Markus Bernsteiner, CEO Stadler Rail, im Interview

von Robert Jakob
Moneycab.com: Herr Bernsteiner, das letzte Jahr war geprägt durch drei grössere Naturkatastrophen, welche Stadler-Fabrikgebäude heimsuchten. Führt das eigentlich im Nachgang zu höheren Versicherungsprämien?
Markus Bernsteiner: Die drei Naturkatastrophen im Wallis, in Niederösterreich und vor allem in Valencia haben sich 2024 gravierend auf unser Geschäft ausgewirkt. Sie führten zu massiven Verzögerungen und Unterbrüchen in der Produktion und beeinträchtigten die Lieferketten erheblich. Wir stehen diesbezüglich in engem Kontakt mit unseren Versicherungspartnern. Da die Schadensreglung noch nicht abgeschlossen ist, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, ob sich diese Ereignisse auf die Prämien auswirken werden.
200’000 Arbeitsstunden und 350 Millionen Umsatz mussten wegen der Herbstunwetter in Valencia auf 2025/2026 verschoben werden. Das entspricht rund einem Zehntel eines Jahresumsatzes. Wie gelang ihnen die kundenfreundliche Abarbeitung dieses unfreiwilligen Backlogs?
Diese Zahlen verdeutlichen, vor welche Herausforderungen uns die Folgen des Unwetters gestellt haben und immer noch stellen. Um die Verzögerungen so gering wie möglich zu halten, haben wir umgehend ein Aufholprogramm gestartet. Dieses setzen wir konsequent um. Darüber hinaus haben wir die Lieferpläne projektbezogen angepasst und gemeinsam mit unseren Kunden Lösungen erarbeitet. Parallel dazu organisieren wir Lieferketten neu und unterstützen Lieferanten, damit sie ihre Produktion so schnell wie möglich wieder aufnehmen können.
Stadler hat ein volles langfristiges Auftragsbuch. Mit welcher Personaldecke rechnen Sie für die nächsten zehn Jahre?
Im vergangenen Jahr haben wir weltweit über 1’200 neue Vollzeitstellen geschaffen, davon 300 in der Schweiz. In der Schweiz alleine beschäftigt Stadler aktuell über 5600 Angestellte, weltweit 15200. Wie der Auftragsbestand von 29,2 Milliarden Franken zeigt, sind wir mit unserem breiten und innovativen Produktportfolio im stark wachsenden Markt für Schienenfahrzeuge sehr gut positioniert. Wir gewinnen viele Aufträge. Wir sind gut aufgestellt, um erfolgreich zu bleiben. Deshalb rechnen wir mittelfristig mit einem weiteren Personalaufbau.
«In der Schweiz alleine beschäftigt Stadler aktuell über 5600 Angestellte, weltweit 15’200.»
Markus Bernsteiner, CEO Stadler Rail
Wie stark wird Stadler Rail vom deutschen Infrastrukturprogramm profitieren?
Derzeit ist noch unklar, wie die Mittel des Sondervermögens verwendet werden. Wir gehen davon aus, dass vor allem Infrastrukturausbauten realisiert werden. Sollte Deutschland Züge ausschreiben, werden wir dies wie üblich prüfen und uns an der Ausschreibung beteiligen. Wenn die Politik etwas Gutes für unseren Standort Pankow und die ÖV-Nutzenden machen will, sind wir froh, wenn sie rasch weitere Wagen für die U-Bahn Berlin abruft. Bisher wurden erst 484 der 1500 Wagen für die U-Bahn Berlin bestellt.
Gegen Jahresende soll in Rostock die neue Stadler-Strassenbahn TINA (steht für «Total Integrierter Niederflur-Antrieb») in Vollbetrieb gehen. Knapp ein Zehntel der finalen Auftragssumme von 100 Millionen werden aus Subventionen des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern aufgebracht. Ist das ein übliches Verhältnis in Ihrem Business?
Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Modernisierung oder der Ausbau des öffentlichen Verkehrs mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. Entsprechende Vorhaben gehören zum Service Public. Wir von Stadler bauen die Schienenfahrzeuge. Wie diese im Detail finanziert werden, entscheiden die Besteller.
Ein technisches Highlight beim TINA ist auch das neuartiges Kollisionsschutzsystem. Gehören damit tödliche Strassenbahnunfälle, wie wir sie in Zürich Jahr für Jahr kennen, der Vergangenheit an?
Das neue Kollisionsschutzsystem ist ein Meilenstein in der Fahrgastsicherheit. Es kann schwere Unfälle deutlich reduzieren. Dennoch: Die Technik allein kann Unfälle nicht vollständig verhindern. Der Faktor Mensch bleibt trotz immer besserer Unterstützung von grosser Bedeutung.
Seit Jahresbeginn wurde das US-Geschäft aus der Division Schweiz herausgelöst und zur eigenen Division Nordamerika gemacht. Die USA waren in den letzten Jahren Stadlers Wachstumsmotor. Mit dem Werk in Salt Lake City erfüllte Stadler den «Buy America Act», der vorschreibt, dass bei staatlich finanzierten Projekten mindestens 70 Prozent der Wertschöpfung in den USA generiert werden muss. Glauben Sie, dass eine Verschärfung des «Acts» im Raum steht?
Im Moment ist es schwer abzuschätzen, in welche Richtung sich die Zölle oder auch der «Buy America Act» entwickeln werden. Wir sind von der Diskussion derzeit wenig betroffen, da wir mit unserem Werk in Salt Lake City bereits seit 2016 eine lokale Wertschöpfung von über 70 Prozent erzielen. Seit Herbst 2024 bauen wir das Werk für rund 70 Millionen Franken aus und erhöhen damit die lokale Wertschöpfung nochmals deutlich. Den weitsichtigen und strategisch wichtigen Entscheid, im Wachstumsmarkt USA ein Werk zu bauen, haben wir schon lange vor der Wiederwahl von Donald Trump getroffen. Die starke Präsenz am US-Markt von Stadler Nordamerika zahlt sich jetzt aus.
«Den weitsichtigen und strategisch wichtigen Entscheid, im Wachstumsmarkt USA ein Werk zu bauen, haben wir schon lange vor der Wiederwahl von Donald Trump getroffen.»
Ebenfalls Ende letzten Jahres hat die Metropolitan Atlanta Rapid Transit Authority Stadler Rail beauftragt, ihr gesamtes Schienennetz mit einem neuen, modernen Zugbeeinflussungssystem CBTC auszurüsten. Für Stadler bedeutet der eine halbe Milliarde schwere Grossauftrag den internationalen Durchbruch im Bereich Signalling. Hat Signalling die beste Marge?
Der Signalling-Grossauftrag in Atlanta ist für uns ein wichtiger Meilenstein. Er markiert den internationalen Durchbruch bei der Signaltechnik. Der Auftrag zeigt, dass wir mit unserer eigenen Technologie NOVA Pro auch im anspruchsvollen US-Markt bestehen können. Signalling ist für Stadler ein strategischer Markt, der sich im Wachstum befindet. Details zu den Margen einzelner Segmente geben wir nicht bekannt.
«Der Signalling-Grossauftrag in Atlanta ist für uns ein wichtiger Meilenstein. Er markiert den internationalen Durchbruch bei der Signaltechnik.»
Vor allem 2026/2027 werden sich die generell vollen Auftragsbücher in hohen Umsätzen niederschlagen. Welche EBITDA-Marge setzen Sie sich als Ziel?
Unter Annahme, dass uns externen Einflüssen nicht erneut hart treffen und aufgrund der sehr guten Auftragslage erwarten wir mittel- bis langfristig einen Anstieg der EBIT-Marge auf 6 bis 8 Prozent.
Im Übergangsjahr 2024 stiegen einzig die Nettoerlöse bei Service & Components. Dieses Segment dürfte wohl auf Jahre hinaus ein wachsender Sicherheitspuffer für Fluktuationen im Bestelleingang sein, oder?
Das Segment Service & Components entwickelt sich stabil und wachstumsstark. Der Auftragseingang lag 2024 bei über einer Milliarde Franken. Strategisch wollen wir in diesem Bereich weiter wachsen. Besonders interessant sind für uns langfristige Serviceverträge.
Der globale Eisenbahnmarkt wächst um 4%. Die von Stadler bedienten Ländermärkte gar um 5,8%. Wäre auch Australien/Neuseeland ein Thema?
Das ist es bereits. In Neuseeland haben wir erste Aufträge von der KiwiRail gewonnen und können 90 Schmalspurlokomotiven ausliefern. Die Loks werden im Güter- und Personenverkehr eingesetzt. Sie sind so konzipiert, dass sie auch die anspruchsvolle Streckentopologie im Süden der Insel bewältigen können. Zudem hat KiwiRail 24 Batterie-Diesel-Hybrid-Rangierlokomotiven bei uns bestellt. Dank der Batterie tragen die Fahrzeuge erheblich zur Reduktion des CO2-Fussabdrucks im Rangierbetrieb bei. Neuseeland und Australien gehören jedoch strategisch nicht zu unseren Fokusmärkten. Daher nehmen wir nur sehr selektiv an Ausschreibungen teil.