Thomas M. Steinemann, Chefstratege Vontobel Gruppe

von Christa Spoerle


Herr Dr. Steinemann , was erwarten Sie von der Wirtschaftsentwicklung der Schweiz in den kommenden Jahren, vor allem 2009?

Die globale Wirtschaft erlitt im vierten Quartal einen noch nie dagewesenen Rückschlag, sowohl vom Ausmass her als auch von der Geschwindigkeit. Davon kann sich die Schweiz als offene Volkswirtschaft nicht entziehen. Deshalb wird 2009 als Rezessionsjahr in die Geschichte eingehen.
 
Wie lange werden die Zinsen noch auf diesem tiefen Niveau verharren?

Aufgrund der aktuell zunehmend deflationären Entwicklung werden die Zinsen länger tief bleiben; wir sehen einen leichten Anstieg der Obligationenrenditen gegen Ende diesen Jahres, wenn das Verschuldungsthema etwas stärker in den Fokus rückt.


2008 war ein Horrorjahr an der Börse, wie sieht das 2009 aus? Kann man Aktien wieder in Erwägung ziehen?

Zur Zeit raten wir zur Vorsicht, denn wir erwarten weiterhin schlechte Nachrichten von Wirtschaft und Unternehmen und nochmals tiefere Kurse. Ich gehe allerdings davon aus, dass wir dieses Jahr den Tiefpunkt sehen werden, was dann sehr gute Chancen für Aktienanleger sein wird.


«Staatsanleihen sind nach wie vor gefragt. Vorderhand empfehlen wir, darin engagiert zu bleiben. Allerdings zeichnet sich ab, dass wir im Jahresverlauf zunehmend auf hochqualitative Unternehmensanleihen setzen werden.»


Haben Sie bestimmte Favoriten, in welchen Branchen?

Titel, welche im Infrastrukturbereich tätig sind, werden profitieren. Die staatlichen Rettungspakete zielen gerade auf diesen Bereich. ABB und Holcim werden profitieren können.


Lohnt sich ein Blick ins Ausland, zu anderen Währungen/Märkten?

Solange die Krise anhält, wird der US-Dollar fest bleiben. Bei ersten Beruhigungsanzeichen werden wir ihn jedoch deutlich tiefer sehen.


Die Anleger konzentrieren sich derzeit auf Staatsanleihen und Geldmarkt, was würden Sie Ihnen zum heutigen Zeitpunkt in Punkto Anleihen raten?

Da zur Zeit die Nachrichten sich laufend verschlechtern, sind Staatsanleihen nach wie vor gefragt. Vorderhand empfehlen wir, darin engagiert zu bleiben. Allerdings zeichnet sich ab, dass wir im Jahresverlauf zunehmend hochqualitative Unternehmensanleihen setzen werden.


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Wie stark empfinden Sie die Risikoscheu der Anleger?

Als hoch.


In einer Rezession profitieren üblicherweise die vermeintlich sicheren Häfen Gold und Immobilien, warum ist das diesmal nicht so?

Das schlimmste Umfeld für Anleger ist das aktuelle, welche als «deflationäre Rezession» bezeichnet werden kann. Kurzfristig profitieren hier nur Staatsanleihen. Gold profitiert vor allem  in inflationären Zeiten und bei einem schwachen US-Dollar. Beides ist zur Zeit nicht der Fall, und die Immobilienpreise korrigieren global nach unten. Die Schweiz ist im Immobilienbereich tatsächlich eine erfreuliche Ausnahme. Dort war mit Schweizer Immobilienfonds 2008 eine positive Rendite zu erwirtschaften. Die Immobilienpreise hierzulande sind ? mit wenigen Ausnahmen – keinesfalls zu hoch und haben auch nicht nach oben überschossen.


«Das grösste Risiko ist derzeit, dass der Tiefpunkt der Aktienmärkte erst nächstes Jahr erreicht wird. Die grössten Chancen liegen in hochqualitativen Unternehmensanleihen und Aktien im Infrastrukturbereich»



Muss man denn angesichts der intensiven Staatsinterventionen nicht mit dem Aufbau eines Inflationspotenzials rechnen?

Zur Zeit ist die grosse Bedrohung eine Deflation; diese ist Gift für die Wirtschaft und den Konsumenten. In diesem Jahr wird uns das Thema Inflation noch nicht beschäftigen. Mittelfristig – ich schätze ab 2011 ? stellen die riesigen Schuldenberge eine echte Gefahr für die Preisstabilität dar. Wenn dem nicht so wäre, hätten wir die «japanische Misere» auch bei uns.
 
Die Rezessionsängste haben die Rohstoffmärkte hart getroffen, wie lange wird das noch so bleiben?

Sobald die Märkte nur geringfügig Licht am Ende des Tunnels sehen, werden die Rohwarenpreise wieder fester notieren, denn zur Zeit sind die Investitionen in Kapazitätserweiterungen aufgrund der tiefen Preise unterbrochen worden. Wir erwarten eine Ölpreis von rund 50 USD am Ende diesen Jahres.
 
Wo orten Sie die grössten Chancen/Risiken 2009?

Risiken:  Die Krise dauert viel länger, sodass der Tiefpunkt der Aktienmärkte erst nächstes Jahr erreicht ist. Rezession wird stärker und schmerzvoller, als die meisten erwarten, sodass erneut Staatsobligationen und Cash die besten Anlageklassen sein würden.


Chancen:  Hochqualitative Unternehmensanleihen und Aktien im Infrastrukturbereich,  welche die Themen alternative Energien, zukünftige Ressourcen, Telecom und Transport umfassen.





Zur Person: 
Thomas M. Steinmann, Dr. oec.publ., Jahrgang 1961, schloss sein Studium an der Universität Zürich ab. Er begann 1989 seine berufliche Laufbahn bei Zürcher Kantonalbank als Analyst für Zinsen und Währungen. 1993 wechselte er zu Schweizerischen Volksbank, heute ein Teil der Credit Suisse Group. 1997 übernahm er die Leitung des Bereichs <<Finanzmarktanalyse und Anlagepolitik der Credit Suisse. Seit 1. August 2000 ist Dr. Steinemann bei der Vontobel Gruppe als Chefstratege und Mitglied der Geschäftsleitung im Asset Management tätig.


Zum Unternehmen:
Die Vontobel Holding, deren Grundstein bereits 1924 in Zürich gelegt wurde, ist eine Publikumsgesellschaft, deren Aktienmehrheit in den Händen der Familien Vontobel und der Vontobel-Stiftung liegt.& Die  international ausgerichtete Schweizer Privatbank beschäftigte Mitte 2008 1304 Personen und wies ein Konzernergebnis von 115,3 Mio CHF aus. Die Unternehmensgruppe ist auf die Vermögensverwaltung ausgerichtet. Private Banking, Investment Banking, Institutional Asset Management und Anlagefonds zählen ebenso zu den Kernkompetenzen. Weitere Kerngeschäfte sind Anlageberatung, Wertpapiertransaktionen sowie der Handel in Devisen und derivativen Produkten.

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