Marcel Keller, Country President Adecco Gruppe Schweiz, im Interview
von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Keller, der Adecco Group Swiss Job Index scheint eine Talsohle des Konjunkturtiefs anzudeuten. Ich sage bewusst «scheint». Wie sehen Sie das?
Marcel Keller: Der negative Trend der letzten drei Quartale setzt sich im dritten Quartal zumindest nicht weiter fort. Laut der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH sind erste Anzeichen einer konjunkturellen Erholung erkennbar, auch wenn diese derzeit noch sehr fragil ist. Sollte sich die Erholungstendenz verfestigen, könnte auch das Wachstum auf dem Arbeitsmarkt wieder an Fahrt gewinnen.
Schweizweit liegt die Anzahl offener Stellen aber doch um 12 Prozent tiefer als im Vorjahresquartal (Q3 2023) …
Genau, die aktuelle Lage auf dem Schweizer Arbeitsmarkt ist nicht mehr so gut wie im Vorjahr. Dennoch gibt es weiterhin mehr offene Stellen als vor der Corona-Pandemie.
Mittlerweile trägt die Baubranche ja rund ein Zehntel des Schweizer Bruttoinlandproduktes. Adecco sieht in der Stabilisierung der Bauindustrie offenbar den Hoffnungsträger für die Wirtschaft?
Laut unseren Auswertungen hat sich das Stellenwachstum für Bauberufe dynamischer entwickelt als das gesamtschweizerische Stellenwachstum. In den letzten acht Jahren ist die Zahl der offenen Stellen für Bauberufe um 70% gestiegen, während schweizweit ein Anstieg von knapp 40% verzeichnet wurde. Die Baubranche ist somit ein bedeutender Arbeitgeber auf dem Schweizer Arbeitsmarkt.
«Die aktuelle Lage auf dem Schweizer Arbeitsmarkt ist nicht mehr so gut wie im Vorjahr. Dennoch gibt es weiterhin mehr offene Stellen als vor der Corona-Pandemie.»
Marcel Keller, Country President Adecco Gruppe Schweiz
Besonders Berufe mit Planungs- und Leitungsfunktionen sind im Baugewerbe aber von einem stärkeren Rückgang betroffen. Die Zahl der ausgeschriebenen Stellen für Architektinnen/Bauingenieure ist um 17 Prozent zurückgegangen. Wird bei den etwas höheren Gehältern gespart?
Unsere Auswertungen zeigen, dass Bauberufe mit Planungs- und Leitungsfunktionen derzeit stärker von der Eintrübung der Baukonjunktur betroffen sind. Eine mögliche Erklärung hierfür ist der rückläufige Auftragseingang, der den Bedarf an Fachkräften in diesen Bereichen verringert, da Planungs- und Leitungsfunktionen überwiegend in den frühen Phasen von Bauprojekten gefragt sind. Ein Rückgang bei den neuen Aufträgen führt dazu, dass Unternehmen weniger Personal für die Planung und Überwachung von Projekten benötigen.
Haben solche Verschiebungen auch Einfluss auf das Geschäft von Adecco?
Solche Verschiebungen beeinflussen unser Geschäft. Aber weil wir in ganz unterschiedlichen Sektoren tätig sind, gleicht sich dies oft aus. So können wir weiterhin einen positiven Beitrag zum Arbeitsmarkt leisten.
Gemäss einer Studie des Schweizerischen Baumeisterverbands werden im Jahr 2040 etwa 5600 Fachkräfte im Bauhauptgewerbe fehlen. Könnten in Zukunft vielleicht Quereinsteiger der Schlüssel im Kampf gegen den Fachkräftemangel sein?
Die Studie des Schweizerischen Baumeisterverbands identifiziert insgesamt vier Massnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in der Baubranche. Erstens die Erhöhung des Anteils von Quereinsteigern in Kaderpositionen, zweitens die Senkung der Branchenausstiegsquote. Dann die Steigerung der Zahl der Mauer-Lehranfänger und schliesslich die Erhöhung der Weiterbildungsquote.
Die von Ihnen erwähnten Quereinsteiger können demnach ein Schlüssel im Kampf gegen den Fachkräftemangel sein. Die Studie betont jedoch, dass keine einzelne Massnahme ausreicht, ja und dass selbst die Kombination aller vorgeschlagenen Massnahmen den Fachkräftemangel nicht vollständig beseitigen kann. Wenn nicht noch weitere, zeitnahe Massnahmen ergriffen werden, muss in praktisch allen Fachberufen des Bauhauptgewerbes mit einem dauerhaften Mangel gerechnet werden, heisst es in unserer Studie.
Im Q2 Halbjahresvergleich gegenüber dem Vorjahr mussten vor allem Akademikerberufe unten durch. Hat sich das jetzt im dritten Quartal etwas verbessert?
Im Vergleich zum Vorjahresquartal Q3 2023 verzeichnen die Mehrheit der Hochschulberufe weiterhin eine negative Stellenentwicklung. Insbesondere die Hochschulberufe Informatik mit -35% und die Hochschulberufe Naturwissenschaften mit -10% verzeichnen starke negative Veränderungen. Einzige Ausnahme sind die Hochschulberufe Wirtschaft (+1%), welche auf dem Niveau des Vorjahresquartals verharren.
«Besonders die Hochschulberufe Informatik mit -35% und die Hochschulberufe Naturwissenschaften mit -10% verzeichnen starke negative Veränderungen.»
Viele Ärzte und Maurer sind Babyboomer. Sie werden in den nächsten Jahren vor allem an der Spitze der Bedürfnispyramide in der Schweiz ihrer Pensionierung fehlen. Was tun?
Auch hier lassen sich vier Massnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels identifizieren: Steigerung der Arbeitsproduktivität etwa durch den verstärkten Einsatz von Digitalisierung, KI und Automatisierung. Zuwanderung durch gezielte Rekrutierung fehlender Fachkräfte aus dem Ausland.
Dann die Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials zum Beispiel durch Anreize zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, etwa durch besseren Zugang zu Kinderbetreuungsangeboten und das „Reskilling/Upskilling“ der Mitarbeitenden.
Das KOF sieht im verarbeitenden Gewerbe wieder mehr Nachfrage. Das ist in Europa momentan sogar eine Ausnahmesituation. Was macht die Schweiz besser?
Laut KOF hatten sich die Beschäftigungsaussichten im verarbeitenden Gewerbe im Sommer deutlich verbessert. Diese positive Entwicklung stand im Einklang mit einer spürbaren Verbesserung der Geschäftslage in diesem Wirtschaftsbereich, die vor allem von der Pharma- und Chemiebranche getragen wurde. Ohne deren Beitrag hätte sich der Geschäftslageindikator des verarbeitenden Gewerbes nicht nach oben bewegt. Laut dem aktuellen Geschäftslageindikator der KOF ist diese frühere Verbesserung jedoch inzwischen wieder abgeklungen. Die Geschäftslage im verarbeitenden Gewerbe hat sich im September leider erneut verschlechtert.
«Die Geschäftslage im verarbeitenden Gewerbe hat sich im September leider erneut verschlechtert.»
Bald kommt auch der detaillierte Swiss Skills Shortage Index 2024 heraus. Erwarten Sie, dass die Nachfrage nach IT-Jobs wieder ins Positive gedreht hat?
Wir stellen fest, dass das Stellenangebot für IT-Jobs in diesem Jahr weiter zurückgegangen ist. Zudem weisen die Arbeitslosenzahlen für den September darauf hin, dass es in der Informatikbranche deutlich mehr Arbeitslose gibt als im gleichen Monat des Vorjahres (+38,9 %). Wir erwarten also nicht, dass die Nachfrage nach IT-Jobs wieder ins Positive gedreht hat.
Mitarbeitende in modernen Berufen wie den Lebenswissenschaften oder der Raumfahrt haben laut einer weltweiten Umfrage der Adecco Gruppe am wenigsten Ängste vor den Herausforderungen durch künstliche Intelligenz. Überrascht Sie das?
Nein, denn Mitarbeitende in technologieorientierten Branchen wie Lebenswissenschaften und Raumfahrt sind oft Vorreiter bei der Anwendung von KI. Sie sehen KI eher als unterstützendes Werkzeug und weniger als Bedrohung, da ihre Arbeit oft stark auf kreative und strategische Fähigkeiten angewiesen ist, die schwer zu ersetzen sind.