific, danach für Europa und ist seit 2006 er CEO des Unternehmens. Kevin Kelly besitzt einen Bachelor der George Mason University in Fairfax, Virginia und einen MBA der Duke University’s Fuqua School of Business. Als Autor veröffentlichte er unter anderem 2010 “Leading in Turbulent Times”. Aus der Erfahrung von 35 global tätigen CEOs wird dokumentiert, was sie aus der Krise 2008-2009 gelernt haben und wie dieses Wissen Führungskräfte nach dem Abschwung zugute kommen kann.

Das Unternehmen:
Heidrick & Struggles International Inc. ist weltweit führend in der Vermittlung und Beratung von Führungskräften. Im Kerngeschäft Top Executive Search, das sich auf die Vermittlung von Verwaltungsräten, C-Level- und Senior Management-Positionen konzentriert, setzt Heidrick & Struggles seit rund 60 Jahren wichtige Impulse für die Branche. Stark ausgebaut wurde in den letzten Jahren der Bereich Leadership Consulting, der Dienstleistungen wie die Beurteilung, Betreuung und Weiterbildung von Führungskräften – von der Einführung bis zur Nachfolgeplanung –, die Förderung und das Management von Talenten und die Beratung bei der Integration des Humankapitals bei M&As umfasst. Das Unternehmen ist in Europa, Nordamerika, Lateinamerika, Afrika, im Mittleren Osten und in Asia Pacific tätig. In der Schweiz verfügt Heidrick & Struggles über Büros in Zürich und Genf.

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