Walter Kielholz plädiert für eine offene Schweiz


Walter Kielholz, Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse Group, sieht sich als kritischen, aber stolzen Schweizer. Er plädiert für eine offene Schweiz, die international eine aktive Rolle wahrnimmt.


Von Daniel Huber, Chefredaktor emagazine


Walter Kielholz, Varwaltungsratspräsident der Credit Suisse
Moneycab: Sind Sie stolz, ein Schweizer zu sein?
Walter Kielholz: Ich identifiziere mich sehr stark mit diesem Land und seiner kulturellen und historischen Entwicklung. Doch wehre ich mich dagegen, wenn das Schweizer-Sein als etwas Exklusives verstanden wird.

Was meinen Sie mit exklusiv?
Dass die Schweizer besser wären als andere.

Hat sich Ihre Einstellung zur Schweiz im Verlaufe Ihres Lebens verändert?
Eigentlich nicht. Ich habe mich jedenfalls nie geschämt, Schweizer zu sein, auch nicht in meiner Jugend oder Studentenzeit. Natürlich habe ich gewisse Dinge bemängelt und kritisiert. Aber die Schweiz als Ganzes und ihr gesellschaftspolitisches System habe ich nie fundamental abgelehnt. Im Gegenteil, wahrscheinlich hegte ich als Zwanzigjähriger noch stärkere patriotische Gefühle für die Schweiz als heute.

Was hat Sie kritischer gemacht?
Ich habe lange im Ausland gelebt und bin auch heute noch viel im Ausland unterwegs. Mit etwas Distanz relativiert sich einiges.

Ist sonst bei Auslandschweizern nicht eher eine Art Verklärung gegenüber der Schweiz festzustellen?
In der Fremde bekommt der Patriotismus als Form der Identifikation mit seinem Ursprungsland eine grössere Bedeutung. Das war auch bei mir so. Doch wer jahrelang im Ausland lebt und dann zurückkommt, der kann besser beurteilen, ob bei uns wirklich alles besser ist als anderswo.

Haben Sie eine Schweizer Fahne zuhause?
Nicht das ich wüsste. Vielleicht hat es noch irgendwo ein Papierfähnchen, das bei der letzten 1. August-Feier liegengeblieben ist. Doch einen Fahnenaufzug gibt es bei mir nicht.

Auf was in der Schweiz sind Sie besonders stolz?
Einmal abgesehen von der wunderbaren, von Bergen geprägten Landschaft, die uns emotional bindet, bin ich besonders stolz auf die Vielfalt der Kulturen und Lebensformen, die in der Schweiz nebeneinander bestehen können.

Was sind für Sie urtypische Schweizer Eigenarten oder Tugenden?
Im positiven Sinn kommt mir als erstes die pragmatische Art und Weise in den Sinn, wie die Schweizer an Probleme herangehen und sich im allgemeinen nicht von ideologischen Mustern ablenken lassen. Dazu kommt ein gesundes Mass an Skeptizismus.

Und was sind typische, negative Eigenschaften?
Vielleicht eine gewisse Kleingeistigkeit, die sich häufig in Form von Neid äussert. In der angelsächsischen Welt befassen sich die Menschen viel weniger mit dem, was der Nachbar macht und erreicht hat. Sie konzentrieren sich stärker auf ihr eigenes Tun.

Fühlen Sie sich in erster Linie als Zürcher, Schweizer, Europäer oder Weltbürger?
Heimat ist für mich dort, wo ich meine Familie, Freunde und Bekannte habe. Und das ist in meinem Fall in erster Linie Zürich. Wenn ich am Samstagnachmittag durch die Stadt spaziere, dann treffe ich alle paar Hundert Meter auf ein bekanntes Gesicht. Das schätze ich. Daneben fühle mich natürlich auch als Schweizer. Und dann kommt noch eine grosse Portion weltbürgerlicher Geist dazu.

Wie hat sich im Ausland die Aussenansicht der Schweiz verändert?
Weniger als wir meinen. Innerhalb von Europa hat das Image der Schweiz in den vergangenen Jahren vielleicht etwas gelitten. Doch ist es überhaupt nicht schlecht geworden, höchstens etwas weniger verklärt. In den meisten übrigen Teilen der Welt hat es sich dagegen kaum verändert.

Nicht einmal in den USA?
Viele Amerikaner kennen das Ausland nicht so genau – Sweden und Switzerland liegen in den USA immer noch zum Verwechseln nahe beieinander.

Der Swiss Banker mag ein gewisses Image haben. Aber auch das hat sich über die Jahre nicht gross verändert. Wo sind die grössten Diskrepanzen zwischen Selbstbild der Schweizer und der Aussensicht?
Ich glaube, der Schweizer überschätzt sich gerne. Er ist überzeugt, dass verschiedene Bereiche in seinem täglichen Leben hier viel besser sind als anderswo. Das stimmt einfach nicht. Historisch mag das nach den Zweiten Weltkrieg so gewesen sein. Doch mittlerweile haben andere Regionen dieser Welt massiv aufgeholt.

Wo sonst ausser der Schweiz könnten Sie sich vorstellen zu leben?
Aufgrund der Herkunft meiner Mutter natürlich in Italien, aber auch in England. In dieser Beziehung bin ich sehr locker.

Inwiefern ist die Credit Suisse als internationaler Finanzkonzern wirklich noch eine Schweizer Bank?
Ich würde es mal so sagen: Wir sind auch eine Schweizer Bank. Wir sind ein typisches schweizerisches Unternehmen, das global tätig ist und nur einen kleinen Heimmarkt hat. Dadurch haben wir auch automatisch einen grossen Anteil an ausländischen Mitarbeitern und wichtige Standbeine in verschiedenen Teilen der Welt. Gleichwohl haben wir als multinationales Unternehmen unsere starken Schweizer Wurzeln beibehalten.

Hat es ein Schweizer einfacher, ins Topmanagement der Credit Suisse vorzustossen als ein Ausländer?
Nein. Als globaler Konzern darf die Nationalität keine übergeordnete Rolle spielen, sondern einzig die Fähigkeiten. Wir brauchen die richtigen Leute am richtigen Platz, egal was für einen Pass sie haben. Trotzdem haben wir mit dem Deutschen Oswald Grübel wohl einen der besten «Schweizer» an der Spitze der Credit Suisse. Jedenfalls habe ich noch keinen grösseren Fan der Schweiz getroffen als ihn.

Was sind in den nächsten Jahren die grössten Herausforderungen für die Schweiz?
Da kommen für mich ganz oben die demographischen Verschiebungen. Wir werden schon in wenigen Jahren eine von der Altersstruktur her komplett veränderte Gesellschaft erleben. Nun gilt es mit innovativen Lösungen auf diese neue Situation zu reagieren. Eine weitere grosse Herausforderung ist das Bildungswesen. Wollen wir unseren Lebensstandard erhalten, müssen wir Ausbildungen auf hohem Niveau anbieten können. Damit meine ich alle Stufen, von der Primarschule bis zur Hochschule sowie die Weiterbildungsmöglichkeiten. Dann gilt es, auch die momentane Wachstumsblockade zu durchbrechen.

Machen wir einen Zeitsprung von 15 Jahren. Was wird beim Spaziergang auf der Bahnhofstrasse markant anders sein?
Vielleicht wieder ein neues Tram… Nein, ernsthaft: Ich werde mehr ältere – und zwar fröhliche – Menschen antreffen als heute.

Wo sehen Sie künftig die Rolle der Schweiz innerhalb von Europa, der Welt?
Ich bin ein Verfechter einer offenen Schweizer Aussenpolitik, sei dies nun in Europa oder der ganzen Welt. Wir müssen eine aktive Rolle spielen und uns nicht zum passiven Trittbrett-Fahrer degradieren.

Was wünschen Sie der Schweiz fürs nächste Jahr?
Die politische Debatte ist in der Schweiz bisweilen zu einer ordinären «Giftelei» verkommen. Ich wünsche der Schweiz, dass wieder ein konstruktiverer Dialog Einzug hält.


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