Rolf Hartl, Geschäftsführer Erdöl-Vereinigung: «Im Gegensatz zu den Ölkrisen der 70er-Jahre erleben wir heute eine Art Nachfrage-Schock»

Rolf Hartl, Geschäftsführer Erdöl-Vereinigung: «Im Gegensatz zu den Ölkrisen der 70er-Jahre erleben wir heute eine Art Nachfrage-Schock»

von Patrick Gunti


Herr Hartl, der Ölpreis könnte schon bald die 100-Dollar-Grenze überschreiten. In welchem Ausmass ist die Rekordjagd der letzten Wochen auf Spekulanten zurückzuführen?


Das ist schwierig zu beziffern. Analysten haben in jüngster Zeit 15 bis 20 Dollar genannt.


Wer sind diese Spekulanten?


Das sind alle Arten von Anlegern, Pension- und Hedgefonds, aber auch Leute wie Sie und ich, die auf derivative Produkte setzen, denen Öl-Futures zugrunde liegen. Wetten auf den Ölpreis steht allen offen. 


Welche weiteren Gründe führen Sie für die stark gestiegenen Ölpreise an?


Die Spekulation schafft keinen Preis-Trend gewissermassen aus dem Nichts, sie verstärkt ihn aber: die heutigen Preise sind Ausdruck einer fragilen Balance von Angebot und Nachfrage.


Inwieweit hat der Ölpreis heute noch etwas mit der tatsächlichen Nachfrage zu tun?


Sehr viel. Im Gegensatz zu den Ölkrisen der 70er-Jahre erleben wir heute eine Art Nachfrage-Schock. Wenn die Erdölnachfrage – trotz den in den letzen paar Jahren gestiegenen Preisen – nicht weiter anziehen würde, hätten wir ein deutlich tieferes Preisniveau. Aber auch dieses Jahr nimmt der globale Erdölbedarf weiter zu, während die OPEC-Staaten die Ölproduktion tief halten.


Wie hoch sind die reinen Förderkosten für ein Barrel Rohöl?


Das reicht von 3 bis 10 Dollar/Fass aus konventionell zu erschliessenden Quellen zum Beispiel aus saudischer oder Nordsee-Produktion bis zu 25 Dollar für Ölsande kanadischer Provenienz


«Die Spekulation schafft keinen Preis-Trend gewissermassen aus dem Nichts, sie verstärkt ihn aber.» (Rolf Hartl, Geschäftsführer Erdol-Vereinigung)


Die US-Lagerbestände beeinflussen den Ölpreis stark, wie sieht es derzeit mit den weltweiten Lagerbeständen aus?


Die Lagerbestände sind derzeit auf einem saisonal tiefen Niveau, was die Phantasie der Akteure bezüglich weiterer Preisanstiege natürlich beflügelt.


Wie sehen Sie die kurzfristige Preis-Entwicklung, also über die nächsten zwei bis drei Wochen?


Das feste Preisniveau dürfte uns – mit den gewohnten technischen Korrekturen nach unten und den Wiederanläufen nach oben – erhalten bleiben.

Und längerfristig – steht eine grundsätzliche Korrektur gegen unten an oder bleibt der Ölpreis auf ähnlich hohem Niveau?


Sagen wir es einmal so: Ich sehe noch keine Anzeichen für eine eigentliche Preisbaisse. Solange die Verfassung der globalen Wirtschaft robust bleibt, insbesondere in den Emerging Markets, bleibt die Zahlungsbereitschaft selbst bei höheren Energiepreisen intakt. Wenn sich ein pessimistischerer Grundtenor breit macht,  werden weniger Leute auf höhere Ölpreise wetten. Erst dann dürfte mit einer Trendumkehr gerechnet werden.


Viele Liegenschaftsbesitzer warten immer noch zu, ihre Heizöltanks zu füllen. Ihr Tipp?


Ich bleibe kurzfristig skeptisch und glaube für die nächsten Wochen  nicht an eine deutliche Preiskorrektur nach unten. Kunden, die noch Heizöl für den Winter gebrauchen, sollen Verschnaufpausen, die der Ölpreis immer wieder einlegt, nutzen, um Heizöl zu bestellen.


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Öl ist unserem Leben allgegenwärtig – weit über Heiz- und Benzintank hinaus. Welchen Einfluss werden neue Techniken und Fördermethoden auf den Ölpreis langfristig haben?


Verbesserte Explorations- und Fördermethoden sind notwendig, um in neue Förderregionen vorzustossen und bestehende Ölfelder besser zu nutzen. Man muss sich dabei vorstellen, dass im globalen Durchschnitt lediglich etwa 35% des Öls aus einer bestimmten Lagerstätte überhaupt gefördert wird, in Saudi-Arabien dürfte die Förderquote noch tiefer sein. Ein höheres Angebot wird sich preisdämpfend auswirken. Für die Entwicklung des Ölpreises kommt es neben dem Angebot, das in den nächsten Jahren ausgeweitet werden muss, aber genauso stark auf die Nachfrage an. 


«Die Achillesferse der Ölversorgung liegt nicht unter, sondern über dem Boden.» (Rolf Hartl)


Laut einem Bericht von BP haben sich die weltweit nachgewiesenen Ölreserven unter der Erde in den letzten 10 Jahren um 12 Prozent erhöht. Die Int. Energieagentur warnt aber trotz neuer Förderkapazitäten vor einem möglichen Engpass um das Jahr 2015. Wie beurteilen Sie die Situation?


Die Achillesferse der Ölversorgung liegt nicht unter, sondern über dem Boden. Es müssen bis zu 150 Milliarden Dollar pro Jahr u.a. im Mittleren Osten, Russland  und Afrika investiert werden, um die bestehende Förderung aufrechtzuerhalten und den zu erwartenden Zusatz-Bedarf zu decken. Wenn die Investitionen nicht erfolgen, weil die politischen, rechtlichen Rahmenbedingungen nicht gegeben sind, oder weil Förderländer nicht wollen, dann laufen wir tatsächlich auf ein gröberes Versorgungsproblem zu. Allerdings wären dann ganz massive Preiserhöhungen zu erwarten, was sich wohl auf die Welt-Konjunktur auswirken und letztlich in einer sinkenden Erdölnachfrage resultieren würde.


So oder so sind die Ölreserven nicht unendlich – gleichzeitig steigt der Energiebedarf stark an. Welche langfristigen Strategien können Sie bei ihren Mitgliedern feststellen?


Die Energieversorgung wird in den kommenden Jahrzehnten auf mehr Schultern als heute verteilt werden müssen – wir brauchen alle vernünftigerweise nutzbaren Energieträger. Vor allem erneuerbare Energieträger werden grössere Marktchancen erhalten. Gleichzeitig wird man die noch brach liegenden Effizienz-Potenziale nutzen müssen. Auf diese Zukunft richten sich die Ölunternehmen bereits heute ein, wenn man sieht, wo Gesellschaften wie Shell, BP, Esso oder Total investieren. Der Energiemix wird mit Sicherheit bunter.nbsp;


Herr Hartl, besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.





Zur Person:
Geschäftsführer der Erdöl-Vereinigung (seit Januar 1994)
Geboren am 30. Juni 1954, Nationalität: Schweizer


1987-1993 Wirtschaftsjurist Elektrowatt AG
1984-1987 Wirtschaftsjurist in Treuhandfirma
1981-1984 Gerichtssekretär am Bundesgericht


Ausbildung:
Lic. iur. (Uni Zürich 1979)
Dr. iur. (Uni Zürich 1989)


Zur Organisation
Die Erdöl-Vereinigung (EV) setzt sich als Verband der schweizerischen Erdölwirtschaft ein für die Wahrung und Förderung der Interessen ihrer Mitglieder. Die zur Zeit 29 Mitglieder tätigen 95 % der schweizerischen Importe von Rohöl und Erdölprodukten. Die Aufgabe der Erdöl-Vereinigung besteht zum einen darin, für die allgemeine Öffentlichkeit wie auch für die Branche selbst eine Drehscheibe für Informationen zum Energieträger Erdöl zu sein. Für alle Fragen, die den Transport, die Verarbeitung und den Einsatz von Erdölprodukten betreffen, ist die EV die erste Anlaufstelle in der Schweiz. Zum anderen vertritt die Erdöl-Vereinigung in allen branchenrelevanten Fragen die Anliegen der Erdölwirtschaft nach aussen. Dazu gehören insbesondere: die qualitative Normierung von Erdölprodukten; der Erhalt bzw. die Schaffung des freien Wettbewerbs zwischen den Energieträgern; die Behandlung von Gesetzgebungsvorhaben und Vollzugsfragen im Energie-, Umwelt- und Fiskalbereich; PR und Werbung für Erdölprodukte; die Unterstützung innovativer Energieforschung im Erdölbereich.

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