Museum Tinguely : Edgar Varèse – Komponist, Klangforscher, Visionär

Lange Jahre galt Edgard Varèse als eigenbrötlerischer Aussenseiter der neuen Musik; erst gegen Ende seines Lebens, als ihn wichtige Vertreter der Nachkriegsavantgarde wie Pierre Boulez und John Cage entdeckten und an seine Errungenschaften anknüpften, gelang ihm der endgültige Durchbruch. Varèse starb, hoch geehrt, am 6. November 1965, und hinterliess ein kleines, aber bedeutsames kompositorisches ?uvre, das in den 40 Jahren seit seinem Tod immer wieder zu künstlerischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzung herausgefordert hat.


«I need an entirely new medium of expression: a sound-producing machine, not a sound-reproducing one.»

Die Faszination des Neuen

Varèses zentrales Anliegen war nicht die Reproduktion von Musik. Er verstand sich als revolutionärer Schöpfer neuer Klänge, zog der Bezeichnung «Musik» den Begriff «organized sound» vor und ging in seiner Suche nach neuen Klängen weit über das herkömmliche Orchesterinstrumentarium hinaus. Sein besonderes Interesse galt dabei der maschinellen Erzeugung von Musik. Obwohl die entsprechende Technologie noch nicht zur Verfügung stand, setzte er sich schon Ende der 1920er Jahre mit den Möglichkeiten elektronischer Klangproduktion auseinander.


Gegen den Strom schwimmen
Die Ausstellung ist in acht Abteilungen gegliedert, in denen in grob chronologischer Ordnung wichtige Lebens- und Schaffensstationen sowie die künstlerischen Anknüpfungspunkte und Nachwirkung des Komponisten dargestellt werden: «Prägungen – Orientierungspunkte», «Dirigent und Initiator in New York», «Aufbruch in kompositorisches Neuland», «Ein Pan-Amerikaner in Paris», «Annäherung an die Elektronik», «Gegen den Strom der Zeit», «Kontakte zur Nachkriegsavantgarde», «Nachwirkung – Rezeption». Im Mittelpunkt stehen Musikhandschriften, Textmanuskripte, Briefe und andere Dokumente aus dem Nachlass. Ihnen sind zahlreiche Leihgaben aus internationalen Museen und Privatsammlungen zur Seite gestellt, darunter Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Musikinstrumente, die Varèses Kontakte zu bildenden Künstlern sowie sein Interesse an neuen Formen der Klangerzeugung veranschaulichen. In der Abteilung «Annäherung an die Elektronik» wird die Musik des Poème électronique zusammen mit einer Rekonstruktion der von Le Corbusier konzipierten Bilderfolge gezeigt. Zum Vertiefen des Gesehenen laden außerdem die über die Ausstellung verteilten zwölf Hörsessel mit Klangbeispielen sowie mehrere Monitore ein, an denen Filme über Varèse und sein künstlerisches Umfeld zu sehen sind.


Die Wissenschaft und die Struktur
Früh entwickelte Varèse, der Sohn eines Ingenieurs, eine ausgeprägte Affinität zum wissenschaftlichen Denken. Doch statt einen technischen Beruf zu ergreifen, wandte er sich bald ganz der Musik zu und lebte zunächst in den Kulturmetropolen Paris und Berlin. 1915 emigrierte er in die USA und kam nur noch für einige Arbeitsaufenthalte nach Europa. Wesentliche Impulse schöpfte Varèse, ein Grenzgänger zwischen den Disziplinen, aus dem Dialog mit führenden Physikern und Akustikern sowie aus dem Kontakt mit befreundeten Künstlern und Literaten wie Antonin Artaud, Alexander Calder, Marcel Duchamp, Le Corbusier, Henry Miller, Joan Miró, Francis Picabia, Man Ray oder Joseph Stella. In immer neuen Ansätzen versuchte er, wissenschaftliche Konzepte und das bildnerisch-räumliche Denken der modernen Kunstströmungen für die Musik fruchtbar zu machen.


Die Ausstellung wird begleitet von einer umfangreichen, reich illustrierten Buchpublikation, die neben Beschreibungen aller Exponate 32 wissenschaftliche Essays sowie Statements prominenter zeitgenössischer Komponisten und Künstler enthält.


Jean Tinguelys Klanginstallationen
Parallel zur Varèse-Ausstellung werden im Museum ausgewählte Klangreliefs und Geräuschmaschinen des kongenialen Klangkonstrukteurs Jean Tinguely zu erleben sein. Gleichzeitig wird die von Sybille Hauert und Daniel Reichmuth in Zusammenarbeit mit Volker Böhm konzipierte Klanginstallation instant city (2003-06) präsentiert. (mt/mc/th)

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