Bundesrat beschränkt Einwanderung aus der gesamten EU

Bundesrat beschränkt Einwanderung aus der gesamten EU

Justizministerin Simonetta Sommaruga. (Foto: admin.ch)

Bern – Der lange erwartete Entscheid zur Ventilklausel ist gefallen: Der Bundesrat begrenzt die Zuwanderung nicht nur für die neuen, sondern auch für die alten EU-Länder. Das Unbehagen in der Bevölkerung gelte es ernst zu nehmen, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga.

Die Kritik der EU war harsch, als der Bundesrat vor einem Jahr beschloss, für die neuen EU-Länder die Ventilklausel anzurufen. Die Unterscheidung zwischen den alten und den neuen EU-Staaten sei diskriminierend, hiess es aus Brüssel. Nun hat der Bundesrat am Mittwochmorgen auf Schloss Prangins VD beschlossen, die Beschränkung der Zuwanderung auf die alten EU-Länder auszudehnen – sofern Ende Mai die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Wie Bundesrätin Sommaruga am Nachmittag vor den Medien in Bern sagte, deutet «alles darauf hin», dass dies der Fall sein wird.

Dann werden während eines Jahres die fünf Jahre gültigen B-Bewilligungen für die EU-8-Staaten auf insgesamt rund 2180 kontingentiert. Betroffen sind Bürger aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Für die anderen Länder liegt die Grenze bei rund 53’700 B-Bewilligungen.

Die Beschränkung dauert nur bis Juni 2014. Danach gilt in jedem Fall die volle Personenfreizügigkeit.

«Kein unfreundlicher Akt»
Das Verhältnis zur EU auf der einen Seite, die Einwanderungsinitiativen von SVP und Ecopop auf der anderen Seite – der Bundesrat musste Stellung beziehen. Man habe, sagte Sommaruga, abgewogen zwischen Chancen und Risiken, sowohl migrations- als auch aussenpolitisch. «Fakt ist, dass es ein Unbehagen in der Bevölkerung gibt, und dieses Unbehagen muss man ernst nehmen.»

Der Entscheid sei ein Signal, auch an die alten EU-17-Länder, dass der Schweizer Arbeitsmarkt nicht unbeschränkt offen stehe. Die Zuwanderung bringe neben positiven Auswirkungen auch Nachteile, die es abzufedern gelte, beispielsweise Missbrauch auf dem Arbeitsmarkt oder steigende Wohnkosten. Die Justizministerin betonte, die Anrufung der Ventilklausel sei «kein unfreundlicher Akt gegenüber der EU». Der Bundesrat wende lediglich eine Bestimmung an, die er mit der EU ausgehandelt habe.

Sommaruga erwartet keine schwierigeren Verhandlungen mit der EU
Sommaruga rechnet denn auch nicht damit, dass die Verhandlungen mit der EU – etwa in institutionellen Fragen – schwieriger werden. Denn der Bundesrat halte sich an die Abmachungen. «Die EU ist unser wichtigster Partner, wir sind und bleiben Freunde.»

Um den freien Personenverkehr einzuschränken, muss die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen in einem Jahr mindestens 10% über dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre liegen.

Mehr kurze Bewilligungen
Verzichtet hat der Bundesrat auf die Anwendung der Klausel auf die L-Bewilligungen, die für weniger als ein Jahr gelten. Der nötige Schwellenwert für die EU-8-Staaten ist zwar erreicht, nicht aber für die EU-17. Sommaruga nannte den Verzicht einen ausgewogenen migrationspolitischen Entscheid. Die L-Bewilligungen erlaubten es, flexibler auf den Arbeitsmarkt zu reagieren, argumentierte sie.

Seit die Ventilklausel vor einem Jahr erstmals aktiviert wurde, gab es bei den Einwanderern aus den neuen EU-Staaten eine Verschiebung von den längeren B- zu den kurzen L-Bewilligungen: 2012 wurden fast 14’000 L-Bewilligungen erteilt – 22% mehr als im Jahr zuvor.

Klausel allein löst das Problem nicht
Simonetta Sommaruga warnte denn auch vor hohen Erwartungen in die Ventilklausel. Diese sei nur eine Massnahme unter vielen und könne das Problem der Zuwanderung nicht lösen. Erst das Zusammenspiel aller einzelnen Massnahmen sei die Antwort auf die Zuwanderung. Gefordert sei zudem nicht nur die Politik. Auch Wirtschaft, Sozialpartner, Städte und Gemeinden müssten ihre Verantwortung wahrnehmen und in der Bevölkerung das Vertrauen in die politische Steuerung der Zuwanderung schaffen.

Die Schweiz ist für Ausländerinnen und Ausländer ungebrochen attraktiv. In den letzten Jahren wanderten jährlich zwischen 60’000 und 80’000 Menschen mehr ein als aus. 2012 wurden 55’430 B-Bewilligungen an Bürger aus EU-17-Ländern erteilt. Das waren 4,6% mehr als 2011. (awp/mc/pg)

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