Der Verwaltungsrat als Strategie- und Strukturgestalter

Von Carsten B. Henkel und Martin C. Wittig, Roland Berger Strategy Consultants

Die Strategie wie auch die Organisation einer Unternehmung werden nach den Herausforderungen des Marktes durch den Verwaltungsrat ausgerichtet. So wird während einer Wachstumsphase anders gehandelt als während einer Konsolidierungsphase oder einer Krise. Es kann das mittelfristige Ziel sein, spezifische Kundensegmente oder geografische Märkte zu erobern, neue Produkte zu entwickeln oder bestimmte Technologien zu fördern.

Strategie bestimmt die Organisation
Einen wichtigen Einfluss auf die geeignete Strategie und die Rolle des Verwaltungsrats hat die Unternehmensgrösse: In kleinen Unternehmen muss der VR in der Lage sein, Expertisedefizite, zum Beispiel spezifische Auslands- oder M&A-Erfahrungen, zu kompensieren. Bei einem personell limitierten Management-Pool fehlen oft, nicht zuletzt in Zeiten externen Wachstums oder eines Change Management, die spezifischen Kenntnisse. In grossen, börsenkotierten und in globalen Unternehmen richtet sich der VR nach dem Führungsgrundsatz «Structure follows strategy – people follow structure and strategy». Strukturen an bestehende Ressourcen anzupassen oder darum herum zu bauen, kann eine nachhaltige Entwicklung massiv bremsen oder gar verhindern. Fragen der Arbeitsteilung zwischen dem VR und der Geschäftsleitung oder auch die Frage der Organisation (z.B. funktional versus divisional) werden ebenfalls strategiegetrieben entschieden.



Anforderungen an den Verwaltungsrat
Die Zusammensetzung des Verwaltungsrats wird bestimmt durch die Funktion als Gesamtgremium sowie die Eigenschaften, Fähigkeiten und Erfahrungen jedes einzelnen Mitglieds. Der VR-Präsident hat zusätzlich eine klare Führungsfunktion, indem er weitgehend bestimmt, was wann und in welcher Form auf die Agenda gesetzt und somit entschieden wird. Als Gremium soll der Verwaltungsrat einen möglichst breiten branchen- und marktübergreifenden Erfahrungshintergrund aufweisen. Der wichtige Bereich Finanzierung und M&A soll ebenso abgedeckt sein wie – im gegebenen Fall – die internationale firmen- und prozessrechtliche Seite. Es darf nicht gezögert werden, in Ausnahmesituationen oder besonderen strategischen Herausforderungen eine vorausplanende Erweiterung des Gremiums vorzunehmen. So ist es zum Beispiel hilfreich, wenn der Verwaltungsrat für die Entwicklung einer Markteintrittsstrategie in China oder für den Ausbau des Risikomanagements um die entsprechenden Kompetenzen ergänzt wird. Von den Verwaltungsratsmitgliedern wird erwartet, dass sie sich engagiert für die Aktionärsinteressen einsetzen und damit die Wertschöpfung maximieren. Die fachliche Qualifikation und ein breiter Fundus an Erfahrungen sind von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig brauchen sie ein tiefes Verständnis für das konkrete Geschäft des Unternehmens. Verwaltungsräte müssen Entscheidungen begründen und nach aussen vertreten können. VR-Mitglieder, die aus dem eigenen Unternehmen gewählt werden, tragen neben ihren spezifischen Erfahrungen zur Kontinuität insbesondere bei Beziehungen zu Kunden und Institutionen bei. Bei dieser Konstellation ist allerdings im Sinne der Good Corporate Governance strikt darauf zu achten, dass die Qualitätssicherungsfunktionen durch nicht exekutive VR-Mitglieder wahrgenommen werden.


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Zusammenspiel im Strategieprozess
Indem der Verwaltungsrat die übergeordneten Ziele definiert, schafft er die strategischen Rahmenbedingungen für die operative Führung. In der Schweiz sind die Rolle des Verwaltungsrats und seine Aufgaben im Obligationenrecht (OR) festgelegt. So haftet der VR für fehlerhaft zustande gekommene Strategieentscheide. Das OR lässt es dem VR frei, wie er die Geschäftsführung gestalten will. Die Mitglieder einer eingesetzten Geschäftsleitung werden entsprechend den Strategieanforderungen sowie Markt- und Wettbewerbserfordernissen ausgewählt. Bei Gestaltung und Implementierung der Strategie gibt es in der Regel eine klare Arbeitsteilung: Die Geschäftsleitung erarbeitet die Strategie für das Unternehmen und seine Geschäftseinheiten, beantragt die Genehmigung beim Verwaltungsrat und übernimmt die Umsetzung. Dafür stellt sie die Organisation mit den zugehörigen Verantwortlichkeiten auf. Der VR nimmt im Strategieentwicklungsprozess die Rolle des Coachs und Sparringpartners ein und steht im regelmässigen Dialog mit der Geschäftsleitung. Offenheit und Häufigkeit des Austausches zwischen den beiden Gremien haben einen direkten Einfluss auf die Erfüllung der strategischen Aufgaben. Finden die Treffen zu selten statt, entsteht das Risiko, dass die Geschäftsleitung bereits bei den Anträgen eine Vorauswahl trifft und sich auf diejenigen beschränkt, die leichter durchzusetzen sind, statt die strategisch sinnvollsten Vorschläge einzubringen. Neben seiner Teilnahme bei der Entwicklung und der ersten Implementierung einer Strategie ist der Verwaltungsrat auch verantwortlich für die Fortschritts- und Erfolgsanalyse sowie für nötige Kurskorrekturen. Essenziell für das rechtzeitige Reagieren ist die Installation funktionierender Kontroll- und Kommunikationsmechanismen. Deren Sicherstellung liegt – im Zusammenspiel mit der Geschäftsleitung – ebenfalls in der Verantwortung des VR. Das Verhältnis zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung wird im Swiss Code of Best Practice (SCBP) normiert. Im Besonderen sind dort Regelungen für den VR zur Bildung und Ausgestaltung von Ausschüssen aufgeführt. Zusätzlich fordert der SWX-Kodex Transparenz bezüglich Besetzung, Kompetenzen, Aufgaben und Anzahl der Sitzungen aller Ausschüsse.

Vision des idealen Verwaltungsrates
Die Idee hinter der Aufteilung der Unternehmensführung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung ist das Prinzip der «Checks and Balances». Übergeordnete Aufgabe des VR dabei ist es einerseits, durch die Definition der Unternehmensziele der Geschäftsleitung den Kurs vorzugeben. Andererseits überwacht er den Prozess der Strategieumsetzung und schreitet korrigierend ein. Dabei hat er Dinge zu hinterfragen, die in der Geschäftsleitung möglicherweise als selbstverständlich angesehen werden. Ausgehend von diesen Hauptaufgaben, lassen sich ideale Eigenschaften für die Zusammensetzung des VR sowie für die Eigenschaften und Fähigkeiten seiner Mitglieder ableiten. In seiner Zusammensetzung sollte der ideale Verwaltungsrat möglichst heterogen sein in Bezug auf den Charakter der Mitglieder, ihrer Berufe und Erfahrungen sowie bei internationalen Unternehmen auch in Bezug auf den geografischen Erfahrungshintergrund. So wird erreicht, dass der VR in seiner Gesamtheit einen möglichst grossen Teil des Spektrums an relevanten Themen abdeckt. Gleichzeitig ermöglicht die heterogene Zusammensetzung einerseits einen breiten Horizont und vielfältige Blickwinkel und andererseits die Grundlage für angeregte, ergebnisreiche Diskussionen. Das ideale Verwaltungsratsmitglied verfügt über ausreichend Zeit und ist unabhängig. Die Unabhängigkeit bezieht sich einerseits auf die intellektuelle und die fachliche Kompetenz. Ein VR muss in der Lage sein, selbständig urteilen zu können über die zu entscheidenden Fragen. Er muss auf ein breites Spektrum an Erfahrungen zurückgreifen können und daraus nötige Veränderungen im Unternehmen ableiten. Er versteht das Geschäftssystem mit den wesentlichen Hebeln der Wertgenerierung und weiss, diese aus dem finanziellen Zahlenwerk herauszulesen. Ausserdem gewinnt er die Motivation für das Amt nicht aus dem Gehalt, der Reputation oder der Möglichkeit, sein Netzwerk zu erweitern, sondern aus inhaltlichem Interesse.

Fazit
Die Anforderungen an die Unternehmen durch den sich verschärfenden Wettbewerb nehmen stetig zu. Damit steigt auch der Druck auf den Verwaltungsrat, die Unternehmungsführung und den Strategieprozess so zu gestalten, dass der Markterfolg für das Unternehmen maximal wird. Das bedeutet oft nicht nur, dass die bisherige Arbeitsteilung zwischen VR und Geschäftsleitung neu definiert wer den muss, sondern dass sich auch die Anforderungen an einzelne Verwaltungsratsmitglieder weiter hin erhöhen.




Roland Berger Strategy Consultants
1967 gegründet, ist die weltweit führende Strategieberatung europäischen ursprungs. Mit 36 Büros in 25 ländern ist das Unternehmen erfolgreich auf dem Weltmarkt aktiv. 2000 Mitarbeiter haben 2007 einen Honorarumsatz von
über 600 Mio. Euro erwirtschaftet. Die Strategieberatung ist eine unabhängige Partnerschaft im ausschliesslichen Eigentum von rund 160 Partnern.

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