Abfuhr für die Zuwanderungsinitiative der SVP im Nationalrat

Abfuhr für die Zuwanderungsinitiative der SVP im Nationalrat

(Nationalrats-Saal)

Bern – Die Zuwanderungsinitiative der SVP hatte im Nationalrat keine Chance. Mit 128 zu 49 Stimmen bei zwei Enthaltungen lehnte der Rat das Volksbegehren ab. Die SVP sieht in der Einwanderung die Ursache allen Übels – von Staus bis Kriminalität. Die Gegner bezeichnen die Initiative als wirtschaftsfeindlich und fürchten einen Mangel an Fachkräften. Der Abstimmung ging am Donnerstag eine gut siebenstündige Diskussion mit über 60 Rednerinnen und Rednern voraus. Dabei zeigte mit Ausnahme der SVP keine Fraktion Sympathie mit der Initiative. Wie bereits der Bundesrat und zahlreiche Verbände lehnte sie auch der Nationalrat als Erstrat ab.

Gemäss Zahlen des Bundes sind in den letzten Jahren jährlich zwischen 60’000 und 80’000 Menschen mehr ein- als ausgewandert. Die SVP-Initiative «Masseneinwanderung stoppen» verlangt nun, dass die Schweiz die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen für Ausländerinnen und Ausländer durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt. Schweizer sollen auf dem Arbeitsmarkt Vorrang haben. Im Fall einer Annahme müsste das Personenfreizügigkeitsabkommen innerhalb von drei Jahren neu verhandelt werden. Die SVP will damit erreichen, dass die Schweiz die Zuwanderung eigenständig steuern kann.

Diese Forderungen waren den anderen Fraktionen zu wirtschaftsfeindlich – sie fürchten einen Mangel an Fachkräften. Der Schweiz drohe eine «enorme Unsicherheit für den Wirtschaftsstandort», wenn sie keine ausländischen Arbeitskräfte mehr anstellen könnte, sagte etwa Andrea Caroni (FDP/AR).

Ohne Ausländer kein Gotthard-Basistunnel
Caronis Parteikollege Ruedi Noser (ZH) gestand als Inhaber eines Unternehmens für Telekommunikations-Software: «Ich stelle solche Leute an.» Von seinen rund 500 Mitarbeitenden hätten etwa 100 einen EU-Pass. Wenn man diese nicht beschäftigen dürfe, würden die Arbeitsplätze ausgelagert: «Wir möchten aber hier arbeiten.» Die Initianten hingegen sehen in der Einwanderung die Ursache für Probleme von Staus auf den Strassen über Wohnungsmangel bis hin zur Kriminalität. «Die Zuwanderung ist auf die Dauer nicht verkraftbar», sagte Hans Fehr (SVP/ZH).

Ruth Humbel (CVP/AG) entgegnete, viele der genannten Probleme hätten ganz andere Ursachen. So sei etwa der Wohnungsmangel in einzelnen Regionen darauf zurückzuführen, dass die Wohnfläche pro Person in den letzten Jahren stark gestiegen sei. Mehrere Ratsmitglieder nannten die Personenfreizügigkeit ein Erfolgsmodell, auch Justizministerin Simonetta Sommaruga. «Unser Land ist attraktiv», sagte sie. Normalerweise sei man stolz auf seine Attraktivität, aber für einige stelle dies offenbar ein Problem dar.

Sommaruga verwies darauf, dass vor dem Durchstich des Gotthard-Basistunnels 87 Prozent der Arbeiter Ausländer waren: «Ohne sie gäbe es heute keinen Basistunnel.» Von Kontingenten, wie sie die Schweiz in den 60er- und 70er-Jahren kannte, hält die Bundesrätin nichts: «Kontingente bringen nicht weniger Zuwanderung, sondern mehr Bürokratie.»

Problem als politisches Kapital
Alfred Heer (SVP/ZH) relativierte das Erfolgsmodell. Die Einwanderung finde nicht nur in den Arbeitsmarkt statt, sondern auch ins Sozialsystem. Dies führe zu hohen Kosten und bringe das Land nicht weiter. «Niemand ist gegen die Einwanderung in unser Land», sagte Heer, «aber im Rahmen der Personenfreizügigkeit kann jeder aus jedem EU-Land kommen, und hier türmen sich die Probleme auf». Die SVP musste sich von den Vertretern der anderen Parteien den Vorwurf gefallen lassen, sie wolle lieber politisches Kapital aus der Bewirtschaftung des Problems schlagen als das Problem zu lösen. Zudem vermische sie den Arbeitsmarkt und den Asylbereich.

Wer weniger Arbeitskräfte aus dem Ausland wolle, sagte Christine Bulliard-Marbach (CVP/FR), müsse mehr Leute im Inland ausbilden, eine Bildungsoffensive starten und mehr Frauen beschäftigen.

Unterstützung erhielt die SVP einzig aus der Lega dei Ticinesi, die mit der SVP eine Fraktion bildet: Nationalrätin Roberta Pantani verwies auf die zahlreichen Grenzgänger im Tessin, die für das Problem des Lohndumpings und der Scheinselbständigkeit mitverantwortlich seien: «Wir haben nicht das Recht, sondern die Pflicht, hier etwas zu tun und Kontingente einzuführen.»

Bundesrat und Verbände sagen Nein
Die SVP-Initiative war bereits vor der Beratung im Parlament auf breite Ablehnung gestossen. Die staatspolitische Kommission des Nationalrats lehnte sie mit 18 zu 7 Stimmen ab, und auch der Bundesrat sprach sich dagegen aus. Sie befürchten, die Schweiz würde im Falle einer Annahme auf Wirtschaftswachstum verzichten und sich den Zugang zu den wichtigsten Märkten erschweren. Gegen die Initiative sind auch Arbeitgeberverband, Gewerbeverband, economiesuisse, Bauernverband, Gewerkschaftsbund, Travail.Suisse und die Kommission für Migrationsfragen.

Mit der Initiative wird sich nun der Ständerat befassen. (awp/mc/ps)

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