Artur P. Schmidt: Die helvetische Schuldenbombe

Von Artur P. Schmidt
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Die Schweiz ein sicherer Hafen?
Die Gebrüder Grimm hätten wahrscheinlich gerade ihre helle Freude an dem, was sich an Volksverdummung in vielen Volkswirtschaften abspielt. Gesundrechnen durch Gelddrucken heisst die Devise, welche die Währungen in einem Art Wirtschaftskrieg abwarten lässt, um die Verschuldungsquoten zu senken. Dass dies langfristig funktioniert, hat der Dollar bewiesen, nur ist dieser die Weltwährung, was man vom Schweizer Franken nicht behaupten kann. Deshalb wissen die Notenbanker, dass es besser ist über Wahrheiten zu schweigen und stattdessen mit relativen Gewissheiten zu arbeiten, die einen hohen Interpretationsspielraum zulassen. Dass die Schuldenkrise von Nationalstaaten alles andere als vorbei ist, haben Griechenland, Irland und wahrscheinlich auch bald Portugal und Spanien unter Beweis gestellt. In Zeiten der Krise suchen die Menschen nach Sicherheit. Doch ist die Schweiz mit einer der höchsten Hypothekenquoten der Welt wirklich ein sicherer Hafen? Darf man der Schweizerischen Nationalbank (SNB), die genau wie die FED und EZB eine Privatbank ist und als Schuldenjunkie agiert, vertrauen?


Kreative Buchhaltung
Der Schweizer Franken ist genauso wenig wert wie der US-Dollar, wenn es zu einer weltweiten Vertrauenskrise kommt. Deshalb gilt es, so viel wie möglich zu verschleiern, was sich mit Zahlenmaterial besonders intelligent anstellen lässt. Aufgrund der viel zu geringen Mindestreserven der schweizerischen Banken durch riesige Hebel und deren relativen Überschuldung gemessen am Bruttosozialprodukt ist auch der Schweiz kein sicherer Hafen für Vermögen mehr, vor allem nicht der schweizerische Franken. Kein Wunder, dass das intelligente Geld bereits nach Hongkong, Singapur und Brasilien flüchtet. Deshalb fordert die Expertengruppe des Bundes zu Recht, dass die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse ihr Eigenkapital mehr als verdoppeln sollen. Doch auch eine Aufstockung auf rund 76 Milliarden Franken ist für die Schweiz immer noch ein immanentes Systemrisiko. Der Beinahekollaps der UBS hat gezeigt, wie abhängig die Schweizer Volkswirtschaft von den Grossbanken ist. Gemäss Wikipedia hatte die Schweiz 2009 ein BSP von rund 495 Milliarden USD.  Mit einer Einwohnerzahl von knapp 8 Millionen (Stand 2009) ergibt sich pro Einwohner in der Schweiz ein Bruttosozialprodukt von  etwa 68.000 USD. Die nachfolgende Grafik zeigt das quartalsweise Wachstum des BSP in der Schweiz:



Abb.: Quartalswachstum des Bruttosozialproduktes; Quelle: Schweizerische Nationalbank


Die Schweiz im Währungskrieg
Ein schweizerisches Krisenszenario und auch dasjenige des schweizerischen Franken als Weichwährung gegenüber asiatischen Währungen ist nicht abwegig. Da die Schweiz nicht nur hohe Gebirge hat, sondern auch auf grossen Bergen von Schulden sitzt, kann die Nationalbank zwar frisches Geld drucken. Allerdings wissen wir, dass man durch Nochmehr-Schuldenmachen die eigentlichen Probleme nur verschlimmbessert. Die entscheidende Frage bei den Währungen lautet deshalb: «Wer druckt am meisten Geld und wo geht das Vertrauen am schnellsten verloren?». Deshalb lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass sich auch die Schweiz heute schon in einem Währungskrieg befindet, den eigentlich kein Land gewinnen kann, das überschuldet ist, denn früher oder später wird es zu einer Abwertung vieler Staatsanleihen auf «Junk Bond»-Niveau kommen. Ein Staat, der sich kontinuierlich verschuldet, gerät in eine gefährliche Abwärtsspirale, da mit zunehmenden Schulden die Zinslast steigt, die durch den Zinseszinseffekt zur Aufnahme von immer neuen Schulden zwingt. Deshalb hat die Ratingagentur Standard & Poor’s bereits begonnen, die Bonität einzelner Staaten herabzustufen, wobei Sie natürlich die USA aus ihren Betrachtungen bisher tunlichst ausgeklammert hat.


Trügerischer Blick
Gestützt auf die Datenlage könnte man meinen, dass der Schweizer Staat auf soliden Beinen steht. Die Nettostaatsschuld betrug im Jahr 2008 etwa 220 Milliarden Franken, was einen Anteil von 41,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ausmachte. Der Blick auf die Staatsschulden ist jedoch trügerisch, da sich durch die Verbindlichkeiten der Grossbanken und ausserbilanziellen Derivateschulden diese Quote im Falle eines weltweiten Anleihe-Crashes sehr schnell auf über 100 Prozent des BIP erhöhen könnte. Zwar muss der Staat nicht für die gesamte Passivseite der Banken garantieren, da den Bankschulden Werte auf der Aktivseite gegenüberstehen; nichtsdestotrotz müsste der Staat im Fall einer neuerlichen Finanzkrise alle Löcher stopfen – die sichtbaren und die unsichtbaren, die durch die aufgeweichten Bilanzierungsmethoden und durch ausserbilanzielle Positionen auftreten. Osteuropakredite im Umfang von 75 Milliarden Franken sind zwar nicht über Interbankenkredite von Schweizer Banken direkt finanziert, sondern über den Kapitalmarkt und damit breit im Markt gestreut, jedoch wirken sich hohe Abschreiber auch direkt auf das Nettovermögen der Schweizer aus, die stark in Mitleidenschaft gezogen würden. Letztendlich hat nur das Aufspannen von Rettungsschirmen in der EU bisher die osteuropäischen Länder vor dem Schlimmsten bewahrt. Die Verschuldung vieler Marktteilnehmer in Schweizer Franken birgt hier aber immer noch ein erhebliches Risiko.


Zerschlagung und Schrumpfung  
Die Probleme der UBS und anderer Geldinstitute in Europa zeigen, dass diese ganze Volkswirtschaften destabilisieren können. Deshalb haben die Ökonomen ein eigenes Akronym für internationale Grossbanken geprägt: «SIFI» – «Systemically Important Financial Institutions». Etliche dieser Banken, wie die UBS, sind immer noch so gross, dass ihre Mutterländer nicht in der Lage wären, diese im Notfall vor dem Untergang zu retten. Deshalb kann hier nur eine Zerschlagung in UBS-Babyfirmen (wie 1984 bei AT&T) und eine weitere Schrumpfung von UBS und Konsorten Abhilfe schaffen. Pro memoria: In Ländern wie der Schweiz, den Niederlanden und auch Grossbritannien sind ähnliche Katastrophen wie in Island und Irland möglich. Mindestens 30 europäische Banken haben Verbindlichkeiten, die mindestens halb so hoch ausfallen wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ihres Mutterlandes. Besonders extrem ist die Situation für die Schweiz, wo sich alleine die Schulden der UBS auf fast das vierfache der hiesigen Wirtschaftsleistung belaufen. Auch die Aussenstände der Credit Suisse belaufen sich immerhin noch auf das zweifache des Schweizer BIP. Zusammen also mehr als das 6-fache des BSP. 


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«Too big to rescue» 
Auch in Grossbritannien summieren sich die Zahlungsverpflichtungen aller Geldinstitute auf den Faktor 5,5 der Wirtschaftsleistung. Hier tickt eine ökonomische Schuldenzeitbombe. Auch in der Schweiz übersteigen die steigenden Staatsschulden die Möglichkeiten, die UBS oder Credit Suisse im Ernstfall zu retten. Die Eidgenossenschaft ist bei UBS und Credit Suisse in einem Gefangenendilemma, welches sich bei einer Vertrauenskrise nicht lösen lassen wird. Eine Rettung würde unmittelbar den Staatsbankrott der Schweiz nach sich ziehen. Die Schweiz ist dank UBS und Credit Suisse in finanzieller Hinsicht zu einem riesigen Alpen-Hedgefonds degeneriert. Kein Wunder, dass jetzt ein ehemaliger Hedgefondsmanager als Notenbankchef den Konkursverwalter spielen muss. An der Ideologie der Grossbanken, wonach Wachstum Wettbewerbsvorteile bietet, wird er sich noch die Zähne ausbeissen. Schweizer Banken sind in Wahrheit nicht «too big to fail» sondern «too big to rescue»! Die Schweiz ist für einen Kollaps der UBS definitiv nicht gerüstet. Im Falle einer Insolvenz einer Schweizer Grossbank müsste ein internationales Rettungspaket geschürt werden. Vielleicht kommt der Bailout dann von China, dem Land, das schon bei Griechenland als Aasgeier in Erscheinung getreten ist.


Erpressbare Schweiz  
Die bisherigen Rettungskosten der UBS von 60 Milliarden Franken könnten sich als bei weitem nicht ausreichend erweisen, wenn es zu weiteren Staatsbankrotten kommt. Zusammen haben die UBS und CS Kredite in der Höhe von 640 Milliarden Franken ausstehend, was im Falle eines Platzens des weltweiten Anleihebubbles Abschreibungen in dreistelliger Milliardenhöhe zur Folge hätte. Dies wissen auch die Amerikaner, sonst hätten Sie die UBS wohl kaum zur Herausgabe von Kundendaten an die USA unter Umgehung des üblichen Rechtsweges zwingen können. Faktisch ist die Schweiz durch ihre wie Krebsgeschwüre gewachsenen Grossbanken erpressbar geworden. Auch der Fall des Bankgeheimnisses ist Ausdruck dieser aufgrund der Auslandverschuldung geschwächten Wettbewerbsposition des hiesigen Bankenplatzes. Deshalb kann die Devise nur Gesundschrumpfen sein. Den Schweizer Grossbanken muss als erstes der Eigenhandel verboten werden. Die wie Legebatterien anmutenden Tradingstations der UBS dürfen nicht weiter als Zockerbrutstätten genutzt werden. Des Weiteren müssen die Grossbanken entflochten werden, das heisst eine Trennung in Geschäfts- und Investmentbanking sollte vollzogen werden.


Eigenkapitalquote von mindestens 40%
Eine Entflechtung durch komplette Verselbständigung einzelner Konzernteile könnte ein Übriges tun, das Risiko – bezogen auf die Gesamtbank – zu begrenzen. Sollten die Banken hier nicht einlenken, wäre wegen des hohen Risikos eine Zwangsaufspaltung einzuleiten. Grübels Mehr-Risiko-Ansatz war schon bei seinen Vorgängern die Ursache der heutigen Probleme und kann deshalb keine Lösung sein, sondern künftig sind klare Grössenbegrenzungen durchzuführen. Die UBS darf – bezogen auf Ihre Bilanzsumme – nicht mehr grösser werden als maximal die Hälfte des Bruttosozialproduktes. Eine Bank, die diese Grösse erreicht hat, sollte dann eine Eigenkapitalquote von mindestens 40% aufweisen, um im Krisenfall genügend Liquidität zu haben. Die Schweiz muss hier schon deshalb handeln, weil ausser Liechtenstein und Luxemburg kein Land Europas so abhängig von seinen Banken und Versicherungen ist wie die Schweiz. Immerhin stammten in Hochzeiten des Finanzbooms nahezu 14 bis 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Schweiz aus der Finanzwirtschaft, wohingegen es in Grossbritannien nur sieben und in den USA nur fünf Prozent sind. Ein Schelm wer hier böses denkt!


Unkalkulierbare Derivateschulden
Wie auch in den USA betreibt die SNB mit ihrer «Quantitative Easing»-Strategie eine Refinanzierung der Bundesobligationen sowie der Unternehmen mit der Notenpresse. Dass die Lage trotz aller Beschönigungen ernst ist, zeigt auch die Zunahme der Konkurse von Januar bis Oktober 2010. Die Zahl der Firmenkonkurse in der Schweiz nahm gegenüber dem Vorjahr um 24 Prozent zu, wobei Experten per Ende des Jahres mit etwa 6200 Firmenpleiten rechnen. In der Schweiz wird 2010 mit einer Neuverschuldung von 11,75 Milliarden Franken durch Bund, Kantone und Gemeinden gerechnet. Dies ist zwar, gemessen am Bruttosozialprodukt, verhältnismässig wenig, jedoch sieht die Lage bei den ausserbilanziellen Derivatepositionen wahrscheinlich viel dramatischer aus. Deshalb kann es nur verwundern, wenn die Grossbank UBS jetzt wieder grössere Risiken eingehen will. Die Lage ist also alles andere als entspannt und ein Blick in die Statistiken der Nationalbank ist ebenso trügerisch. Die dort ausgewiesenen Derivatepositionen dürften, gemessen am weltweiten Marktanteil der Schweizer Banken, kaum der Wirklichkeit entsprechen. Doch dies spielt so lange keine Rolle, wie das Vertrauen in die Schweiz gewahrt bleibt.


Bei der nächsten Krise droht ein Billionengrab
Doch wie gross ist das Problem wirklich? Die wahrscheinlichen ausserbilanziellen Derivateschulden der Grossbanken (unter der Annahme, dass die Schweiz etwa 1 Prozent des Welt-BSP ausmacht und mit Hebel 6 geleveraged ist, bei einem Ausfallrisiko von lediglich 10 % des weltweiten  Derivatevolumens von etwa 600 Billionen USD) betragen pro Schweizer mindestens 450’000 Franken. Die Tatsache, dass jeder Schweizer Bürger (auch das neugeborene Kleinkind) durch das Zocken der Grossbanken mit einem maximalen Risiko von 4’500’000 Franken in den potentiellen Büchern zukünftiger Konkursverwalter steht, kann im Falle einer erneuten heftigen Finanzkrise zu einem Billionengrab führen. Würde es zum ultimativen Super-GAU einer vollständigen Systemkrise kommen, wäre der ultimative Staatsbankrott der Schweiz ohnehin besiegelt. Entscheidend für die Schweiz wird es sein, wie lange das Vertrauen aufrecht erhalten werden und der weltweite Ponzi-Derivatemarkt nicht vollständig kollabiert. Noch ist das Vertrauen durch die Eurokrise so stabil wie das Matterhorn, aber auch die Schweiz ist vor einem finanziellen Erdbeben am Derivatemarkt und in Folge des Franken und seiner Staatsanleihen nicht gefeit.


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Artur P. Schmidt
Der Wirtschaftskybernetiker Dr.-Ing. Artur P. Schmidt wurde in Stuttgart geboren. Er besuchte im Stadtteil Zuffenhausen das Ferdinand-Porsche-Gymnasium und machte dort das Abitur. Das Studium der Luft- und Raumfahrttechnik in Stuttgart und Berlin schloss er im Alter von 27 Jahren mit  der Bestnote im Fachgebiet Raketentechnik ab, so dass ihm von Prof. H.H. Koelle die Promotion angetragen wurde. Im Alter von 30 Jahren erhielt Artur P. Schmidt den Doktortitel für ein kybernetisches Marktanalyse-Verfahren am Beispiel der Strategischen Planung von Airbus Industries. Nach einer Beratungstätigkeit bei Anderson Consulting sowie als Leiter der Strategischen Analyse der Ruhrgas AG war Dr. Schmidt Stipendiant der Stiftung zur Förderung der systemorientierten Managementlehre und letzter Schüler von Prof. Hans Ulrich, dem Begründer des St. Galler Management-Ansatzes. Während dieser Zeit begann Dr. Schmidt seine publizistische Laufbahn, aus denen Bestseller wie «Endo-Management» und «Der Wissensnavigator» sowie Wirtschaftsbücher wie «Wohlstand_fuer_alle.com» oder «Crashonomics» hervorgingen. Sein neuestes Buch, welches im EWK-Verlag (www.ewk-verlag.de ) erschienen ist, heisst  «Unter Bankstern».



















Heute ist Artur P. Schmidt Herausgeber des Online-News-Portals www.wissensnavigator.com sowie der Finanz-Portale www.bankingcockpit.com , www.wallstreetcockpit.com , www.futurescockpit.com und www.optioncockpit.com sowie Geschäftsführer der Tradercockpit GmbH (www.cockpit.li ). Dr. Schmidt ist ein gefragter Keynote-Speaker sowie Kolumnist für zahlreiche Finanzpublikationen. 

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