Giovanni Leonardi, CEO Atel: «Unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten macht die Kernenergie absolut Sinn»

von Patrick Gunti


Herr Leonardi, die Atel hat in Frankreich ein Gas-Kombikraftwerk projektiert. Die Bewilligung vorausgesetzt: Wann soll das Werk in Betrieb gehen und wie viel Strom soll produziert werden?

Wir erwarten die Baubewilligung im Jahr 2007. Wenn alles nach Plan läuft, sollte das Gas-Kombikraftwerk spätestens im Jahr 2010 ans Netz gehen. Das Kraftwerk produziert mit einer Leistung von 400 MW im Jahr rund 1600 GWh. Damit können rund 100’000 Haushalte mit Strom versorgt werden.

Auch in der Schweiz sollen Grosskraftwerke wie eben Gas-Kombikraftwerke die für 2020 vorausgesagte Stromversorgungslücke schliessen. Was sind die Vor- und Nachteile der Gas-Kombikraftwerke?

Grosser Vorteil ist die relativ kurze Projektierungs- und Bauzeit. Schon rund 5 bis 6 Jahre nach Projektierungsstart könnte ein Gas-Kombikraftwerk Strom und Wärme produzieren. Nachteile sind der CO2-Ausstoss – mit der entsprechenden Unsicherheit und den Kosten bezüglich einer künftigen CO2-Abgabe – sowie die Abhängigkeit von der Gaslieferung, die jederzeit sichergestellt sein muss. Die Gaslieferungen unterliegen jedoch politischer Einflussnahme und wohl auch grösseren Preisschwankungen. Da die Kosten von Strom aus einem Gas-Kombikraftwerke zu über 70 Prozent aus den Kosten für den Brennstoff bestehen, ist dies ein wichtiger Punkt bei der Entscheidungsfindung.


Ich bin überzeugt, dass die Schweizer Bevölkerung dem Ersatz der Kernkraftwerke zustimmen wird. (Giovanni Leonardi, CEO Atel)


Sie haben wiederholt erklärt, dass die Schweiz trotz aller erneuerbaren Energien neue Grosskraftwerke benötigt, und dabei auch neue Kernkraftwerke gefordert. Was passiert, wenn dies nicht geschehen sollte?

Aus Sicht Atel wird die Stromlücke in der Schweiz schneller und stärker kommen als heute erwartet. Wenn wir in der Schweiz keine neuen Grosskraftwerke bauen können, nimmt unsere Abhängigkeit von Stromimporten dramatisch zu. Der Strompreis wird steigen, ebenso die Gefahr von Blackouts. Und Blackouts sind in jeder Beziehung – insbesondere volkswirtschaftlich – schlecht.


Trotz der Ablehnung der Atomverbots-Initiativen 2003 und in Anbetracht der grossen Akzeptanz von erneuerbaren Energieträgern dürfte es sehr schwer werden, die Bevölkerung von neuen Kernkraftwerken zu überzeugen. Wie wollen Sie das schaffen und wie wichtig ist dabei die Standortfrage?

Ich bin überzeugt, dass die Schweizer Bevölkerung dem Ersatz der Kernkraftwerke zustimmen wird. Die Fakten sprechen eine klare Sprache: Selbst bei beherzter und milliardenschwerer Förderung der Alternativenergien werden diese nur einen Bruchteil der benötigten Strommenge beisteuern. Das wurde durch Parlament und Bundesrat auch bestätigt. Dann bleiben noch Gas-, Oel-, Kohle oder Kernkraftwerke. Aus unserer Sicht sind für die Schweiz die Kernkraftwerke die beste Lösung, um die Stromlücke langfristig zu schliessen. Unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten macht die Kernenergie absolut Sinn. Die Standortfrage ist wichtig. Es lässt sich kein Grosskraftwerk gegen den Widerstand der Bevölkerung realisieren.


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Der Bundesrat hat mit der Genehmigung des Entsorungsnachweises für hoch – und mittel radioaktive Rückstände den Weg für das Rahmenbewilligungs- Gesuch eines neuen AKW geebnet. An wem ist nun der nächste Schritt – an der Politik oder an der Elektrizitätswirtschaft?

Der Gesetzgeber sieht keine Koppelung der Entsorgungsfrage mit derjenigen des Ersatzes von Kernkraftwerken vor. Vielmehr ist es so, dass die Bundesbehörden nach Vorliegen des Entsorgungsnachweises nun in der Pflicht sind, den Prozess für den Bau eines Endlagers voranzutreiben. Der Ball liegt also bei den Bundesbehörden.


Die vom zuständigen Bundesamt postulierten 25 Jahre für ein Bewilligungsverfahren sind absurd. (Giovanni Leonardi, CEO Atel)


Falls neue Kernkraftwerke gebaut werden könnten – in welchem Zeitraum wäre ein Bau möglich und könnte die Atel diesen durchführen?

Das Kernkraftwerk Gösgen haben wir damals in 9 Jahren gebaut. Heute werden in Finnland und Frankreich neue grössere Kernkraftwerke in 10 bis 12 Jahren gebaut. Das sind realistische Zeiträume, die auch unsere Gesetzgebung zulassen würde. Aber nur, wenn das Bewilligungsverfahren von den Behörden straff geführt wird. Genau das erwarten wir auch. Die vom zuständigen Bundesamt postulierten 25 Jahre für ein Bewilligungsverfahren sind absurd. Atel hat als einziges Schweizer Energieunternehmen heute schon Gas-, Kohle- und Kernkraftwerke im Portfolio. Wir beherrschen diese Techniken heute schon. Atel ist fit und bereit, auch in Grosskraftwerke in der Schweiz zu investieren. Allerdings erst, wenn die Rahmenbedingungen dies zulassen.


Wissenschaftler erklären, dass grosse Forschungs- und Entwicklungs-Anstrengungen der einzige systematische Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung der künftigen Energieversorgung sind. Was tut Atel auf diesem Gebiet?

Atel beschäftigt rund 7000 Personen im Segment Energieservice – vorwiegend in der Schweiz und Deutschland. Diese Fachleute bauen beispielsweise modernste Biomassekraftwerke, verbinden Windparks mit dem Leitungsnetz, bauen revolutionäre Solar-Kraftwerke für die sonnigen Gebiete unserer Erde oder setzen im Installationsbereich Energieeffizienz-Massnahmen um. Zudem engagiert sich Atel über Swisselectric Research an der Förderung von Stromforschungsprojekten. Hinter Swisselectric Research stehen die grossen Schweizer Stromunternehmen und stellen jährlich bis zu 10 Millionen Franken für hoffnungsvolle Projekte zur Verfügung.

Wird in der Schweiz insgesamt im F&E-Bereich genügend getan?

Angesichts der Bedeutung von Wissenschaft und Forschung für den Werkplatz Schweiz können wir nie genug dafür tun. Wir werden in unseren Anstrengungen nicht nachlassen dürfen.


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In Italien setzt Atel auf erneuerbare Energien und beteiligt sich an zwei Kleinwasserkraftwerken im Piemont und zwei Windkraftwerkparks in Sizilien. Wie sinnvoll ist dieses ökologisch freundliche Engagement ökonomisch?

In erster Linie erzeugen diese Kraftwerke dringend benötigten ökologischen Strom. Gleichzeitig ermöglicht die italienische Gesetzgebung einem Unternehmen, diese Investitionen auch ökonomisch abzustützen. Ein ähnlicher Vorgang ist mit der Förderung neuer erneuerbarer Energien im neuen Strom-Versorgungsgesetz auch in der Schweiz vorgesehen.

Die erneuerbaren Energien leisten in der Schweiz einen Anteil von 56 % an der Stromerzeugung. Welche Investitionen tätigt Atel in diesem Bereich in der Schweiz?

In der Schweiz bedeutet erneuerbare Energien vor allem Wasserkraft. Atel hält traditionellerweise einen grossen Wasserkraftwerk-Park. Einerseits sind dies Stauseen und Kraftwerke in den Alpen, andererseits Laufwasserkraftwerke im Mittelland. Neu ist unser Engagement in der Kleinwasserkraft. Wir haben jüngst die Firma Atel EcoPower AG gegründet. Sie wird hauptsächlich in Kleinwasserkraftwerke investieren und ist mit einem Risikokapital von 50 Millionen Franken ausgestattet.


Atel hat die günstigen Rahmenbedingungen optimal nutzen können: Steigender Energiebedarf bei steigenden Preisen. (Giovanni Leonardi)


Atel hat in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2006 kräftig zugelegt: Was waren die Hauptfaktoren für den um 43 % höheren Umsatz von 8,5 Mrd. Franken und den um 61 % gesteigerten Gewinn von fast einer halben Milliarde Franken?

Atel hat als in ganz Europa aktive und mit über 50 namhaften lokalen Tochtergesellschaften ausgezeichnet verankerte Energiedienstleisterin die günstigen Rahmenbedingungen optimal nutzen können: Steigender Energiebedarf bei steigenden Preisen. Zudem haben wir in den sich kontinuierlich öffnenden Märkten Europas unsere Position weiter gestärkt. Und unser Trading verzeichnet erneut ein ausgezeichnetes Jahr.

Welches Resultat erwarten Sie für das Gesamtjahr?

Wir erwarten Umsatz und Ergebnis, welche die Vorjahreszahlen deutlich übertreffen werden. Im 2005 haben wir mit 8.6 Milliarden Umsatz einen Reingewinn von 413 Millionen erzielt.

Am 15. Dezember hat die nationale Netzgesellschaft swissgrid – mit der Atel als einem der sieben Verbundsunternehmen – ihre Tätigkeit aufgenommen. Was bedeutet dies für die Schweizer Stromwirtschaft?

Swissgrid hat die Verantwortung für den sicheren Betrieb des Schweizer Höchstspannungsnetzes übernommen. Sie nimmt diese Aufgabe in enger Zusammenarbeit mit den Verbundunternehmen wahr. Zudem agiert Swissgrid als zentrale Anlaufstelle für unsere europäischen Kollegen im Netzbereich. Auf Grund des veränderten Umfelds – steigender Stromverbrauch, liberalisierte Märkte – wird der sichere Netzbetrieb immer anspruchsvoller. Swissgrid hilft, die Schweiz zuverlässig mit Strom zu versorgen. Die Rahmenbedingungen dafür wurden in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend schwieriger. Aber Swissgrid ist keine Produktionsgesellschaft. Für eine sichere Stromversorgung brauchen wir in der Schweiz deshalb dringend neue Kraftwerke.


Herr Leonardi, wir bedanken uns für das Interview.





Zur Person
CEO Giovanni Leonardi, Dipl. El.-Ing. ETHZ, ist seit 1991 bei der Atel-Gruppe tätig. Bis 1993 war er am Sitz Bodio der Aare-Tessin AG Leiter Fernübertragungs-/Fernsteuerungssysteme und Büroinformatik, zwischen 1994 und 1997 übernahm er die Direktion der SARR SA in Lugano und schliesslich zwischen 1998 und 2004 war er Direktor der Atel Installationstechnik AG in Zürich. Weitere Tätigkeiten in Führungs- und Aufsichtsgremien:  Società Elettrica Sopracenerina SA, Locarno (VRP) Edipower, Milano (VR-Mitglied). 
 
Zum Unternehmen
Atel ist die führende, europaweit tätige Energiedienstleisterin der Schweiz. Kernkompetenzen der Atel sind der Energiehandel und die Energieservices. Atel verfügt zudem über eigene Netze und bedeutende Produktionsanlagen. Der geografische Fokus liegt in Europa in den Schwerpunktländern Schweiz, Italien, Deutschland, Skandinavien, Frankreich und im mittel-/osteuropäischen Raum.


 

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