10 Jahre Bankenvergleich: Wendepunkt in schweizerischen Weltkriegs-Debatte

Am 12. August 1998 unterzeichneten Vertreter der Schweizer Grossbanken UBS und CS, der Sammelkläger und des Jüdischen Weltkongresses unter der Vermittlung von Richter Edward Korman in New York einen Vergleich. Gegen die Zahlung von 1,25 Mrd USD durch die Banken wurden alle Klagen gegen die Schweiz im Zusammenhang mit Ansprüchen von Holocaust-Opfern fallen gelassen.


Schweiz in Identitätskrise gestürzt
Damit wurde ein vorläufiger Schlussstrich unter eine Kontroverse gezogen, die Mitte Neunziger Jahre begonnen und die Schweiz in eine schwere Identitätskrise gestürzt hatte. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg musste sie sich auf Druck von aussen – von jüdischen Organisationen und den USA – kritisch mit ihrer Weltkriegsvergangenheit auseinander setzen.


Sammelklagen in USA
Ursprünglich war es um nachrichtenlose Vermögenswerte von Holocaust-Opfern gegangen, die Schweizer Banken und Versicherungen nach dem Kriege widerrechtlich einbehalten hatten. Schon bald standen aber die gesamte schweizerische Wirtschaftspolitik gegenüber Nazideutschland, die Flüchtlings- und die Neutralitätspolitik in der Kritik. In den USA wurden Sammelklagen gegen die Schweiz lanciert. Die Behörden mehrerer US-Bundesstaaten und Städte starteten Boykottaktionen gegen Schweizer Banken.


Volcker-Komitee und Bergier-Kommission
Die überrumpelten Schweizer Banken und Behörden willigten 1996 in breit angelegte Untersuchungen der Schweizer Weltkriegspolitik durch international besetzte Gremien ein: Das Volcker-Komitee forschte in Schweizer Banken nach nachrichtenlosen Vermögen, und die Bergier-Kommission untersuchte die schweizerische Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik zur Nazi-Zeit. Mit der Einwilligung der Grossbanken in den Vergleich im August 1998 war die Gefahr von Sanktionen gegen die Schweiz gebannt. Die jüdischen Organisationen stellten ihre Angriffe auf die Schweiz allmählich ein.


Konkrete politische Schritte fehlen
Die schmerzliche innenpolitische Auseinandersetzung um die Schweiz im Zweiten Weltkrieg ging indes weiter. Die Kritik der Bergier-Kommission an der schweizerischen Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik rief vor allem bei der Weltkriegs-Generation heftigen Widerspruch hervor. Konkrete politische Schritte – wie eine Diskussion der Bergier-Berichte im Parlament – folgten aber nicht. Als einigermassen heikel erwies sich die Verteilung der Vergleichssumme. Trotz schrittweiser Ausweitung des Kreises der Bezugsberechtigten – etwa auf Zwangsarbeiter und «misshandelte» Flüchtlinge in der Schweiz – verlief die Auszahlung schleppend. Bis Ende Juni 2008 waren von den 1,25 Mrd USD eine Milliarde ausbezahlt.


Verteilprobleme
Die Verteilorgane, inbesondere Richter Korman, machten die Schweizer Banken für diese Probleme verantwortlich: Sie verweigerten die Herausgabe von Dokumenten und behinderten so den Verteilprozess. Die Beschuldigten wiesen die Vorwürfe umgehend zurück. Kritiker des Vergleichs sehen die Verteilprobleme als Beweis dafür, dass der Schweiz letztlich eine viel zu hohe Geldsumme abgetrotzt worden sei.


Eine Milliarde Dollar ist ausbezahlt
Zehn Jahre nach Abschluss des 1,25 Mrd USD schweren Bankenvergleichs sind eine Milliarde ausbezahlt worden. Dies geht aus einer Statistik des zuständigen New Yorker Gerichts hervor. Laut dieser Übersicht, die den Stand vom 30. Juni 2008 angibt, wurden bisher etwas über 1’005 Mio USD, also etwa 80% der Vergleichssumme, an insgesamt 448’703 Personen angezahlt, die einen Anspruch erhoben hatten. Von der 1,25 Mrd USD-Vergleichssumme wurden später 800 Mio für die Befriedigung von Ansprüchen auf nachrichtenlose Vermögen reserviert. Bislang sind aber erst 488,7 Mio USD an über 17’000 Antragsteller ausbezahlt worden.


Profit über Schweizer Banken geflossen
Weitere 287 Mio USD gingen an knapp 200’000 ehemalige Zwangsarbeiter. Nur 570 von ihnen haben aber wirklich in Filialen von Schweizer Unternehmen im Machtbereich der Nazis gearbeitet. Bei den übrigen ging man davon aus, dass der Profit, den ihre «Zwangsarbeitgeber» gemacht hatten, über Schweizer Banken geflossen sei. 205 Mio USD wurden an 230’000 Antragsteller ausgerichtet, denen die Nazis Hab und Gut geraubt hatten. 11,6 Mio USD gingen an 4’158 Personen, die als Flüchtlinge von der Schweiz abgewiesen oder nach eigenen Angaben in der Schweiz misshandelt worden waren. Der Rest wurde für verschiedene Projekte aufgewendet. (awp/mc/ps/04)

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