Philippe Müller, CEO capzlog.aero, im Interview

von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Müller, zuerst eine Verständnisfrage: Was genau sind Flugbücher?
Philippe Müller: Ein Flugbuch ist die offizielle Dokumentation aller Flüge eines Piloten oder einer Pilotin. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dieses lückenlos zu führen, da es die Grundlage für zahlreiche Prozesse bildet, etwa für die Erteilung und Erneuerung von Pilotenlizenzen, den Nachweis gegenüber Versicherungen oder die Einhaltung regulatorischer Vorgaben wie Arbeitszeitbegrenzungen und Ruhezeiten.
Grundsätzlich müssen alle Pilotinnen und Piloten in der zivilen Luftfahrt jeden einzelnen Flug dokumentieren, sobald sie eine Lizenz besitzen oder sich in Ausbildung befinden. Dies betrifft sämtliche Luftfahrzeugkategorien: Flächenflug, Helikopter, Segelflug und Ballonfahrt. Lediglich bei leichten Flugsportgeräten wie Deltaseglern oder im Paragliding kann die Dokumentationspflicht je nach Land variieren.
Und bis jetzt werden die meisten Flugbücher von Hand und in Papierform geführt?
Tatsächlich zeigen unsere Zahlen, dass noch immer ca. 75% aller Lizenzhalter ein Papierflugbuch führen. In der Schweiz hat sich das unter anderem durch capzlog.aero in den letzten Jahren stark verändert, weil hier die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden. Leider sind die Luftfahrtbehörden in den meisten europäischen Ländern nicht so umsetzungsfreudig wie das Bundesamt für Zivilluftfahrt in der Schweiz. Deshalb wird die Digitalisierung in diesem Bereich noch etwas Zeit in Anspruch nehmen.
2021 haben Sie capzlog.aero zusammen mit Vladimir Petrov gegründet, mit dem Ziel das klassische Flugbuch zu digitalisieren. Wie ist diese Idee entstanden?
Vladimir ist selber Pilot, mit 28 Jahren wurde er Privatpilot und mit 41 Jahren Airlinepilot. Das manuelle Aufschreiben und Übertragen der Flugzeiten, insbesondere bei Page Totals und Seitenüberträgen, fühlten sich für ihn an wie ein Relikt aus einer längst überholten Zeit. Als Softwarearchitekt und Experte in Informatik war für ihn unbegreiflich, warum man in der heutigen Zeit noch mit Papierbüchern arbeiten soll.

Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Schwachstellen herkömmlicher, analoger Flugbücher?
Die grössten Schwachstellen herkömmlicher Flugbücher liegen in ihrer hohen Fehleranfälligkeit und dem hohen Aufwand bei der Erfassung und Auswertung der Daten. Durch die manuellen Seitenüberträge pflanzen sich Rechenfehler oft über das gesamte Flugbuch hinweg fort, was beinah nicht mehr zu korrigieren ist. Hinzu kommen das hohe Risiko von Verlust oder Beschädigung, der fehlende Zugriff, manuelle Eingabefehler sowie das Fehlen von systematischen Validierungen.
«Die grössten Schwachstellen herkömmlicher Flugbücher liegen in ihrer hohen Fehleranfälligkeit und dem hohen Aufwand bei der Erfassung und Auswertung der Daten.»
Philippe Müller, CEO capzlog.aero
Wie beheben Sie diese mit Ihrer Plattform?
Unsere Plattform löst diese Probleme durch eine hochgradige und praxisnahe Automatisierung, die auf fundiertem Branchen-Knowhow, einem leistungsstarken Datenmodell und umfassender Validierung basiert. Dabei werden aktuelle Datensätze wie Flugzeugregister, Wartungs- und Bordbücher (Techlogs) sowie OPS- und Crew-Dispatch-Systeme einbezogen, wodurch eine sehr hohe Datenqualität sichergestellt und Fehlerquellen konsequent eliminiert werden.
Durch sichere Speicherung auf unseren eigenen Servern in Schweizer Rechenzentren und den ortsunabhängigen Zugriff entfällt das Risiko des Verlusts. Integrationen mit professionellen Softwareanbietern ermöglichen eine weitgehende Automatisierung, während elektronische Signaturen Rechtssicherheit schaffen. Gleichzeitig werden die Daten auch für moderne, datengetriebene Prozesse bei Airlines und Operators nutzbar, wodurch das Flugbuch von einer potenziellen Fehlerquelle zu einer verlässlichen operativen Grundlage wird.
Wie funktioniert Ihre Plattform konkret?
Die Plattform umfasst eine moderne, responsive Web App, die über alle gängigen Browser zugänglich ist, sowie native Mobile Apps für iOS und Android, die vollständig offline funktionieren. Jedes Benutzerkonto enthält automatisch vier digitale Flugbücher: eines für jede Luftfahrzeugkategorie Flächenflug, Helikopter, Segelflug und Ballon. Die Daten bleiben dauerhaft kostenlos gespeichert, während die Eingabe und Auswertung eine aktive Subskription erfordert. Das Konto begleitet Pilotinnen und Piloten über ihre gesamte fliegerische Laufbahn. Es kann temporär und datenschutzkonform mit Flugschulen, Airlines oder Avioniksystemen verbunden werden, um Daten direkt ins eigene Flugbuch zu übernehmen oder autorisierten Partnern Einblick in Datenauswertungen zu gewähren.
«Das Konto begleitet Pilotinnen und Piloten über ihre gesamte fliegerische Laufbahn. Es kann temporär und datenschutzkonform mit Flugschulen, Airlines oder Avioniksystemen verbunden werden.»
Welche Datenquellen nutzen Sie, um Flüge automatisch zu erfassen oder zu verifizieren?
Wir setzen auf qualitativ hochwertige und langfristig stabile Datenanbindungen über professionelle APIs zu führenden Softwareanbietern aus den Bereichen Avionik, Wartung und Werkstatt, OPS- und Crewplanning sowie Reservation und Syllabus Tracking. Zu den namhaften Partnern, mit denen wir bereits Integrationen unterhalten oder diese zur Zeit entwickeln, gehören unter anderem Leon Software, NetLine von Lufthansa Systems, Swiss International Air Lines, Edelweiss Air, FlightLogger, FlySto und Aircraft Info Desk.
Darüber hinaus betreiben wir eigene, sehr hochwertige Datensammlungen zu Luftfahrzeugen und Flugplätzen weltweit. Diese werden kontinuierlich von unserem Team und unserer Community gepflegt und basieren auf offiziellen Quellen wie den Luftfahrzeugregistern der Luftfahrtbehörden und der vollständigen Liste aller Class- und Type Ratings der European Union Aviation Safety Agency. So stellen wir sicher, dass Flüge nicht nur automatisch erfasst, sondern auch zuverlässig verifiziert werden können.
Wer nutzt Ihr Produkt bisher am häufigsten – Linienpiloten, Privatpiloten oder auch Airlines und Flugschulen?
Derzeit nutzen vor allem Privatpiloten unser Produkt, das Verhältnis zu kommerziellen und Linienpiloten liegt bei rund zwei zu eins. Mit unserer neuesten Erweiterung werden wir den Anteil kommerzieller Pilotinnen und Piloten jedoch deutlich steigern. Auf Basis der sich in Echtzeit aktualisierenden Pilotenprofile bauen wir einen hocheffizienten Job Matcher, der Unternehmen und Piloten gezielt anhand konkreter Anforderungsprofile zusammenführt. Neben Privat- und Berufspiloten zählen bereits heute auch Geschäftskunden zu unseren Nutzern, darunter die grösste Schweizer Flugschule Horizon Swiss Flight Academy sowie Zimex Aviation.
«Auf Basis der sich in Echtzeit aktualisierenden Pilotenprofile bauen wir einen hocheffizienten Job Matcher, der Unternehmen und Piloten gezielt anhand konkreter Anforderungsprofile zusammenführt.»
Wird Ihre Lösung vom BAZL offiziell akzeptiert?
Ja. Als einziges digitales Flugbuch überhaupt haben wir einen offiziellen Letter of Acceptance des BAZL, der folgenden Satz enthält: “A pilot with a license issued by FOCA is therefore legally allowed to keep their personal flight experience (pilot logbook) solely in electronic form when using the capzlog.aero software platform and its subscriptions.”
Welche Märkte ausserhalb der Schweiz sind für Sie interessant, und wie unterscheiden sich die regulatorischen Rahmenbedingungen?
Die Luftfahrtbranche ist ein hochspezialisierter und international geprägter Nischenmarkt, der ein globales Denken erfordert. Das regulatorische Fundament der europäischen Luftfahrt bildet die European Union Aviation Safety Agency (EASA), an die auch die Schweiz angebunden ist. Rund 80 % der gesetzlichen Anforderungen sind im europäischen Markt deckungsgleich, während sich die Unterschiede meist aus geografischen Gegebenheiten ergeben, etwa dem Gebirgsflug in der Schweiz oder den Offshore Helicopter Operations in den nordischen Ländern.
Neben Europa ist insbesondere Nordamerika ein strategisch relevanter Markt, mittelfristig auch der mittlere Osten und Asien, wo die Luftfahrt stark wächst. Unsere Ausgangslage ist dabei besonders vorteilhaft, da der EASA-Standard als der weltweit strengste gilt. Dadurch wird es für uns deutlich einfacher, unsere Software für andere regulatorische Frameworks anzupassen, als umgekehrt für Anbieter aus diesen Regionen, die den hohen europäischen Anforderungen erst entsprechen müssten.
Wie gehen Sie mit Datenschutz und Datensicherheit um?
Flugbuchdaten sind sensible Informationen und der Schutz dieser Daten hat für uns oberste Priorität. Im Bereich Datensicherheit sind wir besonders stark aufgestellt, weil wir unsere gesamte Datenhaltung selbst kontrollieren und bewusst keine Big-Tech-Cloudlösungen einsetzen. Unsere Infrastruktur ist durch mehrstufige Sicherheitsmechanismen geschützt, inklusive verschlüsselter Backups in mehreren geografisch verteilten Rechenzentren innerhalb der Schweiz. Zusätzlich investieren wir laufend in die Modernisierung unserer Systeme, um technische Altlasten zu vermeiden und stets mit aktueller, sicherer Technologie zu arbeiten.
Beim Datenschutz erfüllen wir sämtliche Anforderungen des Schweizer Datenschutzgesetzes (DSG) sowie der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Die Nutzenden behalten jederzeit die volle Kontrolle darüber, mit wem sie welche Daten wie lange teilen wollen. Damit gehen wir nicht nur über die gesetzlichen Vorgaben hinaus, sondern ermöglichen es Pilotinnen und Piloten, ihre Daten gezielt und sicher einzusetzen: etwa, um bessere Jobangebote zu erhalten oder operative Prozesse effizienter zu gestalten.
Wie sieht das Geschäftsmodell aus – Einmallizenz oder Abo?
Unser Geschäftsmodell basiert auf einem klassischen Subskriptionsmodell. Die Nutzung des Kontos und die Speicherung der Daten sind kostenlos, sodass Pilotinnen und Piloten jederzeit – auch während fliegerischer Pausen – Zugriff auf ihre Daten behalten. Wer aktiv Flüge eintragen, auswerten oder automatisierte Funktionen nutzen möchte, benötigt eine Subskription.
Aktuell arbeiten wir an einem neuen, noch flexibleren Modell mit verschiedenen Subskriptionsstufen, das mehr Komfort und passgenauere Angebote für unterschiedliche Nutzergruppen bieten wird. Die Einführung dieses Modells ist bis Ende des Jahres geplant. Dabei wird es auch eine Light-Version für Flugschüler und Wenigflieger geben, die über Werbung querfinanziert wird und so einen besonders einfachen und kostengünstigen Einstieg ermöglicht.