Rebecca Guntern, President Sandoz Europe, im Interview

Rebecca Guntern, President Sandoz Europe, im Interview
Rebecca Guntern, President Sandoz Europe. (Foto: zvg)

von Bob Buchheit

Moneycab.com: Frau Guntern, Sandoz Europa allein verkauft eine Milliarde Arzneipackungen pro Jahr. Wie stellt man da die tägliche Produktion sicher?

Rebecca Guntern: Als eigenständiges Unternehmen ist ein starkes Produktionsnetzwerk extrem wichtig. Nur so können wir dem Anspruch «Zugang für Patienten zu schaffen» gerecht werden. Wir nutzen fortschrittliche Technologien zur Echtzeitverfolgung und Optimierung der Logistik und bauen Kooperationspartnerschaften innerhalb der Branche auf, um unsere Reaktions- und Anpassungsfähigkeit weiter zu stärken. Darüber hinaus bewerten wir kontinuierlich die Risiken globaler Ereignisse. Diese Schritte sind alle wesentlich, um ein robustes, flexibles und zuverlässiges Versorgungsnetzwerk sicherzustellen.

Ist die Versorgung an Rohstoffen, wie in fast allen Branchen, auch für die Pharmaindustrie unsicherer geworden?

Versorgungsengpässe sind tatsächlich ein grosses Thema in der Generikabranche. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ressourcenknappheit und Unterbrechung der Lieferketten sind die häufigsten. Wir stehen ständig in engem Kontakt mit Kunden und Gesundheitsbehörden, um schwierige Liefersituationen möglichst frühzeitig zu erkennen und Überbrückungslösungen oder Alternativen anbieten zu können. Um die gestiegene Nachfrage mittel- und langfristig zu decken, ergreifen wir Massnahmen und investieren in Schlüsselbereiche und zusätzliche Kapazitäten. So konnten wir jüngst eine neue Antibiotika-Produktionsanlage im österreichischen Kundl eröffnen und dadurch die Kapazität um 20% steigern. Von Kundl aus versorgen wir die Welt zukünftig mit 240 Millionen Packungen Antibiotika pro Jahr. Theoretisch könnten wir damit den gesamten Bedarf Europas abdecken.

«Wir stehen ständig in engem Kontakt mit Kunden und Gesundheitsbehörden, um schwierige Liefersituationen möglichst frühzeitig zu erkennen und Überbrückungslösungen oder Alternativen anbieten zu können.»
Rebecca Guntern, President Sandoz Europe

Sie selbst haben Pharmazie studiert. Meiner Tochter konnte ich diese Ausbildung nicht schmackhaft machen…

So richtig habe ich über meinen Beruf eigentlich erst nach der Matura nachgedacht. Für mich war es wichtig, dass ich etwas mache, das ich mit Leidenschaft machen kann. Ich schrieb mich damals für Pharmazie und für Betriebswirtschaft ein. Die Wahl fiel dann schliesslich auf Pharmazie. Heute mache ich eigentlich genau das, was die perfekte Kombination ist. Ich bin als Europachefin Sandoz für die Zahlen verantwortlich und arbeite dabei im Gesundheitswesen in einem pharmazeutischen Bereich. Ich wollte immer etwas tun, bei dem ich vollumfänglich dahinterstehen kann.

Sie haben es sich auf die Fahnen geschrieben, die Akzeptanz von Biosimilars zu erhöhen. Was sind Ihre Hauptargumente dafür?

Biosimilars sind eine einmalige Chance, um Kosten im Gesundheitswesen zu senken, ohne Einbussen bei Wirksamkeit oder Sicherheit. Es handelt sich hier um kostenintensive Therapien, welche häufig über längere Zeit angewendet werden. Deshalb ist das Einsparpotenzial sehr hoch. In der Schweiz könnten rund 100 Millionen Franken eingespart werden, wenn konsequent Biosimilars angewendet würden. Und dies Jahr für Jahr. Es macht mich stolz, dass wir als Sandoz Pionierin auf diesem zukunftsträchtigen Gebiet sind.

«Biosimilars sind eine einmalige Chance, um Kosten im Gesundheitswesen zu senken, ohne Einbussen bei Wirksamkeit oder Sicherheit.»

Wie hoch schätzen Sie das Umsatzwachstumspotential in den nächsten Jahren für Biosimilars ein, wo Sandoz sogar weltweit Nummer eins im hochpreisigen Europa ist?

Sandoz war 2006 das erste Unternehmen, das ein Biosimilar in Europa auf den Markt brachte. Heute sind wir mit neun kommerzialisierten Produkten das führende Biosimilar-Unternehmen und belegen bei sechs dieser neun Produkte den ersten Platz nach Volumenanteil. Unser starkes Marktportfolio in Kombination mit unserer starken kommerziellen Plattform hat es ermöglicht, unseren Marktanteil in den letzten drei Jahren von 24% auf 27% auszubauen.

Der europäische Markt für Biosimilars und Generika hat ein Volumen von etwa 78 Milliarden US-Dollar und wird bis 2032 voraussichtlich um etwa 7% wachsen. Wir sind in Europa sehr gut positioniert, um in diesem wachsenden Markt kontinuierlich nachhaltiges Wachstum zu erzielen.

Wie hoch könnte der prozentuale Marktanteil von Sandoz zu liegen kommen?

Unser Ziel ist es, in Europa weiterhin Marktführer zu bleiben und unsere Führungsposition weiter auszubauen. Das bedeutet, dass wir mindestens so stark wie der Markt oder stärker wachsen wollen.

«Unser Ziel ist es, in Europa weiterhin Marktführer zu bleiben und unsere Führungsposition weiter auszubauen.»

Für 2026 ist ein fast 100 Millionen Dollar teures Entwicklungszentrum für Biosimilars in Ljubljana geplant. Was gab den Ausschlag für diesen Standort?

Slowenien verfügt über ein robustes wirtschaftliches Umfeld, qualifizierte und gut ausgebildete Arbeitskräfte, eine ausgezeichnete geostrategische Lage und eine gut entwickelte Infrastruktur. Das Land hat starke Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebskapazitäten sowie enge Verbindungen zwischen Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen Das ermöglicht es uns, das Fachwissen der besten Experten des Landes zu bündeln, um schwierige pharmazeutische Herausforderungen anzugehen. Slowenien ist auch für sein gut entwickeltes Bildungssystem in den Bereichen Technik, Naturwissenschaften und Ingenieurwesen bekannt (das Land mit der höchsten Anzahl an Doktoranden pro Kopf) und verfügt daher über hochqualifizierte Arbeitskräfte.

Darüber hinaus blicken wir an unserem Standort in Ljubljana auf eine 77-jährige Tradition in der Entwicklung und Produktion von Medikamenten zurück, wobei Wissenschaftler von Lek, unserer slowenischen Tochter, auch Pioniere auf dem Gebiet der Biosimilars waren und vor 17 Jahren das erste derartige Medikament entwickelten. Biosimilars leisten einen herausragenden Beitrag zur Gesundheitsversorgung, indem sie einen breiteren Zugang zu modernsten Medikamenten und Therapien ermöglichen und zur Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme beitragen.

Wie sehen Sie die Preisentwicklung bei Nachahmerprodukten in den nächsten Jahren?

In wirtschaftlicher Hinsicht werden Generika in Europa immer noch weitgehend wie einfache «Waren» behandelt, allerdings mit einem grossen Unterschied: Hersteller müssen zu festen Preisen liefern, unabhängig von Angebots- und Nachfrageänderungen und unabhängig von Kostensteigerungen bei Rohstoffen, Energie und Arbeitskräften. Das ist langfristig nicht nachhaltig und führt zu einer Abwanderung von Herstellern in andere Länder. Wir müssen uns von dem «Billigprinzip» abwenden und wieder bereit sein, für Medikamente «made in Europe» angemessene Preise zu zahlen. Es kann und sollte nicht sein, dass wir in gewissen Märkten für ein Päckchen Kaugummi mehr bezahlen als für eine Behandlung mit lebensrettenden Antibiotika.

Das wichtigste längerfristige Problem sind daher auch nicht die Produktionskosten, sondern der allgemeine europäische Marktrahmen, der es den Herstellern nicht erlaubt, die Preise anzupassen, um veränderten Inputkosten Rechnung zu tragen, insbesondere bei lebenswichtigen Arzneimitteln. Wir müssen Konzepte wie inflationsgebundene Preise und Ausschreibungen mit Kriterien einführen, die über den Preis hinausgehen, um die langfristige Nachhaltigkeit der in Europa ansässigen Herstellung und Versorgung sicherzustellen.

Rund ein Zehntel der in der Schweiz jährlich abgegebenen kassenpflichtigen Medikamente stammen von Sandoz. Macht Sie das zu einem systemrelevanten Player?

Allerdings! In einzelnen Indikationen sind wir mit Abstand Marktführer und somit absolut relevant für die medikamentöse Versorgung von Schweizer Patientinnen und Patienten.

Ab Mitte 2024 wird der Hauptsitz von Sandoz in die Innenstadt von Basel verlegt. Ein Bekenntnis zur Stadt am Rhein?

Ja, das ist es. Der neue globale Sandoz-Hauptsitz befindet sich im Herzen der Stadt, direkt beim Bahnhof Basel SBB. Unser zweiter Standort in der Schweiz ist im anderen hiesigen Pharma Cluster in Risch im Kanton Zug. Von dort aus agiert die Schweizer Vermarktungsorganisation. Die Nähe zu diesen wichtigen Zentren der Life-Science-Branche wird uns dabei unterstützen, weiter zu wachsen.

Als Präsidentin eines Big Pharma Spin-offs schlagen bei Ihnen sicherlich zwei Herzen in einer Brust. Wie reagieren Sie, wenn jemand das hohe Lied der Originalpräparate anstimmt?

Da haben Sie absolut recht. Einerseits sind innovative Produkte wichtig, um medizinischen Fortschritt voran zu bringen, um noch mehr Krankheiten heilen zu können. Andererseits braucht es Generika und Biosimilars, um die Grundversorgung zu gewährleisten und Kosten im Gesundheitswesen zu kontrollieren. Dank Generika und Biosimilars konnten 2023 in der Schweiz 679 Millionen Franken an realisierten Einsparungen erzielt werden. Deshalb fühle ich mich in der Generikaindustrie sehr wohl – wir versorgen die breite Gesellschaft mit Medikamenten und sorgen gleichzeitig dafür, dass der medizinische Fortschritt finanzierbar bleibt.

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