Ralph Eichler, Direktor Paul Scherrer Institut: «Die Anforderungen an Elektronik und Mechanik sind für dieses Experiment gewaltig gestiegen»

Ralph Eichler, Direktor Paul Scherrer Institut: «Die Anforderungen an Elektronik und Mechanik sind für dieses Experiment gewaltig gestiegen»

von Patrick Gunti


Herr Eichler, vor kurzem ist die Produktion von 720 Detektormodulen angelaufen. Diese werden bei der Suche nach dem mysteriösen Higgs-Teilchen eine zentrale Rolle spielen. Zuerst zur Erläuterung: Was ist das Higgs-Teilchen?


Das Higgs-Teilchen könnte uns vermitteln, wie die Elementarteilchen zu ihrer Masse kommen – eine der Kernfragen der Physik. Higgs verändert das Vakuum, den Zustand der tiefsten Energie, sodass Masse im Vakuum eine Trägheit spürt.


Was würde die Entdeckung des Higgs-Boson bedeuten?


Das Standardmodell der Physik würde experimentell weiter bestätigt, indem man eine wichtige Lücke im Verständnis, was Masse bedeutet, schliessen könnte.


Wie können wir uns die Suche nach diesem Teilchen vorstellen?


Im grossen Beschleuniger des CERN kollidieren ab 2008 Protonen bei höchster Energie und verwandeln ihre Bewegungsenergie teilweise in Masse. Ist die Energie gross genug, kann ein Higgs-Teilchen entstehen, das sofort wieder in bekannte Teilchen zerfällt. Die Zerfallsprodukte müssen in der elektronischen Aufzeichnung der Kollision gefunden werden wie «die Nadel im Heuhaufen».



«Higgs verändert das Vakuum, den Zustand der tiefsten Energie, sodass Masse im Vakuum eine Trägheit spürt.»
Ralph Eichler, Direktor des Paul Scherrer Insituts


Welche Bedeutung hätte diese Entdeckung für das Paul Scherrer Institut?


Das PSI hat ein Nachweisgerät für geladene Teilchen entwickelt und gebaut. Dieser Pixeldetektor ist am nächsten am Kollisionspunkt, sozusagen auf dem besten Logenplatz, und hat die grösste Zählrate sowie die dichteste Teilchendichte des ganzen Messapparats zu bewerkstelligen. Daher muss die Granularität des Detektors, das heisst die Korngrösse des Bildes, am feinsten sein.








Computerisierte Pixel: Im Mikroskopbild sind Pixel (ca. 1 Zehntelmillimeter gross) mit den Indium-Kügelchen (dunkel) zu sehen.


Wie ist es zur Entwicklung dieses Detektorkonzepts gekommen?


Das PSI und die befreundete ETH-Gruppe haben sich schon länger spezialisiert auf die Messung von kurzlebigen Teilchen und die zugehörigen Detektoren entwickelt und gebaut. Allerdings sind die Anforderungen an Elektronik und Mechanik gewaltig gestiegen für dieses Experiment.


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Mit seinem Konzept hat sich das PSI an der Weltspitze im Design von Sensorchips etabliert. Was sind die Kernpunkte des Konzepts?


Durch die enorme Datenrate von 40 Millionen Treffern pro Sekunde pro Pixel der Grösse 0.10 mal 0, 15 mm2 muss jeder Pixel eine eigene Datenverarbeitung haben. Daher besteht der Detektor aus einem Sandwich von einer Sensorlage, die über 17 Mikrometer grosse Kügelchen, so genannte Bumps, pro Pixel mit einer strahlenharten Elektronik verbunden ist. Dieses Konzept hat bereits eine unerwartete andere Anwendung als Detektor für Röntgenstrahlung gefunden. Am PSI werden diese neuen Röntgendetektoren für die Aufzeichnung der Streumuster in der Strukturbestimmung von Proteinen benutzt. Für die Vermarktung der Detektoren haben sich Mitarbeiter des PSI selbstständig gemacht und eine Spin-off-Firma gegründet.


Wo gelangt das Mikro-Bump-Bonding in der Industrie zum Einsatz?


Der Industriestandard hat viermal grössere Bumps und so haben wir die Technik des Mikro-Bump-Bonding selber entwickelt.








Winzige Chips für Riesendetektor.nbsp;


An welchen anderen grossen CERN-Experimenten ist das PSI beteiligt?


Derzeit an keinem.


Das Paul Scherrer Institut (PSI) ist ein multidisziplinäres Forschungsinstitut für Natur- und Ingenieurwissenschaften – wo liegen die Forschungsschwerpunkte?


Unsere Kerngebiete sind vielfältig. Dazu zählen die Materialcharakterisierung mit Magnetismus, Supraleitung, umweltrelevanten und Hochtemperaturmaterialien, sowie die Strukturbiologie und Krebstherapie mit Teilchenstrahlen und schliesslich die Energieforschung mit Biomasse, Brennstoffzellen, Batterien und Sicherheit der Kernreaktoren.


Unter anderem hat das PSI hat eine lange Tradition im Bereich der Energie-Forschung. Was ist die Aufgabe des PSI im Rahmen des China Energy Technology Programme CETP?


Unsere Aufgabe sind Systembetrachtungen wie beispielsweise die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Schadstoffemissionen von Kraftwerken mit der Gesundheit der lokalen Bevölkerung.


Das Paul Scherrer Institut arbeitet national und international eng mit Hochschulen, anderen Forschungsinstituten, den Fachhochschulen und der Industrie zusammen. Wie findet dieser Austausch statt?


Durch gemeinsame Projekte in die jeder sein spezifisches Fachwissen einbringt. Die Resultate stehen dann allen Partnern zur Verfügung und werden entweder publiziert oder patentiert.


Herr Eichler, wir bedanken uns für das Interview.





Zur Person:
Prof. Dr. Ralph Eichler ist seit 1. Juli 2002 Direktor des PSI. Eichler wurde am 31.12.1947 in Guildford (England) geboren. Er ist Schweizer mit Heimatort Basel-Stadt, verheiratet und Vater von drei Kindern. Nach Absolvierung des humanistischen Gymnasiums Basel studierte er an der ETH Zürich (Abt. IX) Physik und promovierte 1976 an der ETH. Danach war er für 2 Jahre Postdoctoral Fellow an der Stanford University, USA. 1979 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Grossforschungszentrum DESY bei Hamburg. 1982 kehrte er an die ETH Zürich zurück, als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mittelenergiephysik, wo er 1986 habilitierte. 1988 erhielt Ralph Eichler eine Berufung auf eine C4-Professur an der Universität Heidelberg, die er aber nicht annahm, da er 1989 als ausserordentlicher Professor für Physik an die ETH Zürich gewählt wurde. 1993 wurde er an der ETH Zürich zum ordentlichen Professor gewählt. Seit 1992 beteiligt er sich wissenschaftlich an der H1-Kollaboration, einem Grossexperiment im Gebiet der Hochenergiephysik bei DESY in Hamburg. In den Jahren 1995-1997 war er wissenschaftlicher Leiter dieser Kollaboration, welche rund 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler umfasste. Ralph Eichler ist Mitglied vieler internationaler wissenschaftlicher Gremien. Ab Mitte 1998 bis zu seiner Wahl zum Direktor des PSI amtierte er als Stellvertretender Direktor.


Zum Institut:
Das Paul Scherrer Institut (PSI) ist ein multidisziplinäres Forschungsinstitut für Natur- und Ingenieurwissenschaften, das national und international eng mit Hochschulen, anderen Forschungsinstituten, den Fachhochschulen und der Industrie zusammenarbeitet. Mit seinen 1200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es das grösste nationale Forschungsinstitut – und das Einzige seiner Art in der Schweiz. Seine Fachgebiete sind Festkörperforschung und Materialwissenschaften, Elementarteilchen- und Astrophysik, Biologie und Medizin, Energie- und Umweltforschung.


Das PSI konzentriert sich auf Themen, die Spitzenforschung ermöglichen, zur Ausbildung der kommenden Generation beitragen und den Weg zu einer dauerhaften und umweltgerechten Gesellschaft ebnen. Es engagiert sich für die Umsetzung neuer Erkenntnisse in der Industrie und bietet als nationales Forschungszentrum auch Dienstleistungen für Externe an. Das PSI entwickelt, baut und betreibt komplexe Grossforschungsanlagen, die speziell hohe Anforderungen an Wissen, Erfahrung und Professionalität stellen. Es ist für die nationale und internationale wissenschaftliche Gemeinschaft eines der weltweit führenden Benutzerlabors.

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