Nadine Strittmatter und Oliver Fiechter

Nadine Strittmatter und Oliver Fiechter

Oliver Fiechter und Nadine Strittmatter (Bildmontage Moneycab).

Zum Fall Daniel Vasella haben sich inzwischen Politiker, Wirtschaftsgrössen und unterschiedlichste Institutionen gemeldet. Moneycab wollte die Sicht von zwei Exponenten einer jüngeren Generation einholen, welche die Wirtschaft anders denkt und versteht. Fündig geworden sind wir bei Oliver Fiechter und Nadine Strittmatter. Überraschendes zum Thema Nachhaltigkeit und der Schwierigkeit, mit der Moralkeule filigran zu argumentieren. 

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Nach dem Sturm der Entrüstung und Unverständnis bei allen Marktteilnehmern hat Daniel Vasella auf den Konkurrenz-Enthaltsamkeits-Bonus von bis zu 72 Millionen Franken verzichtet. Zu spät und zu durchsichtig oder eine Demutsgeste, die Anerkennung verdient?

Oliver Fiechter: Es ist müssig, die Moralkeule zu schwingen und die Debatte Vasella ethisch zu führen.

«Vasellas Ansinnen und sein Verhalten ist zwar pervers, aber aus wirtschaftsphilosophischer Sicht legitim.» Oliver Fiechter

Nadine Strittmatter: Ich kann es verstehen, dass für viele Menschen dieser konkrete Fall schwer nachzuvollziehen ist. Ich finde es auch befremdlich. Man muss sich das mal vorstellen: Je nach Branche entsprechen 72 Millionen der Jahres-Produktivleistung eines mittelständischen Unternehmens mit rund 500 Mitarbeitenden. Das kann nicht nachhaltig sein.

Oliver Fiechter: Nein, ist es nicht. Es ist auch nachzuvollziehen, dass die Menschen darin erste Anzeichen eines Verfalls unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu erkennen glauben. Vasellas Ansinnen und sein Verhalten ist zwar pervers, aber aus wirtschaftsphilosophischer Sicht legitim.

Wie bitte? Kann das System so einfach isoliert betrachtet werden?

Oliver Fiechter: Im aktuellen Wirtschaftsystem ist das Unternehmen mit dem besten Wissen am erfolgreichsten. Wissen ist heutzutage das wichtigste Produktivgut. Daniel Vasella ist ein erfolgreicher Wissenskapitalist, Novartis eine wissensgetriebene Organisation. Vasella hat seinen Aktionären einen simplen Deal angeboten: Ich kommerzialisiere mein Wissen nicht bei der Konkurrenz und ihr kommt dadurch nicht zu Schaden.

Nadine Strittmatter: Vasella meint, dass sein Wissen, welches er im Laufe seiner beruflichen Karriere angehäuft hat, 72 Millionen Wert sei. Und die Aktionäre von Novartis waren offensichtlich bereit, ihm diesen Betrag zuzugestehen.

«Wenn Wissen geteilt wird, also die Kreativität einer gesamten Community genutzt werden kann, gibt das Nährboden für tolle Projekte.* Nadine Strittmatter

Herr Fiechter, sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Digitalisierung zu mehr Demokratisierung  führt. Ist die Geschwindigkeit und Heftigkeit der Reaktionen im Fall Vasella schon ein Anzeichen dieser digitalen Revolution und wird das in Zukunft zu mehr Transparenz führen?

Oliver Fiechter: Ja, unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen werden durch die modernen Technologien neu geformt, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und jeder Aspekt unseres persönlichen Lebens ist diesem Wandel unterworfen. Die Empörung der Schweizerinnen und Schweizer fand über die Sozialen Netze ihre starke Verbreitung, sie sorgte in nur wenigen Tagen dafür, dass Vasella sich dem öffentlichen Druck beugte.

Wie lassen sich solche und andere finanzielle Auswüchse künftig verhindern?

Oliver Fiechter: Wir müssen dringend unser individuelles Verhalten und die Kultur von Unternehmen den neuen ökonomischen Systembedingungen anpassen. Es ist das alte System, das Individuen hervorgebracht hat, die allen Ernstes glauben, sie seien 72 Millionen wert, und sogar auch dann, wenn sie sechs Jahre nicht arbeiten.

«Wir brauchen neue Managementansätze, die den Beteiligten am Wertschöpfungsprozesse mehr Bedeutung einräumen.» Oliver Fiechter

Was können Einzelne tun, um das System zu verbessern?

Oliver Fiechter: Wir müssen die ökonomische Lehre den neuen Begebenheiten anpassen und die Organisationsformen überdenken. In zentralistisch geführten Unternehmen, die zudem stark hierarchisch sind, wird es immer wieder zur Ballung von Kapital und Macht kommen. Das war früher in der „Wirtschaft der Maschinen“ nützlich, weil die Wirtschaft rational und effizient funktionieren musste. Die heutige „Wirtschaft der Menschen“ ist aber kreativ und wirkungsorientiert.

Nadine Strittmatter: Da gibt es eine Überschneidung mit der Kreativszene. Wissen und Kreativität ist dort das Hauptkapital. Wenn Wissen geteilt wird, also die Kreativität einer gesamten Community genutzt werden kann, gibt das Nährboden für tolle Projekte.

Das würde bedeuten,  die Unternehmen stärker zu demokratisieren statt zu reglementieren. Wie beurteilen Sie in diesem Licht die Abzocker-Initiative?

Oliver Fiechter: Man kann das Richtige nicht per Gesetz erzwingen, das kann langfristig nicht gut gehen. Wir brauchen neue Managementansätze, die den Beteiligten am Wertschöpfungsprozesse mehr Bedeutung einräumen. Dass dann auch alle am wirtschaftlichen Erfolg partizipieren, wäre eine Konsequenz daraus.

Nadine Strittmatter: Das ist genau der Punkt: Wenn der Einzelne Mitspracherecht hat und eine Aussicht, durch eigene Leistung zu einer grösseren Gesamtleistung beizutragen und dafür entsprechend belohnt wird, motiviert das und steigert den Erfolg.

Die Gesprächspartner:

Oliver Fiechter ist Autor des Bestsellers „Die Wirtschaft sind wir!“ und Gründer des ISG Institutes St. Gallen. Der bekennende Autodidakt scheut nicht, neue Wege einzuschlagen und unser heutiges Wirtschaftssystem zu überdenken. In seinem Buch schreibt er über die Entstehung einer neuen Gesellschaftsordnung im Zeitalter der vernetzten Märkte.

Die Aargauerin Nadine Strittmatter ist seit 13 Jahren auf dem internationales Modeparkett zu Hause. Sie arbeitete für Karl Lagerfeld und John Galliano, war Gesicht für weltweite Kampagnen und zierte die Covers von Vogue, Elle und Co. Heute widmet Sie sich neben dem Modeln vermehrt der Schauspielerei und engagiert sich für nachhaltige Projekte in der Schweiz.

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