Roberto Gerosa, CEO AF-Colenco

von Patrick Gunti


Herr Gerosa, 2007 hat das schwedische Unternehmen AB Ångpanneföreningen AF-Colenco für 52 Mio. Franken plus einen auf dem Gewinn der nächsten drei Jahre basierenden Betrag übernommen. Welche Vorteile haben sich dadurch für Colenco, für ÅF und für die Kunden ergeben?


Die ÅF-Colenco befindet sich in einer sehr starken Wachstumsphase. Zurzeit planen unsere Mitarbeitenden Kraftwerke mit einer gesamten installierten Leistung von über 35’000 MW. Dies ist mehr als das Doppelte der installierten Leistung in der Schweiz! Die ÅF-Gruppe mit ihren 4’000 Mitarbeitenden weltweit ist im Sinne der Ressourcenoptimierung ein willkommener Partner.


Wie haben sich die strategische Ausrichtung und das Dienstleistungsangebot von AF-Colenco nach der Fusion verändert?


Von der Dienstleistungspalette eher nicht. Es ist uns heute jedoch möglich, grössere Projekte in Angriff zu nehmen, für welche wir uns vorher aus Ressourcengründen nicht selbstständig qualifizieren konnten.


Die Liberalisierung hat in den Energiemärkten für viel Bewegung gesorgt. Wie beurteilen Sie die Situation in der Schweiz, wo die Liberalisierung schrittweise erfolgt?


Für uns als planende Ingenieure spielt die Liberalisierung eine eher sekundäre Rolle. Wir haben zurzeit Projekte in über 40 Ländern und sind es somit gewohnt, in geschlossenen als auch in liberalisierten Märkten tätig zu sein. Wesentlich ist viel mehr, ob der Bedarf nach neuer elektrischer Energie und dessen Transport erkannt wird, der politische Wille zur Realisierung der Projekte da ist und letztendlich, ob genügend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. 


Wie sehen Sie unsere Energiezukunft?


Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien. Wir wissen aber nicht, wann diese Zukunft beginnt. Bis wir dort sind, brauchen wir für die Stromproduktion noch andere Quellen wie fossile Energien und die Kernenergie.


Die Energienachfrage ist weltweit steigend – gibt es ein Patentrezept wie diese Nachfrage bewältigt werden soll?


Man muss klar differenzieren. Nigeria mit über 130 Mio. Einwohnern hat gerade mal eine funktionierende installierte Leistung von 2’000 MW! In der Schweiz sind es ca. 15’000 MW. Da kann es doch kein Patentrezept geben, da man mit Stromsparen in Nigeria sehr wahrscheinlich eher wenig erreichen wird. Vernünftige Lösungen müssen lokal entwickelt werden und sind stark vom Entwicklungsgrad der jeweiligen Region abhängig.


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Mit der steigenden Nachfrage erhöhen sich der Druck und die Gefahren für die Umwelt und die natürlichen Ressourcen stetig. Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch für den Energiemarkt?


Die Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Einklang mit der Umwelt ist ein Widerspruch per se. Man muss beidseitig kompromissbereit sein und vernünftige und akzeptable Lösungen erarbeiten. Forschung und Entwicklung spielen hier eine ganz fundamentale Rolle. Ein offener und konstruktiver Dialog beider Seiten ist die Grundlage zum Erfolg und das ist womöglich die grösste Herausforderung.
 
Und für Ihr Unternehmen?


Durch unsere weltweite Tätigkeit müssen wir uns bereithalten, jede Kraftwerksart planen zu können, egal ob Wasserkraft, Kernkraft, thermische Energieanlagen (Gas, Öl, Müll oder Biomasse), Wind oder Sonne. Zurzeit bauen wir jedoch unseren Kerntechnikbereich stark aus.&


AF-Colenco ist seit den 50er-Jahren im kerntechnischen Bereich tätig. Wie beurteilen Sie die Pläne zum Bau neuer Kernkraftwerke, die ja nicht nur in der Schweiz aktuell sind?


Das ist die logische Konsequenz aus der vorhersehbaren Stromlücke und dem Bestreben die CO2-Emissionen zu reduzieren.



«Die Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Einklang mit der Umwelt ist ein Widerspruch per se. Man muss beidseitig kompromissbereit sein und vernünftige und akzeptable Lösungen erarbeiten.» (Roberto Gerosa, CEO AF-Colenco)


Welchen Stellenwert messen Sie beim steigenden Bedarf nach sauberer Energie der Wasserkraft bei?


Ein Drittel unseres Umsatzes kommt aus der Planung von Wasserkraftanlagen, hauptsächlich aus dem asiatischen Raum. In der Schweiz ist das Potential für die Wasserkraft weitgehend ausgeschöpft, was nichts anderes bedeutet, als dass wir unsere Hausaufgaben gut gemacht haben. Rehabilitierungen, Effizienzsteigerungen und Pumpspeicherwerke machen sicher Sinn und sollten unbedingt umgesetzt werden. 


Gerade in der schweizerischen Energiewirtschaft stellt die Nutzung der Wasserkraft einen wichtigen Zweig dar. Bestehende Werke sollen erneuert oder gar ausgebaut werden. Umweltschutzorganisationen protestieren und beklagen masslose Wasserentnahmen. Wie sehen Sie die Situation?


Da befinden wir uns nun schon im Bereich des obenerwähnten Dialoges und der Kompromissbereitschaft. Die Wasserkraft ist eine erneuerbare Energiegewinnungsform, wobei die Landschaft verändert wird. Ob die entstehenden Veränderungen gravierend sind, oder nicht, wird eingehend in Umweltverträglichkeitsprüfungen untersucht und kompensierende Massnahmen werden durch kompetente Fachgruppen erarbeitet. Die Frage die man sich stellen muss ist: Gibt es umweltfreundlichere Möglichkeiten um Strom zu erzeugen?


Welchen Marktanteil können thermische Energieanlagen von erdgasbefeuerten Kombianlagen über Gasturbinenkraftwerke bis hin zu Biomasse-Kraftwerken erreichen?


Das hängt natürlich stark von der Zukunft der Kernkraft ab, aber über 5% würde wenig Sinn machen. Wir haben in der Schweiz bezüglich CO2- Emissionen eine der saubersten Stromerzeugungsindustrien der Welt. Ca. 60% des Energievolumens stammen aus Wasserkraft und der Rest beinahe ausschliesslich aus der Kernkraft. Warum sollten wir uns in dieser Hinsicht verschlechtern?


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AF-Colenco ist führend im Bereich elektrischer Netze tätig. Wie beurteilen Sie das Spannungsfeld zwischen Strommarkt und Stromlücke?


Die Transportkapazitäten reichen europaweit nicht aus, um das Problem der Stromlücke mittels Importen massgeblich zu entschärfen. Der Bau neuer Hochspannungsleitungen unterfällt öffentlich-rechtlichen Bewilligungsverfahren. Durch die Schwierigkeiten bei der Akzeptanz solcher Projekte in der Öffentlichkeit dauert die Umsetzung von der Planung bis zur Realisierung im Schnitt 10 Jahre. So lange können wir sicher nicht warten.


Mit Energie-Effizienz können private Haushalte, vor allem aber auch Industrie und Gewerbe Energie und Kosten sparen. Wo liegen die grössten wirtschaftlich erschliessbaren Energieeffizienzpotenziale?


Ich glaube, dass im Grossen und Ganzen Industrie und Gewerbe das Potenzial weitgehend ausgeschöpft haben. In privaten Haushalten sind vor allem Heizungen – inklusive Isolation und Wärmedämmung – meist noch ineffizient. Dort liegt der grösste Handlungsbedarf.


Fachleute sind sich uneinig, ob steigende Energiepreise einen positiven Effekt auf den Klimaschutz haben. Positive Anreize oder doch eher eine Renaissance von Ressourcen wie Kohle?


Die steigenden Preise für Öl – und vor allem Gas – haben tatsächlich dazu geführt, dass mehrere unserer Kunden im Ausland vermehrt die Option Kohle untersuchen. Dies sind jedoch meist Länder, in welchen die Kernkraft aus politischen Gründen keine Option ist. In der Schweiz liegt die Situation anders, da in unserer Bundesverfassung Vorgaben verankert sind. Die Anforderungen der Bundesverfassung an die Energiewirtschaft lassen sich in drei Schlagwörtern zusammenfassen: Versorgungssicherheit, Umwelt- und Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit. Umwelt- und Klimaschutz sind für Kohle ein «Killer»- Kriterium


AF-Colenco ist ein weltweit tätiges Unternehmen. Welchen Anteil nehmen die Projekte in Schwellenländern ein?


Etwa 45 Prozent.


Von welcher AF-Colenco-Geschäftsentwicklung gehen Sie in den nächsten Jahren aus?


Der Umsatz ist in den letzten 3 Jahren um 47% gewachsen, und der EBIT um gar 97% und die Stromlücke ist noch gar nicht da!


Herr Gerosa, besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen!





Zur Person:
Roberto Gerosa, CEO, Member of the Board of Directors


geboren am 6. August 1965, Schweizer/Portugiese, verheiratet, 3 Söhne


Dipl. Bauingenieur ETHZ
1990 ETH Zürich
1998 IMD – International Management Development, Lausanne


seit 1996  ÅF-Colenco Ltd, Baden, Schweiz,
Member of the Executive Board, CEO
 
1990 – 1996 Colenco Power Consulting Ltd., Baden, Schweiz
Senior Engineer, Project Manager und Experte für den Business Unit &Wasserkraftwerke und Wasserbauten


Mitglied bei 
– SIA, Schweizer Ingenieur und Architekten Verein
– Weltenergierat (World Energy Council)
– Beirat SECO
– South East Asian Chamber of Commerce


Zum Unternehmen:
AF-Colenco AG ist eines der führenden Ingenieurunternehmen der Schweiz, welches umfassende Dienstleistungen auf allen Gebieten der Energie- und Umwelttechnik erbringt.


Colenco ist ein international tätiges Unternehmen mit Ablegern in 11 verschiedenen Ländern und Projekten in 40 Ländern. Von den 300 Mitarbeitenden sind 195 in der Schweiz stationiert. Im Jahre 2007 wies das Unternehmen einen Umsatz von 62 Millionen Schweizer Franken aus und erarbeitete eine Gewinnmarge von 10.9 Prozent.


Die Geschichte der Colenco beginnt bereits im letzten Jahrhundert – zwar unter verschiedenen Namen – mit der Gründung der Firma «Motor», aus der 1923 durch Fusion mit der Firma «Columbus» die Motor-Columbus AG hervorging. Motor-Columbus AG war seit Jahrzehnten weltweit tätig und hat vor allem eine massgebliche Rolle bei der Projektierung und Finanzierung, beim Bau und Betrieb von Elektrizitätserzeugungs-, -übertragungs- und -verteilanlagen gespielt.

1969 wurde der Ingenieur-Bereich der Motor-Columbus AG in eine separate Firma mit dem Namen Motor-Columbus Ingenieurunternehmung AG ausgegliedert, die immer noch zu 100% zur Motor-Columbus-Gruppe gehörte. In dieser Zeit wurde das Kernkraftwerk-Programm in der Schweiz und den umliegenden europäischen Ländern entwickelt, und Motor-Columbus war einer der grossen Federführer. Nachdem sich die Motor-Columbus Gruppe 1990 restrukturiert hatte, wurde das Ingenieurunternehmen in Colenco Power Engineering AG umbenannt. Seit 2007 gehört die Colenco zur international tätigen ÅF-Gruppe. 
 



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