Philipp Gmür, CEO Helvetia Versicherungen, im Interview

Philipp Gmür, CEO Helvetia Versicherungen, im Interview
Philipp Gmür, noch für wenige Tage CEO Helvetia Versicherungen. (Foto: Helvetia)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Gmür, Helvetia hat die Coronakrise hinter sich gelassen und liegt mit den Gewinnzahlen schon fast wieder auf dem Vorkrisenniveau. Wie lautet Ihre Bilanz für das Geschäftsjahr 2021?

Philipp Gmür: Helvetia kann auf ein sehr erfolgreiches Jahr 2021 zurückblicken. Drei Highlights des vergangenen Jahres möchte ich besonders hervorheben: Erstens sind wir sehr zufrieden mit dem kräftigen profitablen Wachstum von Helvetia, der Gewinnsteigerung sowie dem Beitrag von Caser zum Ergebnis. Das zweite Highlight ist die vorgeschlagene Dividendenerhöhung von 10 Prozent. Drittens sind wir schwungvoll in die neue Strategieperiode gestartet und nähern uns unseren strategischen Ambitionen. Übrigens sind wir bereits auf Vorkrisenniveau: Im Jahr 2019 war der Gewinn zwar etwas höher, verantwortlich dafür war aber ein Einmaleffekt von über CHF 90 Mio. aufgrund der Steuerreform in der Schweiz.

Viel war während der Pandemie über nicht von Versicherungen gedeckte Coronaschäden die Rede. Welche Lehren lassen sich aus Ereignissen der letzten zwei Jahre ziehen?

Als Versicherungsbranche müssen wir besser erklären, wie unser Geschäft funktioniert: Eine Versicherung basiert auf dem Prinzip, dass viele für die Schäden von wenigen zahlen. Wir nennen das Risikotransfer. Sorgt ein Ereignis weltweit für Schäden, ist dieser Risikotransfer nicht mehr möglich, da alle oder fast alle Versicherungskunden gleichzeitig betroffen sind. Daher sind solche Schadenereignisse, zu denen auch eine Pandemie gehört, von einer Versicherungsdeckung ausgeschlossen.

Rund um Schäden, die sich aus dem Lock-Down infolge von Covid-19 ergaben, haben wir für die betroffenen Kunden eine pragmatische Lösung in Form eines Vergleichsangebotes gefunden, das von mehr als 95 Prozent der Kunden in der Schweiz angenommen wurde. Nun geht es jedoch darum, nachhaltige Lösungen für die Deckung von Pandemie- oder anderer Grossrisiken zu finden, etwa bei Cyberattacken, Strommangellage oder Erdbeben. Denkbar sind Public-Private-Partnership-Ansätze. Modellcharakter für diese Diskussionen hat etwa der seit Jahrzehnten bewährte Elementarschadenpool.

«Als Versicherungsbranche müssen wir besser erklären, wie unser Geschäft funktioniert: Eine Versicherung basiert auf dem Prinzip, dass viele für die Schäden von wenigen zahlen.»
Philipp Gmür, CEO Helvetia Versicherungen

Kaum ist eine Krise scheinbar überstanden folgen mit dem Krieg gegen die Ukraine die nächsten Verwerfungen. Inwieweit ist Helvetia betroffen und welche Geschäftsrisiken halten Sie für möglich?

Wir halten keine Anlagen in Russland oder der Ukraine, und das direkte Exposure von Helvetia auf der Versicherungsseite ist in diesen Ländern sehr gering. Viel eher beschäftigen uns mögliche Folgen wie Zinsanstieg, Inflation oder volatilere Aktienmärkte. Zwar sind wir gegen solche Szenarien gut abgesichert, aber einem generellen Trend können auch wir uns nicht entziehen. Die Versicherungsbranche ist immer auch ein Abbild der Wirtschaft an sich: Kommt es zu einer Rezession, geht die Beschäftigungsquote zurück und wird weniger investiert, so dämpft das auch die Nachfrage nach unseren Versicherungs- und Vorsorgelösungen. Zudem hat die generelle Entwicklung der Kapitalmärkte einen Einfluss auf unser Ergebnis. Dank einer starken Bilanz und einem robusten Geschäftsmodell sind wir jedoch sehr solide aufgestellt.

Epidemie, Pandemie, Krieg: Bei all den Widrigkeiten und fortwährenden Änderungen im wirtschaftlichen Umfeld – welche speziellen Herausforderungen stellen sich an das Risikomanagement einer Versicherung wie Helvetia?

Der Umgang mit Risiken gehört zu unseren Kernkompetenzen. Das Vertrauen der Kunden in unsere unbedingte Zahlungsfähigkeit setzt voraus, dass wir auch extreme Stress-Szenarien auf der Aktiv- und auf der Passivseite aushalten können. Dabei geht es immer wieder darum, auch Unwahrscheinliches in die Überlegungen einzubeziehen, so etwa vom Ausfall grosser Schuldner bis zur ungewöhnlichen Häufung von Schadenfällen. Helvetia und die gesamte Schweizer Versicherungsindustrie haben auch turbulente Jahre gut überstanden.

«Der Umgang mit Risiken gehört zu unseren Kernkompetenzen. Das Vertrauen der Kunden in unsere unbedingte Zahlungsfähigkeit setzt voraus, dass wir auch extreme Stress-Szenarien auf der Aktiv- und auf der Passivseite aushalten können. «

Ihre Onlinetochter Smile expandiert noch dieses Jahr nach Österreich und nächstes Jahr nach Spanien. Mit welchen Erwartungen sind diese Markteintritte verbunden?

In Österreich sehen wir die Chance, den Markt mitzuentwickeln. Daher möchten wir bis Ende 2025 mit Smile die führende Rolle im österreichischen Online-Markt einnehmen. Spanien ist mit rund 47 Millionen Einwohnern ein sehr interessanter Markt mit grossem Potenzial. Hier streben wir ein zügiges Wachstum an.

Smile hat 2021 mit 111 Millionen erstmals über 100 Millionen Franken an Prämien erwirtschaftet. Das Wachstum ist da, gemessen am gesamten Geschäftsvolumen von 11,2 Mrd Franken, ist aber noch bescheiden. Welche Ziele visieren Sie an?

Wir sehen im Privatkundengeschäft einen klaren Trend Richtung Online-Modelle. Allerdings ist und bleibt der Vertrieb über Agenten, Broker und Banken das eigentliche Rückgrat. Insofern ist Smile nur, aber immerhin ein erfolgversprechender komplementärer Vertriebskanal. Schnelles Wachstum ist dabei nicht die oberste Maxime, sondern nachhaltig profitables Wachstum steht im Vordergrund. Unser grosser Vorteil ist, dass wir auf einem profitablen Modell aufbauen, das insbesondere an der Kundenschnittstelle durch Einzigartigkeit besticht und an bestehende IT-Lösungen gekoppelt werden kann. Damit können wir die Investitionen für die Auslandsexpansion tief halten.

«Smile ist nur, aber immerhin ein erfolgversprechender komplementärer Vertriebskanal. Schnelles Wachstum ist dabei nicht die oberste Maxime, sondern nachhaltig profitables Wachstum steht im Vordergrund.»

Die zugekaufte spanische Gesellschaft Caser trug 2021 72 Mio Franken zum Gewinn und viel zum deutlichen Wachstum der von Helvetia bei. Was macht den spanischen Markt besonders interessant?

Der spanische Markt hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt und mit Caser gelang es, eine sehr interessante Gesellschaft zu übernehmen. Dank Caser haben wir den wichtigen Bankenvertrieb in Spanien deutlich ausgebaut. Darüber hinaus ist Caser bereits sehr weit beim Aufbau eines Ökosystems im Bereich «Health & Care». Dieses Ökosystem steuert einen wesentlichen Teil unserer Gebühreneinnahmen bei. Der Jahresabschluss 2021 zeigt, dass wir mit Caser liefern, was wir versprochen haben.

Ebenfalls in Spanien hat sich der Helvetia Venture Fund 2021 an Coinscrap Finance beteiligt, die verschiedene White-Label-Smartphone-Apps für Banken und Versicherungen anbietet. Welche Strategie verfolgt der Venture Fund bei seinen Beteiligungen?

Helvetia setzt auch auf Corporate Venturing als eine von vier Säulen zur Steigerung der Agilität und Innovationsfähigkeit neben M&A, Kooperationen und der Förderung interner Innovationen. Der Venture Fund selbst verfolgt zwei strategische Ziele: innovative Geschäftsmodelle zu erschliessen, um diese im Kerngeschäft zu skalieren, sowie die digitale Transformation des bestehenden Kerngeschäfts voranzutreiben. Zudem hat der Venture Fund finanzielle Ziele und strebt eine fortlaufende Selbstfinanzierung aus erfolgreichen Exits an.

Während der Pandemie war auch bei Helvetia Home Office angesagt, eine Arbeitsform, die Ihre Mitarbeitenden künftig beibehalten können, so sie denn wollen. Unter welchen Bedingungen ist die maximal flexible Wahl des Arbeitsplatzes möglich?

Der Kunde steht für uns im Zentrum, auch bei der Frage, wo unsere Mitarbeitenden arbeiten. Daher ist es an den Teams zu definieren, wie sie den Ansprüchen ihrer Kunden gerecht werden. In den meisten Fällen dürfte es sinnvoll sein, sich regelmässig im Team persönlich zu treffen, zum Beispiel für den Austausch oder die Entwicklung neuer Ideen.

Welche Erwartungen haben Sie für das laufende Geschäftsjahr?

Der eingangs erwähnte Ukraine-Krieg bringt Unwägbarkeiten mit sich. Wir setzen jedoch alles daran, an die sehr positive Entwicklung des vergangenen Jahres anzuschliessen. Einerseits bei der Geschäftsentwicklung, andererseits aber auch in der Umsetzung der Strategie helvetia 20.25, die wir vor einem Jahr vorgestellt haben und deren Umsetzung erfolgreich angelaufen ist. Gelingt uns das, dann können wir auch in einem Jahr über positive Ergebnisse berichten.

Herr Gmür, besten Dank für das Interview.

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