Marcel Stalder, Market Segment Leader EY Financial Services Schweiz

Marcel Stalder, Market Segment Leader EY Financial Services Schweiz. (Foto: zvg)

von Robert Jakob

Moneycab.com: Herr Stalder, Vertrauen und Reputation sind die zentralen Erfolgsfaktoren für Finanzdienstleister. Banken gelten als Bonijäger und Versicherungen als Erbsenzähler. Wie soll da Vertrauen beim Kunden entstehen können?

Marcel Stalder: Es stimmt: Boni-Exzesse sind wenig hilfreich beim Aufbau von Vertrauen. Doch bei aller Kritik gerät zu häufig in Vergessenheit, dass Banken und Versicherungen zentrale Funktionen für die Volkswirtschaft übernehmen, wie die Bereitstellung von Krediten für Unternehmen und Privathaushalte sowie die Abfederung von Lebensrisiken. Diese Aufgaben sind teilweise sehr komplex und müssen entsprechend entlohnt werden – nicht zuletzt, um im globalen Wettbewerb um die besten Talente als einzelnes Unternehmen und Standort zu bestehen.

Oft gerät die nachfragewirksame Seite für die gesamte Schweizer Volkswirtschaft in Vergessenheit: Von der Kaufkraft der Bank- und Versicherungsangestellten in der Schweiz profitieren auch andere Berufe – nicht zuletzt weniger hoch qualifizierte Arbeitskräfte.  Zudem ist, was die Stabilität der Finanzinstitute angeht, gerade in der Schweiz in den letzten Jahren durch regulatorische Massnahmen und deren Umsetzung sehr viel geschehen, das neues Vertrauen rechtfertigt.

Wie hilft denn EY seinen Kunden aus der Finanzindustrie beim Aufbau des Kapitals mit Namen Vertrauen?

Wir unterstützen durch unsere Dienstleistungen Unternehmen aus dem Finanzsektor dabei, sich fit für die Zukunft zu machen und damit unserem Anspruch von „Building a better working world“ gerecht zu werden. Denken Sie an die zahlreichen Regulationen in den Bereichen Eigenkapital, Steuertransparenz und grenzüberschreitendes Wirtschaften. Die Unternehmen zählen hier auf unsere Beratungs- und Prüfungsexpertise und gewinnen auf diese Weise an wirtschaftlicher Sicherheit und Stabilität und somit Vertrauen.

In Zukunft – und diese hat bereits begonnen – wird die erfolgreiche digitale Transformation, die vor allem  von den nachwachsenden Kunden getrieben wird, durch Effizienzgewinne und innovative Dienstleistungen Vertrauen schaffen können. Die digitale Welle ist sozusagen dabei, die regulatorische Welle abzulösen.

«Bei aller Kritik gerät zu häufig in Vergessenheit, dass Banken und Versicherungen zentrale Funktionen für die Volkswirtschaft übernehmen.»
Marcel Stalder, CEO EY Financial Services Schweiz

Zwischen erstem Kontakt und Geschäftsabschluss verlieren Banken über 55% der Kunden und Versicherungen sogar mehr als 70%. EY bezeichnet dies als suboptimal. Ich finde diese Verhältniszahlen gar nicht mal so schlecht. Vergleichen Sie doch das mal mit den Ergebnissen auf einem gewöhnlichen Marktplatz…

Der Unterschied zu einem gewöhnlichen Marktplatz liegt darin, dass mit dem Besuch einer Website beziehungsweise Filiale einer bestimmten Bank oder Versicherung eigentlich schon eine Willensbekundung stattgefunden hat – anders als bei einem Markt, wo man beim Schlendern irgendwann irgendwo hängen bleibt. Auf diese Willensbekundung gilt es für die Finanzinstitute entsprechend einzugehen: durch eine konsequente Ausrichtung auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden sowie schnelle und hindernisfreie Abläufe bis hin zum Abschluss und darüber hinaus.

Was ist daran neu?

Wir gehen so weit, zu sagen, dass die digitale Revolution die grösste Veränderung für die Wirtschaft seit der industriellen Revolution darstellt. Die Geschäftsmodelle der Finanzdienstleister als auch anderer Industrien werden sich komplett verändern.  Die betrifft insbesondere den Aussendienst: Früher versuchte eine Verkaufsorganisation, Dinge im eigentlichen Wortsinn zu verkaufen, im „Push-Konzept“. Die digitale Welt, welche mobile-zentriert sein wird, wird viel mehr über „Eco-Systeme“ funktionieren. Es geht darum, potenziellen Kunden in Verbund von verschiedenen Anbietern zeitgerechte Angebote zu unterbreiten. Diese Kunden werden dann ortsunabhängig ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend nachfragen, eben im „Pull-Konzept“.

Um sich in dieser digitalisierten Welt behaupten zu können, werden sich viele Unternehmen massgeblich verändern müssen. Auch EY wird sich von einem Brand, der für Audit, Tax, Finance und Risk Consulting steht, transformieren müssen, hin zu einem Brand, der mit dem notwendigen strategischen Beratungsansatz und IT-Know-how aufwarten kann, um die Kunden auf diesem Transformationsprozess vollumfänglich begleiten zu können – hier haben wir unter den Big 4 die Nase vorn.

«Immer noch wünschen die meisten Kunden eine persönliche Beratung für bestimmte Dienstleistungen  – unabhängig davon, ob diese in der Filiale oder vor dem PC stattfindet.»

Klar: Vorauswahl und Kundenführung durch digitale Kanäle sind entscheidende Leistungsfaktoren, welche die Kosten im Griff halten. Aber wo liegen die Grenzen?

Zunächst geht es nicht unbedingt um Kostensenkung, sondern um Investitionen in Technologie und Training, um ein optimales Verkaufsverhalten zu garantieren und damit Wachstum zu generieren. Die Welten von on- und offline dürfen dabei nicht isoliert betrachtet werden, wie unsere Customer-Pulse-Studie belegt.  Eine hindernisfreie Überführung zwischen den beiden Welten ist essenziell. Unsere Studie zeigt ferner: Immer noch wünschen die meisten Kunden eine persönliche Beratung für bestimmte Dienstleistungen  – unabhängig davon, ob diese in der Filiale oder vor dem PC stattfindet.

Versicherungskunden haben gemäss Ihrer neuesten Customer Pulse – Studie eine höhere Zahlungsbereitschaft als Bankkunden für Beratungsdienstleistungen. Weshalb dieser Unterschied?

Bei Banken gelten bestimmte Dienstleistungen wie Steuerberatung in der Vermögensverwaltung, als gegeben. Dies ist bei Versicherern seltener der Fall, da einige Dienstleistungen noch nicht als selbstverständlich  angesehen werden. Die Intensität des Wettbewerbs wird entscheidend dafür sein, ob diese Unterschiede bestehen bleiben oder irgendwann nivelliert werden. Aber es ist schon richtig: Versicherer haben noch Potenzial, mögliche Kunden auf ihre gesamte Produktpalette aufmerksam zu machen und ihr Portfolio stärker zu vermarkten, um damit nicht nur ihre Kernkompetenzen, sondern ihr gesamtes Dienstleistungsangebot angemessen zu positionieren.

«Versicherer haben noch Potenzial, mögliche Kunden auf ihre gesamte Produktpalette aufmerksam zu machen und ihr Portfolio stärker zu vermarkten.»

Die nächsten Jahre werden für die Finanzindustrie noch anstrengender, zwischen Basel III, Solvency II, und all den regulatorischen Bürokratismen kommen nicht nur die Finanzberater, sondern auch die IT-Abteilungen gewaltig ins Schwitzen. Wo und wie kann da Zeit und Geld gespart werden?

Vielerorts gilt es, die Grundsatzentscheidung zu treffen, ob man versucht, die alten Systeme in die „neue Welt“ zu überführen, oder ob man gleich einen Neustart wagt. Bei zahlreichen Systemen ist der Lebenszyklus ohnehin am Ende, so dass sich jetzt eine optimale Gelegenheit bietet, diese durch neue Systeme zu ersetzen und damit auch den neuen Herausforderungen begegnen zu können. Aufgrund der Effizienzpotenziale, die in den neuen Systemen stecken, lassen sich diese zum grössten Teil auch durch einen geringeren Personalaufwand als früher betreuen.

Der rasante Ausbau der Steuertransparenz wirft doch allerlei Fragen nach dem zusätzlichen Steuerertrag in Verhältnis zum erhöhten Verwaltungsaufwand und den damit einhergehenden Kosten für  Unternehmen und Banken auf…Werden wir 10 magere Weltwirtschaftsjahre vor uns haben, weil das Geld in der Wirtschaftsmaschinerie nicht mehr richtig fliesst?

Es ist natürlich schon zu hinterfragen, ob der zusätzliche Verwaltungsaufwand den gewünschten Mehrertrag zeitigt. Gerade deshalb ist es notwendig, dass die Finanzinstitute gemeinsam mit der Politik das herausholen, was verhandlungsseitig noch möglich ist. Ferner müssen die neu einzuführenden Prozesse so schlank wie möglich gestaltet werden. Hierbei spielt die „Digitale Transformation“, aber auch „Big Data“ eine entscheidende Rolle: Nur mit dem vollen Einsatz des Potenzials der neuen Systeme und Instrumente können die Aufgaben bewältigt und der Aufwand sowie die damit einhergehenden Kosten in einem erträglichen Rahmen gehalten werden.

Sie setzen stark auf die digitale Transformation, haben gar eine recht prestigeträchtige Initiative «Digital Zurich 2025» mit lanciert. Ist das mehr als ein Standortwerbungs-Instrument?

Die Bedeutung der digitalen Transformation kann gar nicht überschätzt werden. Wir müssen und werden weiterhin in unsere Digital-Kompetenzen investieren und dürfen nicht einfach nur darauf hoffen, dass andere zu uns kommen bzw. die anstehenden Aufgaben für uns übernehmen. Dies gilt für EY als Unternehmen als auch für die gesamte Schweizer Wirtschaft und nicht zuletzt für den Standort Zürich.

Deshalb haben wir einige bedeutende Massnahmen beschlossen. Die Initiative Digital Zurich 2025 wird unter anderem  einen jährlich stattfindenden Digital-Kongress mit globaler Ausstrahlung lancieren und einen „Swiss Investor Summit“ veranstalten. Dieser wird terminlich mit dem Weltwirtschaftsforum in Davos abgestimmt. Am Summit treffen ausgewählte Schweizer Start-ups mit globalem Wachstumspotenzial auf internationale Investoren und Wirtschaftsführer. Unter der Massnahme „Swiss Creative & Digital Academy“ sollen dann das Know-how und die Kräfte von Hochschulen, Branchenexperten und ICT-Unternehmen gebündelt werden.

Wie sind Sie in das Projekt eingebunden?

EY ist offizielles Gründungsmitglied und daher sind wir von Anfang an in das Projekt eingebunden gewesen. Nun wird ein Verein gegründet, um operativ tätig sein zu können.

«Wir müssen und werden weiterhin in unsere Digital-Kompetenzen investieren und dürfen nicht einfach nur darauf hoffen, dass andere zu uns kommen bzw. die anstehenden Aufgaben für uns übernehmen.» 

Wann?

Noch im September.  In diesem Verein werde ich als Vorstandsmitglied fungieren. Wir werden gemeinsam versuchen, Zürich als digitalen Hub bekannter und attraktiver zu machen und stellen dafür auch EY-Mitarbeitende bereit, die die Vernetzung und den Austausch zwischen den Initiativteilnehmern und natürlich vor allem gegenüber den Start-Ups, den Investoren und anderen Stakeholdern organisieren und ausbauen.

Wieso heisst es Digital Zurich 2025 und nicht 2020 oder 2030?

Es ist natürlich auch ein psychologischer Faktor dabei. Wenn man die Welt verändern will, darf der angesetzte Zeitraum nicht zu kurz sein, sonst ist es unrealistisch. Ist der Zeitraum wiederum zu lang, verspüren viele nicht die Dringlichkeit, die aber sehr wohl gegeben ist.

Wird Zürich München oder Berlin als IT-Zentrale ablösen können?

Für den Erfolg oder Misserfolg einer solchen Initiative sind immer Menschen und ihr persönlicher Einsatz entscheidend. Zürich wie auch München und Berlin sind als Standorte gut positioniert, aber Individuen mit einer Vision sowie Ambitionen und Potenzial machen den Unterschied. Und hierin stimmt mich die Zusammensetzung der Initianten von Digital Zurich 2025 sehr zuversichtlich.

Zur Person:
Der Betriebsökonom Marcel Stalder ist Mitglied des EMEIA Financial Services Führungsteams sowie des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung von Ernst&Young  Schweiz.  Er stiess 1996 zu EY und leitete in dieser Zeit komplexe Beratungsmandate im Versicherungssektor. Unter anderem war Stalder an der Entwicklung und Einführung  der «Global EY Audit Methodology» beteiligt.  Im Jahr 2012 wurde Marcel Stalder in die Geschäftsleitung von EY Schweiz gewählt und übernahm 2013 die Leitung von EY Financial Services Schweiz.

Zum Unternehmen:
Die globale EY-Organisation ist eine Marktführerin in der Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Transaktionsberatung und Rechtsberatung sowie in den Advisory Services. Jedes EYG-Mitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig und unabhängig und haftet nicht für das Handeln und Unterlassen der jeweils anderen Mitgliedsunternehmen. Die EY-Organisation ist in der Schweiz durch die Ernst & Young AG, Basel, an zehn Standorten sowie in Liechtenstein durch die Ernst & Young AG, Vaduz, vertreten. Die Schweizer Ländergesellschaft von EY mit Hauptsitz in Basel erzielte im Geschäftsjahr 2013/2014 einen Umsatz von 573,8 Mio. CHF und belegt in der Schweiz den ersten Platz bei der Prüfung von SMI-Gesellschaften. In der Schweiz kann EY auf eine fast hundertjährige Geschichte zurückblicken, die 1917 mit der Gründung der Allgemeine Treuhand AG (ATAG) begann, welche 1991 zur ATAG Ernst & Young AG wurde, seit 2000 nur noch Ernst & Young genannt.

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