Martin Zenhäusern: Recht haben

Jeder Rechtsanwalt weiss, dass Recht haben und Recht bekommen zwei verschiedene Paar Stiefel sind. Ähnlich ergeht es Menschen, die in die Kritik der Medien geraten. Und all denjenigen, die Emotionen mit Sachlichkeit begegnen wollen. Wer falsch liegt, ist der Unterlegene. Rechthaben wollen ist zu einer Volkskrankheit geworden. Warum? Weil jeder, der einen Fehler oder eine Fehleinschätzung begangen hat, zum Kreis der Verlierer gehört. Und damit zu einem Aussenseiter, manchmal zu einem gesellschaftlich Geächteten wird. Wer nicht Recht hat, zeigt Schwäche. So wenigstens beurteilt dies die Aussenwelt..

Mit dem Fortschritt Schritt halten?
Wer Rechthaben will, will dies häufig um jeden Preis. Wer Rechthaben will, hört auf zu lernen und neugierig zu sein. Das, was ihn gestern erfolgreich gemacht hat, gilt in seiner Wahrnehmung auch heute noch. Und morgen erst recht. Also verteidigt er seine Meinung und seine Modelle und Instrumente, die ihn dorthin gebracht haben, wo er heute ist. So steht er letztlich seiner persönlichen Entwicklung im Wege. Er geht keine Experimente mehr ein. Und irgendwann kann er mit dem Fortschritt nicht mehr Schritt halten. Er wird abgehängt. Das Rechthaben wollen zieht sich wie ein roter Faden auch durch die Wirtschaft. Was wir gerne ausblenden wollen, ist, dass auch Business-Modelle eine Halbwertszeit haben. Die Finanzbranche zum Beispiel weiss, dass das bisherige System nicht mehr zu halten ist, dass es überholt ist und nicht mehr in die heutige Zeit passt. Nur hat sie diese Erkenntnis noch nicht verinnerlicht. Deshalb hält sie am alten Modell fest, in der Hoffnung, damit noch einmal durchzukommen.


Ebenso ist die Zeit des Bankkundengeheimnisses abgelaufen. Es geht nur noch um den Zeitpunkt bis zum offiziellen Exit. Und auch die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ist nicht mehr vermittelbar. Die Rückzugsgefechte werden in einer Kapitulation enden, im besten Fall etwas abgefedert durch Zugeständnisse, die wir unseren Nachbarn abringen werden.


Die Synthese bleibt auf der Strecke
Das Rechthaben wollen ist in den vergangenen Jahren auch in der Politik zur Maxime geworden. Dies erfolgte insbesondere durch die Kastration des dialektischen Dreischritts: Antithese und Synthese wurden abgeschnitten. Es blieb noch die These. Die These hat aus Sicht ihrer Verfechter viele Vorteile: Sie erspart das eigene kritische Denken, weil wir den anderen gar nicht mehr zuhören müssen. Wir haben ja bereits die Lösung, auch wenn sie für manche im Jahr 1291 begründet liegen mag. Die Anmassung verschiedener politischer Exponenten, das Monopol auf die Wahrheit zu haben, verhindert seit Jahren eine vernünftige politische Diskussion sowie neue und bessere Lösungen. Hauptsache, wir haben Recht. Es wäre einmal ganz interessant zu erfahren, wie hoch der volkswirtschaftliche Verlust aufgrund der Rechthaberei beziffert werden müsste..


Logisch ist etwas immer erst im Nachhinein 
Beim Rechthaben wollen kommt uns auch die Logik zugute. Die Logik ist nämlich gar nicht so logisch, wie sie uns vorgaukeln will. Wenn wir starten und etwas Neues wagen, ist mancher Schritt ein vorsichtiges Herantasten, ein Weg gepflastert mit Trial and Error, bevor wir endlich am Ziel sind. Wenn wir dann zurückblicken, erscheint uns jeder Schritt völlig logisch. Logisch ist etwas immer erst im Nachhinein. Genau dies nutzen die Lernverweigerer und Rechthaber, um neue und unkonventionelle Ideen abzuschiessen. Wie soll etwas gelingen, wenn es nicht logisch aufgebaut ist? Hätten wir immer so gedacht, hätten wir das Rad wohl nicht erfunden.


Ebenso einschränkend ist die vielerorts propagierte Null-Fehler-Toleranz. Natürlich muss gelten, dass wir einen Fehler nur einmal begehen und Fehlerquellen minimieren. Dennoch ist die strikte Null-Fehler-Toleranz kontraproduktiv, weil sie uns einschränkt und die Angst vor einem Fehler höher gewichtet als den Mut zu einer Handlung. Also haben wir lieber Recht, indem wir nichts tun und ändern, als uns möglicherweise mit einer mutigen Tat zu blamieren.


Eine neue Offenheit
Wir täten also gut daran, wenn wir toleranter würden im Denken. Neugieriger gegenüber Unbekanntem. Wenn wir die Wertung, ob etwas richtig oder falsch ist, ablegen würden zugunsten einer neuen Offenheit. Wenn wir Fehler als Teil der Entwicklung akzeptieren würden. Letztlich wären wir so viel mehr auf den Fortschritt fokussiert und viel weniger darauf, Recht zu haben. Die Finanzbranche wäre dann wieder kontrollierbar; das Geld wieder weiss; die Politik wieder zukunftsgerichtet; die Synthese wieder in Mode. Was wäre falsch daran?


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Martin Zenhäusern
Martin Zenhäusern, ist Unternehmer und Ratgeber für Führungskräfte. Autor von: «Warum tote Pferde reiten? Wie uns die Net-Generation zwingt umzusatteln». Darin beschreibt er den Wandel in Wirtschaft und Politik, der durch die Net-Generation rasch vorangetrieben wird. «Als Berater von Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur hat er ein feines Gespür für Veränderungen entwickelt, die zuerst nur hinter vorgehaltener Hand besprochen werden, bevor sie plötzlich und wie selbstverständlich zum breit diskutierten öffentlichen Thema werden» (Orell Füssli über den Autor). Zenhäusern ist zudem Autor von «Chef aus Passion» und «Der erfolgreiche Unternehmer». Gründer und Inhaber der Zenhäusern & Partner AG sowie der Zenhäusern Akademie AG, beide in Zürich. www.zen-com.com , www.zenhaeusern.ch .

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