Prof. Christian Dustmann: «Migration hat immer Verteilungseffekte»

Prof. Christian Dustmann: «Migration hat immer Verteilungseffekte»
Prof. Christian Dustmann

Humankapital sei essentiell für Gesellschaften und Ökonomien, sagt Prof. Christian Dustmann, Wirtschaftswissenschaftler am University College in London. Wer die Gewinner und wer die Verlierer von Migration sind, hänge von der speziellen Situation ab. Dustmann spricht an den ENGELBERG DIALOGUES vom 14. bis 17. Oktober 2018, welche unter dem Titel «Unbegrenzte Migration?» steht.

Die europäischen Staaten frischen in Zeiten des Fachkräftemangels ihr Humankapital hauptsächlich mittels Migration aus anderen Staaten auf. Profitieren davon ausschliesslich die Immigrationsländer oder auch die Herkunftsländer?

Christian Dustmann: Ich denke, das kann man so nicht sagen – „hauptsächlich“ wird Humankapital natürlich durch nationale Institutionen, wie z.B. das Schulsystem, oder das Ausbildungssystem, produziert. Natürlich ist Migration für die Volkswirtschaft sehr wichtig um auf unvorhersehbare Nachfrageschwankungen im Arbeitsmarkt reagieren zu können. Und oft sind tatsächlich gelernte Arbeitskräfte gefragt. Aber auch ungelernte Migration ist wichtig, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Sicherlich profitieren die Migranten selbst – und durch mögliche „remittances“ auch die Herkunftsländer. Aber es profitieren auch die Gastländer, vor allem die, die komplementär zu den Migranten sind, d.h. deren Produktivität durch Immigration steigt. Zum Beispiel kann ein Arzt ohne Krankenpfleger nicht arbeiten; die Produktivität des Arztes steigt also, wenn ein Engpass an Krankenpflegern durch Migration behoben wird.

Hinter dem abstrakten Begriff «Humankapital» stehen Menschen. Wie reagiert eine Gesellschaft auf Humankapital?

Für Arbeitsökonomen ist „Humankapital“ der Wert der „skills“ (Kompetenzen) einer Person im Arbeitsmarkt. Humankapital kann entweder durch Aus- und Weiterbildung geschaffen bzw. erhöht werden, oder aber auch durch Migration, wenn der Preis für „skills“ im Gastland höher ist als im Herkunftsland. Humankapital ist essentiell für Gesellschaften und Ökonomien – und wird meines Erachtens immer wichtiger, da viele ungelernte Arbeiten heute von Maschinen verrichtet werden, und somit sich der Wert von Humankapital erhöht.

«Für die Volkswirtschaft spielt eine Rolle, wie produktiv Immigranten sind und ob ihre Kompetenzen nachgefragt werden.» Prof. Christian Dustmann

Die Zuwanderung wirkt sich in den verschiedenen Ländern Europas unterschiedlich auf die Gesellschaft und die Volkswirtschaften aus. Welche Rolle spielt die Herkunftsheterogenität dabei? Gibt es Besonderheiten im deutschsprachigen Raum?

Meines Erachtens ist die gesellschaftliche „Absorptionskapazität“ eines Landes, was die Immigration angeht, von der „Unterschiedlichkeit“ der Migranten abhängig, obgleich das nicht der einzige Faktor ist, der die Absorption bestimmt. Zum Beispiel hat die Schweiz den grössten Ausländeranteil Europas; allerdings ist ein Grossteil dieser Ausländer oft ethnisch in der zweiten Generation nicht mehr von der Mehrheitsbevölkerung unterscheidbar und spricht oft schon in der ersten Generation die Sprache des Gastlandes fliessend.

Für die Volkswirtschaft spielt eher eine Rolle, wie produktiv Immigranten sind und ob ihre Kompetenzen nachgefragt werden.

Sie sagen, die Migration generiere eine Umverteilung: Wer ist Gewinner, wer Verlierer? Aus ökonomischer und aus gesellschaftlicher Sicht?

Das ist so allgemein schwer zu beantworten. Migration schafft eigentlich immer einen „Wohlfahrtsgewinn“, etwas das es ohne Migration nicht gäbe. Allerdings hat Migration auch immer Verteilungseffekte, und es kann durchaus sein, dass einige durch Migration verlieren. Die Gewinner von Migration sind immer die Migranten selbst. Wer allerdings ansonsten noch gewinnt, und wer möglicherweise verliert, kann man so allgemein nicht sagen, das hängt von der speziellen Situation ab.

Inwiefern und mit welchen Mitteln kann die Politik den Konflikten entgegenwirken, die aus dieser Umverteilung entstehen können?

Die Politik wandert auf einem sehr schmalen Grat – auf der einen Seite muss sie den Forderungen der Wirtschaft entsprechen, für die die Möglichkeit Arbeitskräfte auch aus dem Ausland einzustellen, sehr wichtig ist. Zum anderen muss sie den Ängsten und Sorgen der Bürger entsprechen, die oft zu hohe Migration ablehnen. Diese Ängste sind häufig unbegründet, müssen aber ernst genommen werden. Wichtig ist Aufklärung, die den Bürgern diese oft unbegründeten Ängste nimmt. Allerdings – und leider – ist Immigration nicht ein Thema, das lediglich rational beurteilt wird. Ängste und Emotionen spielen da eine grosse Rolle, was ja genau das ist, worauf sich populistische Parteien und Bewegungen konzentrieren. Da ist sehr viel Vorsicht gefordert. Befürwortung von Migrationspolitiken kann sehr schnell in Ablehnung umschlagen, und die Gratwanderung der richtigen Politik ist sicherlich eine Herausforderung. (


«Unbegrenzte Migration?»
Ist Migration eine Quelle wirtschaftlicher Prosperität oder fördert sie den Sozialtourismus und es droht ein Wohlstandsverlust? Vom 14. bis 17. Oktober 2018 setzt sich an den ENGELBERG DIALOGUES ein internationales Publikum aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik mit der Vielzahl unterschiedlicher Standpunkte und Sichtweisen auseinander. Zu den renommierten Referenten gehören unter anderen der Deutsche Prof. Christian Dustmann, Wirtschaftswissenschaftler des University College London mit dem Forschungsschwerpunkt Migrationsökonomie sowie einer der profiliertesten Ökonomen auf diesem Gebiet der Schweiz, Prof. George Sheldon, Universität Basel.

Mit der Teilung des Anlasses in drei Bereiche geht die Stiftung Academia Engelberg neue Wege. Auf die zweitägige Autumn Academy für junge Forscher folgt ein halbtägiger Workshop für eingeladene Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Beim abschliessenden Forum von Mittwoch, 17. Oktober 2018 werden die im Vorfeld gesammelten Ideen und Erkenntnisse im Zusammenhang mit der transeuropäischen Migration ausgiebig diskutiert. Ein öffentlicher Abend am 15. Oktober 2018, der das Thema auf regionaler Ebene aufgreift, ergänzt die Debatte. Die Ergebnisse und Erkenntnisse der ENGELBERG DIALOGUES sollen die laufende Migrationsdebatte in Europa und der Schweiz nachhaltig begleiten.

Detailprogramm: www.academia-engelberg.ch/information

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