Urs Bucher, Chef des Integrationsbüros EDA: «Die Grenzen der EU sind noch nicht bestimmt»

Olivia Schiffmann, Redaktion emagazine


Olivia Schiffmann: Muss die Europäische Union ihre geografischen Grenzen bereits heute festlegen?

Urs Bucher: Nein. Zuerst muss die Europäische Union sowohl vom Inhalt als auch von ihrer Organisationsform her den Zustand finden, der den künftigen Herausforderungen gerecht wird. Denn die Vertiefung der Zusammenarbeit, ihre Institutionen und Funktionsweisen beeinflussen ihre Fähigkeit, weitere Mitgliedstaaten aufzunehmen. Erst wenn diese Fragen definiert sind, kann die EU auch die geografische Ausdehnung bestimmen.

Die Voraussetzungen für die EU-Mitgliedschaft werden von den Kopenhagener Kriterien definiert. Aber genügen diese, um auch die Aufnahmekapazität der EU zu bestimmen?

Die Kopenhagener Kriterien werden jeweils ergänzt, und zwar mit dem sogenannten Verhandlungsrahmen, den die EU für ein Bewerberland kurz vor Aufnahme der Beitrittsverhandlungen beschliesst. Ausserdem hat das Europäische Parlament die Kommission kürzlich beauftragt, bis Ende 2006 die Aufnahmekapazität der EU einschliesslich ihrer geografischen Grenzen zu erläutern.



«Man darf nicht vergessen, dass die EU ausschliesslich aus Demokratien und Marktwirtschaften zusammengesetzt ist und dass ihre Entscheide grundsätzlich nicht von unserem Wertesystem abweichen» Urs Bucher, Chef des Integrationsbüros EDA


Viele Mitgliedsstaaten stabilisieren die EU innenpolitisch, machen sie jedoch aussenpolitisch eher träge. Wie beurteilen Sie dieses Dilemma?

Die Handlungsfähigkeit der EU sollte mit einer Reform der Institutionen verbessert werden. Solche neuen Instrumente hätte der EU-Verfassungsvertrag vorgesehen, dessen Zukunft ist aber mehr als ungewiss. Es ist unbestritten, dass es für eine wachsende Union schwieriger wird, Entscheide zu fällen ? gerade im aussenpolitischen Bereich. Um so wichtiger ist es, dass sie sich mit den richtigen Entscheidungsmechanismen ausstattet. Dieser Prozess ist am Laufen.


Wird dessen Ergebnis die politische Meinung zur EU innerhalb der Schweiz beeinflussen?

Die Wahrnehmung der EU ist ambivalent. Wenn sie stark ist, wird sie von einem Teil unserer Landsleute auch als Bedrohung wahrgenommen. In meinen Augen ist dies eine falsche Sicht. Denn man darf nicht vergessen, dass die EU ausschliesslich aus Demokratien und Marktwirtschaften zusammengesetzt ist und dass ihre Entscheide grundsätzlich nicht von unserem Wertesystem abweichen.


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Wie wird sich die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU verändern, wenn die EU grösser wird?

Als Partner im bilateralen Verhältnis sind wir darauf angewiesen, dass die EU handlungsfähig ist. Nur dann ist es möglich, dass wir binnen vernünftiger Zeit Lösungen für unsere Probleme und Anliegen finden können. Mit dem solidarischen Beitrag der Schweiz zur Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der erweiterten EU anerkennt der Bundesrat die hohe Bedeutung der letzten EU-Erweiterung für Sicherheit und Wohlstand in Europa. Wir wollen unseren Beitrag an die erfolgreiche Integration dieser neuen, osteuropäischen Wachstumsmärkte leisten. Denn davon profitiert auch die Schweiz. Jeder, der mit der EU eng zusammen arbeitet, hat grundsätzlich ein Interesse daran, dass die EU als Vertrags- und Verhandlungspartnerin auch entscheidungsfähig ist.


Was sagen Sie zur umstrittenen Frage eines möglichen Beitritts der Türkei?

Sicher ist, dass dieser Entscheid nicht vor der Verabschiedung des EU-Finanzrahmens für die Periode 2014-2020 gefällt werden kann, also wohl frühestens in rund zehn Jahren. Die Kriterien, über die wir gesprochen haben, sind bereits heute hinreichend klar. Bei den Rechtsstandards sind hohe Massstäbe gefordert. Wie diese Verhandlungen weitergehen und wohin genau sie führen werden, ist derzeit offen und daher möchte ich nicht spekulieren, was das für das Verhältnis zur Schweiz bedeuten würde.



«Zum Gelingen des bilateralen Weges auch gehört, dass die Schweiz ihre Mitverantwortung in Europa wahrnimmt»


Wo steht die Schweiz in ihrem Prozess in Richtung EU?

Mit insgesamt 18 wichtigen Abkommen sind unsere Beziehungen heute enger als jemals zuvor. Das Freihandelsabkommen sowie die Bilateralen I und II ermöglichen uns, unsere Interessen gegenüber unserer wirtschaftlich und politisch bedeutendsten Partnerin wahrzunehmen. Gleichzeitig wird dieser sogenannte «bilaterale Weg» bei verschiedenen Gelegenheiten vom Schweizer Volk befürwortet und wurde auch in diversen Abstimmungen bestätigt. Das ist eine gute Ausgangslage. Ich verhehle aber nicht, dass zum Gelingen des bilateralen Weges auch gehört, dass die Schweiz ihre Mitverantwortung in Europa wahrnimmt; da spreche ich auf die mögliche Abstimmung über den Schweizerischen Beitrag an die erweiterte EU an. Sollte es zu dieser Abstimmung kommen, ist zu hoffen, dass auch hier dieser bilaterale Weg mit all seinen Konsequenzen wiederum, Zustimmung des Volkes findet.


Könnte die Schweiz auch ihre bilateralen Verträge behalten und diese mit einer Art Rahmenabkommen absichern?

Das ist eine der Möglichkeiten wie man den bilateralen Weg stabiler machen könnte. Experten klären ab, ob es da auf beiden Ebene einen Mehrwert geben könnte ? das wird sich weisen.


In welcher Form unterstützt die Schweiz osteuropäische Länder in ihrem Beitrittsprozess?

Wir haben die ehemals kommunistischen, osteuropäischen Staaten seit Beginn der Neunzigerjahre bei ihren Reformanstrengungen und der Transition zu Demokratie und sozialer Marktwirtschaft unterstützt. Die Schweiz unterstützt auch die nächsten Beitrittsstaaten ? Rumänien und Bulgarien ? im Rahmen ihrer Osthilfe schon seit langem. Die Abkommen im Wirtschaftsbereich, die wir mit diesen Staaten haben, werden durch unsere bilateralen Verträge mit der EU abgelöst, sobald sie EU-Mitgliedstaaten werden. Beispielsweise würden die Freihandelsabkommen, die wir mit diesen Staaten haben, per Datum des Beitritts vom Freihandelsabkommen Schweiz-EU abgelöst.









Dieser Artikel wurde Moneycab freundlicherweise von der Redaktion Emagazine zur Verfügung gestellt
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