Martin Zenhäusern: Wandel I ? Auf dem Weg dazu

Wenn wir von Wandel reden, dann meinen wir meist das Change Management in unserem Unternehmen, in unserer Organisation. Oder den Wandel in unserer Industrie. Change, wie er heute verstanden werden muss, geht viel weiter. Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel in Wirtschaft und Politik, in Gesellschaft und Wissenschaft. In verschiedenen Bereichen hat er bereits eingesetzt. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Wandel in unserem Unternehmen nicht losgelöst vom übergeordneten Wandel betrachten, sondern diesen mit berücksichtigen. Wie wir es auch drehen und wenden wollen: Es ist für uns alle eine grosse Herausforderung, sich mit der Tatsache anzufreunden, dass wir vieles ernsthaft hinterfragen oder sogar als ungeeignet loslassen müssen oder sollten, was bisher richtig und erfolgreich war oder schien.


Es gibt viele Bereiche und Themen, die beim anstehenden Wandel eine grosse Rolle spielen werden, z.B. Umwelt und Verschuldung, Migration und Ressourcen. Diese will ich in diesem Zusammenhang keineswegs ausblenden oder negieren. Ich will sie in diesem Beitrag jedoch aussen vor lassen und mich auf ein Phänomen konzentrieren, das den Wandel antreibt und uns tagtäglich hautnah begegnet: Die Net-Generation. Die weltweit über zwei Milliarden Menschen dieser Generation, geboren zwischen 1977 und 1999, werden im laufenden Jahrzehnt vollständig in die Arbeitswelt eintreten. Und damit auch ihren Einfluss in der Gesellschaft und in der Politik geltend machen. Dieser Eintritt an sich alleine bedeutet bereits einen fundamentalen Wandel. Er kann durchaus geordnet und gewinnbringend über die Bühne gehen, wenn wir die Werte und Prinzipien dieser Generation ernst nehmen und verstehen lernen. Ansonsten käme es zu einem konfliktträchtigen Chaos .

Viel Hierarchie ? wenig Erfahrung
Ist die Wirtschaft bereit für einen Wandel? Wie sieht die Realität 2010 aus? Zugespitzt formuliert lässt sich sagen: Im Management gibt es (zu) viel Hierarchie und (zu) wenig Leistung. Die meisten Business-Modelle bauen auf vermeintliche Fakten, die gleichzeitig als Ersatz für das eigene Denken dienen ? Erfahrung wird negiert. Bei den Top-500-Unternehmen weltweit gibt es zu wenige Level-5-Führungskräfte. Level-5-Führungspersönlichkeiten sind Menschen mit der paradoxen Mischung aus persönlicher Bescheidenheit und professioneller Durchsetzungskraft, um nachhaltige Spitzenleistungen zu erzielen. Jim Collins hat diesen Begriff in seiner Publikation «Good to great» geprägt. Level-5-Führungskräfte haben in ihren Unternehmen eine Kultur der Disziplin im Denken und Handeln eingeführt. Wenn die Mitarbeitenden Disziplin haben, braucht man keine starre Hierarchie. Und zudem wenig Bürokratie. In der Realität sind wir davon weit entfernt.


Das «too-big-to-function»-Syndrom
Hinzu kommt: Diverse Manager von Grossfirmen sind verhaltensgestört und egozentrisch. Umso dringender ist es, dass die betroffenen Unternehmen wieder auf den Boden der Realität zurückfinden und möglichst bald von Level-5-Führungskräften geführt werden.
Gibt es diese abgehobenen Manager auch bei mittelständischen Unternehmen? Ja, jedoch im Verhältnis zu Grossunternehmen viel seltener. In KMUs können sie sich nicht so lange im Sattel halten wie bei Grossfirmen, weil bei ersteren Verantwortung und Haftung klarer festzumachen sind. Im Klartext heisst dies: Viele Manager von Grossunternehmen haben ein komplexes System ausgeklügelt, das sie wie eine fette Gans leicht ausnehmen können, ohne dafür letztlich zur Verantwortung gezogen werden zu können. Dieses System bezeichne ich als das «too-big-to-function»-Syndrom. Es basiert in erster Linie auf der atomisierten Verantwortung. Atomisiert heisst, dass die Verantwortung niemandem mehr verbindlich zugeordnet werden kann. Damit wird dem risikoreichen Handeln Tür und Tor geöffnet. Als Sündenböcke müssen dann eben die komplexen Systeme herhalten.


Wenige beschädigen die Reputation vieler 
Halten wir fest: Mehr als 90% aller Führungskräfte ? von den KMU bis zu den Multis ? verhalten sich korrekt. Mehr als 90% haben eine gute Einstellung und vertreten die richtigen Werte. Und das ist auch gut so. Die restlichen paar wenigen Prozente jedoch machen der überwiegenden Mehrheit die Arbeit schwer und die Verantwortung madig. Sie beschädigen mit ihrer Arroganz und ihrem Grössenwahn auch die öffentliche Reputation aller verantwortungsbewussten Führungskräfte. Und sie sind letztlich dafür verantwortlich, dass ein funktionierendes Wirtschaftssystem mit neuen Regeln und Einschränkungen überschwemmt zu werden droht, weil sie weder über Einsicht noch Bodenhaftung verfügen. Was sind die Konsequenzen? Wir alle wissen: Es gibt eine enge Korrelation zwischen Management und Mitarbeitenden. Ein Unternehmen kann auf Dauer nur so gut sein wie die Führungskräfte an seiner Spitze. Und auf Dauer hat ein Unternehmen die Mitarbeitenden, die es verdient. Für besagte Unternehmen heisst dies: Entweder die untauglichen Top-Manager auswechseln ? oder die Mitarbeitenden werden sich ein neues Umfeld suchen. Und falls nichts dergleichen geschieht, geht der Krug zum Brunnen, bis er bricht.
Ein weiterer Grund, weshalb Wandel nicht funktioniert, ist darauf zurückzuführen, dass wir die Falschen befragen. Und damit auch die falschen Antworten erhalten. Was nützen weltweite CEO-Befragungen, wenn die Befragten aus Angst vor Machtverlust keine Veränderung wollen und deshalb den Status Quo fortschreiben? Zudem sind viele Analysen häufig nur eine Aufreihung von heutigen Fakten, die in die Zukunft extrapoliert werden. Zur Illustration: Hat der Spitzenmanager eines Film- und Foto-Unternehmens recht behalten, als er 1999 sagte, dass in zehn Jahren lediglich 5 Prozent der Fotografie digital sei, weil die Technik nicht genügend ausgereift sei?


In welche Richtung läuft die Zeit? Jedenfalls davon!
Ist der Mensch überhaupt bereit zu einer Veränderung? Der Mensch akzeptiert Wandel dann, wenn er sich langsam vollzieht und wenn er ihm gleichzeitig rasch einen Vorteil verspricht. Etwas kommt heute erschwerend hinzu: Die Zeit läuft uns davon. Warum? Es ist sehr realistisch, dass in den kommenden Jahren eine starke Entwicklung stattfinden wird. Diese Entwicklung, die vielleicht sogar eine eigentliche Transformation sein kann, wird möglicherweise in raschen Schüben erfolgen. Das heisst also, dass wir es uns nicht aussuchen können, ob wir den daraus resultierenden Wandel wollen oder nicht. Also ist es wichtig, dass wir rasch dazulernen. Dass wir lernen, uns selbst und unsere Unternehmen und Organisationen richtig zu führen, damit wir im Bedarfsfall einen oder zwei Gänge hochschalten können. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir vom Wandel überrollt werden. Für die Führungskraft lautet also die Aufgabe: Die Menschen ins Boot holen. Die Menschen für den Wandel gewinnen. Und sie befähigen, den Wandel aktiv zu gestalten.


Zusammengefasst: Woran liegt es, dass es zu selten gelingt, einen Wandel erfolgreich zu gestalten? Es liegt immer am Menschen, und nie am System. Denn hinter jedem System stehen Menschen. Deshalb liegt die Lösung auch immer beim Menschen und nicht in den Systemen. Lösungen wiederum erreichen wir, wenn wir unseren Verstand benutzen, und notabene auch auf unseren Bauch hören, also auf die Intuition. Beim Denken liegt noch viel Potenzial brach. Denn der Mensch denkt häufig zu einseitig, zu langsam und falsch. Seit den griechischen Philosophen Sokrates, Platon und Aristoteles ? also seit rund 2400 Jahren ? hat sich das Denken nicht mehr weiterentwickelt. Wir nutzen gleichsam immer noch die Schiefertafel statt den PC .


Das Denken wieder insourcen
Was heisst dies? Dies heisst, dass wir unser Denken weiterentwickeln sollten. Dass wir vermehrt wieder selbst denken sollten. Also: Das Denken wieder insourcen. Am meisten Erfolg haben wir, wenn wir das, was wir ändern, erstens verstehen, und zweitens selbst machen. Deshalb ist bei jedem Wandel wichtig, dass wir uns selbst befähigen, diesen Wandel zu gestalten. Welche Modelle oder Instrumente eingesetzt werden, ist zweitrangig. Was wir häufig ausser Acht lassen: In der Regel ist in unseren Unternehmen, in unserer Organisation alles Wissen vorhanden, das wir für eine Weiterentwicklung benötigen. Auch die Fähigkeiten und Talente sind in der Regel in den Unternehmen vorhanden. Trotzdem bleiben viele Projekte auf der Strecke. Trotzdem werden viele Fortschritte nicht erzielt. Aktuelle Studien besagen: Zwei Drittel aller Fusionen erreichen ihre Ziele nicht. Sie vernichten Werte statt solche zu schaffen. Dies sollte uns zu denken geben…


Ideen- statt Geld-getrieben
Woran liegt dies? Daran, dass viele Manager Lern-Verweigerer sind, manchmal während Jahrzehnten, wie bildhaft die US-Automobilindustrie bewiesen hat. Weil der persönliche Ehrgeiz über der Nachhaltigkeit steht. Weil Wandel häufig Geld- und nicht Ideen-getrieben ist. Wer Geld getrieben handelt, handelt immer kurzfristig und meistens egoistisch. Wer Ideen getrieben handelt, braucht Zeit und Vertraute, um seine Ideen entwickeln und reifen zu lassen. Das Rad hat überlebt. Lehman Brothers nicht.


Sollen wir deshalb jetzt pessimistisch sein? Keineswegs. Die Chancen, die sich uns heute und in den nächsten Jahren bieten, überwiegen die Risiken bei weitem ? sofern wir bereit sind, selbst Verantwortung zu übernehmen. Darauf gehe ich im nächsten Beitrag ein.


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Martin Zenhäusern
Martin Zenhäusern, ist Unternehmer und Ratgeber für Führungskräfte. Autor von: «Warum tote Pferde reiten? Wie uns die Net-Generation zwingt umzusatteln». Darin beschreibt er den Wandel in Wirtschaft und Politik, der durch die Net-Generation rasch vorangetrieben wird. «Als Berater von Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur hat er ein feines Gespür für Veränderungen entwickelt, die zuerst nur hinter vorgehaltener Hand besprochen werden, bevor sie plötzlich und wie selbstverständlich zum breit diskutierten öffentlichen Thema werden» (Orell Füssli über den Autor). Zenhäusern ist zudem Autor von «Chef aus Passion» und «Der erfolgreiche Unternehmer». Gründer und Inhaber der Zenhäusern & Partner AG sowie der Zenhäusern Akademie AG, beide in Zürich. www.zen-com.com , www.zenhaeusern.ch .

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