Schweiz in erhöhter Alarmbereitschaft – und solidarisch

Schweiz in erhöhter Alarmbereitschaft – und solidarisch
Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin EJPD. (© World Economic Forum/swiss-image.ch)

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. (© World Economic Forum/swiss-image.ch)

Bern – Die Anschläge in Paris haben in der Schweiz Bestürzung ausgelöst. Die Fahnen auf dem Bundeshaus wehen auf halbmast. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga verurteilte den Terror aufs Schärfste. Die Sicherheitskräfte verstärkten ihre Wachsamkeit und ihre Präsenz, es kam Verzögerungen an den Grenzübergängen nach Frankreich.

«Ich bin schockiert, traurig und wütend», sagte Sommaruga am Samstag vor den Medien in Bern. Die Attacken hätten «Paris, Europa und die ganze Welt erschüttert». Die Angriffe richteten sich gegen die Grundwerte der Gesellschaft. Die Schweiz sei in Gedanken bei Frankreich.

Dem französischen Präsidenten François Hollande sprach Sommaruga offiziell ihr Beileid aus. Aussenminister Didier Burkhalter übermittelte eine Beileidsbekundung an seinen Amtskollegen Laurent Fabius. Die Bundespräsidentin rief am Sonntag zudem die Schweizer Bevölkerung dazu auf, an einer für Montagmittag geplanten Schweigeminute der Opfer zu gedenken.

Mehr Grenzkontrollen
Am Samstagmorgen waren die Schweizer Sicherheitsbehörden zusammen gekommen: Am Tisch sassen Vertreter des Bundesamts für Polizei (fedpol), des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB), des Grenzwachtkorps (GWK), der kantonalen Polizeikommandanten sowie des Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Am Nachmittag traf sich die Kerngruppe Sicherheit des Bundes – bestehend aus dem EDA-Staatssekretär und den Direktoren von NDB und fedpol – und die zuständigen Organe. Dabei ging es um mögliche Bezüge der Attentate zur Schweiz um die Koordination der Zusammenarbeit mit der französischen Polizei.

Fedpol-Direktorin Nicoletta della Valle sagte, die Zusammenarbeit mit den französischen Behörden sei eng. «Wir sind auch in Paris vor Ort.» Die Schweizer Sicherheitsbehörden seien wachsam und würden die Situation laufend neu beurteilen. Konkret seien die Grenzkontrollen an den Übergängen zu Frankreich punktuell verstärkt worden. Systematische Kontrollen seien derzeit nicht nötig.

Verkehrsbehinderungen wegen Grenzkontrollen
Die Ein- und Ausreise nach Frankreich war möglich. Aufgrund der systematischen Kontrollen auf französischer Seite mussten sich Reisende an den Grenzübergängen in der Westschweiz teilweise in Geduld üben. Verkehrsteilnehmer mussten am Sonntag mit Verzögerungen von 30 bis 60 Minuten rechnen.

Auch im Raum Basel kam der Verkehr ins Stocken: «Seit heute Nachmittag führen französische Zöllner bei der Einreise in die Schweiz, vor der Kontrolle der Schweizer Grenzwächter intensive Fahrzeug- und Personenkontrollen durch», sagte Patrick Gantenbein, Mediensprecher der Grenzwache Basel. Dies führe beim Autobahnzoll Basel-St.Louis zu Rückstaus nach Frankreich von mehreren Kilometern und Wartezeiten bei der Einreise in die Schweiz von bis zu einer halben Stunde.

Verstärkung an Bahnhöfen und Flughäfen
Auch die Polizei erhöhte ihre Präsenz. Als Verstärkung der Transportpolizei waren Polizisten vor allem im grösseren Bahnhöfen oder in Fernverkehrszügen im Einsatz, wie Stefan Blättler, Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten, sagte. «Es geht darum zu zeigen, wir sind da, die Polizei sorgt für Sicherheit.»

Die Kantonspolizei Zürich beorderte etwa zusätzliche Kräfte an den Zürcher Hauptbahnhof oder an den Flughafen. Fotos auf sozialen Medien zeigen teils mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizistinnen und Polizisten. Der Bahn- und Luftverkehr zwischen der Schweiz und Frankreich lief aber normal.

Auch der Schutz der diplomatischen Vertretungen Frankreichs in Bern, Genf und Zürich wurde laut Blättler in Zusammenarbeit mit dem Bundessicherheitsdienst verstärkt.

Bedrohungslage seit Monaten erhöht
Der NDB weise seit Monaten auf eine erhöhte Bedrohungslage hin, sagte Sommaruga. Diese Einschätzung gelte weiterhin.

Die Anschläge kämen nicht ganz unerwartet, sagte Verteidigungsminister Ueli Maurer im Radio SRF. «Wir warnen seit Monaten davor.» Es sei weiter mit Anschlägen zu rechnen, denn solche Taten könnten Nachahmer finden.

Die Schweiz stehe zwar nicht im Fokus der Terroristen, sagte Sicherheitsexperte Kurt R. Spillmann zur sda. Allerdings relativierte er: «Auch die Schweiz ist verwundbar.»

Bislang ist bekannt, dass eine Schweizerin bei den Anschlägen verletzt wurde, wie das EDA mitteilte. Von getöteten Schweizern hat das Aussendepartement keine Kenntnis. Personen, die Angehörige in Paris vermissen, könnten sich unter 0800 24-7-365 an die EDA-Helpline wenden.

Das EDA weist in seinen Reisehinweisen darauf hin, dass in Frankreich nach den Attentaten der Notstand ausgerufen wurde. Reisende sollen sich über die Medien auf dem Laufenden halten.

Solidaritätskundgebungen in der Schweiz
Die Koordination Islamischer Organisationen Schweiz verurteilte in einer Mitteilung das «grauenhafte Morden» in Paris und bedauert, «dass der Namen unserer Religion durch scheinreligiöse Verbrecher immer wieder missbraucht wird, um Terror zu verbreiten und unseren Mitmenschen Leid und Trauer zuzufügen».

In mehreren Schweizer Städten wurde zu Solidaritätskundgebungen aufgerufen. In Bern fand am Samstagabend auf dem Bundesplatz kurz vor der Lichtshow eine Schweigeminute statt. Mehrere hundert Menschen nahmen am Sonntag vor dem Zürcher Opernhaus an einer Gedenkfeier für die Pariser Terroropfer teil. In Genf versammelten sich rund 150 Menschen vor dem französischen Konsulat. In Freiburg nahmen etwa 150 Menschen an einem Solidaritätsumzug teil.

In Basel folgten rund 250 Menschen dem Aufruf aus kirchlichen Kreisen. Der Sekretär der Basler Muslim Kommission wehrte sich vor versammelter Menge vor dem «Missbrauch unserer Religion». «Der Anschlag in Paris erfüllt uns mit Abscheu und Sorge um den Frieden in Europa», sagte er vor dem Rathaus, dessen Basler Flagge Trauerflor trug.

In Lausanne verurteilte die Union vaudoise des associations musulmane (UVAM) entschieden die «feigen und blindwütigen» Attentate in Paris. «Es gibt keine Verbindung zwischen dem, was in Paris passiert ist und unserer Religion», sagte der UVAM-Präsident vor 200 Menschen in Lausanne.

Die Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS) verurteilte in einer Mitteilung aufs Schärfste «diese abscheulichen und feigen terroristischen Attacken und Verbrechen gegen die Menschlichkeit».

Angst und der Zorn würden leider zunehmen. Umso mehr müsse «unsere Gesellschaft zusammenstehen, um gegen dieses terroristische Unwesen vorzugehen, egal ob deren Ziele politisch sind oder fälschlicherweise im Namen einer Religion».

Burkhalter wirbt für Nachrichtendienstgesetz
Das Attentat von Paris befeuerte in der Schweiz die politische Debatte zu mehreren Themen: Gegenüber dem Westschweizer Radio RTS rief Burkhalter zu einer besseren Prävention extremistischer Gewaltakte auf. Zuständig dafür seien die Geheimdienste. Er nutzte die Gelegenheit, um für das Nachrichtendienstgesetz zu werben, gegen welches das Referendum ergriffen worden ist.

Das Gesetz gebe den zuständigen Behörden mehr Mittel, um solchen Taten zuvor zu kommen und mehr Möglichkeiten der elektronischen Überwachung. Zugleich müsse aber auch vor Ort gehandelt und alles unternommen werden, um die Kriege zu stoppen.

Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass einer der Attentäter von Paris als Flüchtling in Frankreich eingereist ist, dürfte dies die Flüchtlingsdebatte in der EU und auch in der Schweiz verschärfen. Der Staatssekretär für Migration, Mario Gattiker, reagierte in der «SonntagsZeitung» bereits auf Befürchtungen, dass sich unter einreisenden Asylsuchenden auch Terroristen befinden könnten.

Alle Asylsuchende, die den Kantonen übergeben werden, seien registriert und identifiziert worden, sagte er. «Die Behörden überprüfen alles, was möglich ist.» Heikle Dossiers würden zudem dem Nachrichtendienst zur Überprüfung vorgelegt. Das gesamte Vorleben von Asylbewerbern könne jedoch nicht ausgeleuchtet werden.

Bundesrat Ueli Maurer sagte der «SonntagsZeitung» und der «NZZ am Sonntag», es sei denkbar, dass Individuen oder kleinere Gruppen einreisten. «Schläfer, die unter uns leben, sind die grösste Gefahr, weil es kaum Hinweise gibt auf solche Personen.» (awp/mc/ps)

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