Matthias Zehnder: Der Sunrise-GAU – User wollen Fünfer und Weggli


Bei Sunrise sind die E-Mail-Daten von einer halben Million Kunden verloren gegangen. Der Super-GAU im Internet – mit fatalen Folgen für die User und das Image der Firma. Doch Konsumenten sollten wissen: Wer Gratis-Angebote nutzt, geht Risiken ein.


Von Matthias Zehnder


Einige Betroffene nahmen es mit Humor: Bildmontage aus Sunrise-Sujet.Sicher haben Sie es gehört: Ein Hardwarefehler, offenbar auf einer Festplatte des Servers, die Backupplatte fiel ebenfalls aus. Das Resultat: Alle gespeicherten E-Mail-Daten sind verloren. Die Aufregung ist gross: Alle Radiostationen und Zeitungen berichten darüber. In der Tat ist ähnliches in der Schweiz noch nie passiert: Mehrere Millionen Mails, insgesamt über 300 Gigabytes Daten, sind bei dem Absturz unwiderruflich verloren gegangen.
Die Aufregung ist erstaunlich gross und wohl nicht nur mit dem Sommerloch zu erklären. Die elektronische Post ist für viele Firmen und für viele Menschen zu einem unverzichtbaren Lebensnerv geworden, wichtiger als Telefon und Papierpost. So gesehen lässt sich der Trubel erklären.


«300 Gigabytes Daten verteilt auf über eine halbe Million Kunden, das macht pro Kunde gerade Mal ein halbes Megabyte.» 



Andererseits ist es schon etwas seltsam, wenn die ganze Schweiz den Atem anhält, wenn bei einem Provider der Strom ausgeht. Bei Lichte besehen ist der Absturz nämlich nicht so riesig. 300 Gigabytes Daten verteilt auf über eine halbe Million Kunden, das macht pro Kunde gerade Mal ein halbes Megabyte. Natürlich. Der Wert einer Information lässt sich nicht in Megabytes messen. Dennoch: So riesig können die Konten nicht gewesen sein.

In der Tat: Der grösste Teil der betroffenen Konten waren Gratiskonten der Marke Freesurf und Freesurfplus. Kostenlose Angebote also. Das führt uns auf ein ganz anderes Problem: Der Providermarkt in der Schweiz funktioniert im Moment fast ausschliesslich über den Preis. Verglichen werden immer nur die Kosten, egal, ob es sich um ein ADSL-Abo, Web-Speicherplatz oder einen Mail-Account handelt. Versteckte Qualitätsmerkmale wie Sicherheit spielen heute im Markt kaum eine Rolle: Es interessiert sich schlicht kaum jemand dafür.
Mittlerweile ist es in der Schweiz nicht mehr möglich, für normales Surfen und Mailen Geld zu verlangen. Diese Internetdienstleistungen werden von vielen Benutzern so selbstverständlich hingenommen wie das Wasser im Dorfbrunnen. Sie vergessen dabei komplett, dass auch hinter einem einfachen Mailservice eine Infrastruktur stehen muss. Ohne Sunrise in irgendeiner Form etwas unterschieben zu wollen: Wenn ich Gratisdienste anbieten müsste, würde ich sie, logisch, so kostengünstig wie möglich aufsetzen. Das bedeutet: Einfache Hardware und den Service auf das Nötigste beschränken.
Das Nötigste ist sicher nicht ein aufwändiges Sicherheitssystem. Denn für Sicherheit interessiert sich kaum jemand – und wer einen Gratisdienst in Anspruch nimmt, legt offensichtlich mehr Wert auf einen tiefen Preis als auf eine hohe Qualität.


«Ganz offensichtlich gibt es viele Menschen, die statt eines teuren Business-Angebots das kostenlose Gratisangebot wählen» 



Dass sich jetzt trotzdem alle Welt so aufregt, dass es bei Sunrise geknallt hat, gibt mir zu denken. Ganz offensichtlich gibt es viele Menschen, die statt eines teuren Business-Angebots das kostenlose Gratisangebot wählen – dabei aber denselben Service und dieselbe Qualität erwarten wie beim teuren Business-Angebot. Kurz: Sie wollen den Fünfer und das Weggli – und sind dann erstaunt, dass diejenigen, die einen flotten Fünfer für ein Weggli springen lassen, das frischere Brot erhalten.


Der Autor 
Matthias Zehnder
 
Matthias Zehnder ist Technologiepubizist und Medienspezialist. Er arbeitet als Technologiekorrespondent für Radio DRS und verschiedene Tageszeitungen, führt das Internet-Magazin Smile und unterrichtet an der Universität Basel.Kontakt:
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Schade, dass auch Herr Zehnder als Spezialist nur die technische Seite bzw. den Zusammenhang zwischen Technik und Kosten sieht. Scheint üblich zu sein – auch die Sonntagszeitung hatte in dieser Weise berichtet (Sonntagszeitung vom 27.7.03, Artikel von Daniel Metzger).

Das Problem dabei ist allerdings, dass die Sunrise – wie auch alle anderen Anbieter, die sich mit Gratisdienstleistungen brüsten – ja kein Pestalozzi ist: die offerierten Dienstleistungen müssen entweder bezahlt werden (und zum Teil recht fürstlich…) oder werden eben kostenlos angeboten, weil sich der Anbieter aus Marketingüberlegungen heraus dazu entschieden hat.

Das kann und darf aber nie und nimmer eine Entschuldigung dafür sein, dass auf Schädigungen durch solche Gratisangebote mit einem Schulterzucken (apropos: ein halbes Megabyte Maildaten kann eine ganze Menge sein) oder einem Lamento über die ach so knausrigen User reagiert wird. Genau die Einstellung, die dahinter steht – «ich biete mal an, wenn’s schief geht, kann ich dann immer noch sagen, es war ja gratis» – erinnert mich sehr an die Machenschaften in der Wirtschaft, die in letzter Zeit dafür gesorgt haben, dass das Vertrauen in die Manager auf den Nullpunkt gesunken ist! Oder mit anderen Worten: wenn ich etwas kostenlos anbiete, muss ich entweder auf eine allfällig vorhandene Sicherheitsproblematik hinweisen, oder ich muss die Sicherheit eben trotz allem nach den gängigen Verfahren gewährleisten. Alles andere ist ein deutlicher Verstoss gegen Treu und Glauben.

Patrick Hafner ([email protected])
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