WEF 2022: Schweiz in Gesprächen zu Schutzmandat nach Ukraine-Krieg

WEF 2022: Schweiz in Gesprächen zu Schutzmandat nach Ukraine-Krieg
Bundespräsident Ignazio Cassis eröffnet das WEF 2022. (Copyright: World Economic Forum/Sikarin Fon Thanachaiary)

Davos – Am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos ist der Krieg in der Ukraine das zentrale Thema für den Bundesrat gewesen. Bundespräsident Ignazio Cassis nutzte bilaterale Treffen, um letzte Punkte zur Wiederaufbaukonferenz in Lugano zu besprechen. Daneben wurde bekannt, dass die Schweiz in Gesprächen für ein Schutzmandat ist.

Cassis machte keinen Hehl daraus, dass er das WEF für die Konferenz-Vorbereitungen nutzen wollte. So sprach er etwa während eines Abendessens am Montagabend mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fast die ganze Zeit über dieses Thema, wie Cassis vor den Medien sagte.

Ausserdem traf er den ukrainischen Aussenminister Dmytro Kuleba. Dieser erhoffte sich von der Konferenz grosse finanzielle Hilfe, wie er an einer Medienkonferenz mit Cassis sagte. Der per Video zugeschaltete ukrainische Premierminister Denys Schmyhal stellte fest, dass die Zerstörung im Land massiv sei. Aber wenn die Leute in die Ukraine zurückkehrten, würden sie das Land wiederaufbauen – die Strassen, die Häuser, die Brücken.

Selenskyj soll dabei sein
Mit der Konferenz im Tessin soll das Land dabei unterstützt werden. 40 Länder und 18 internationale Organisationen wurden eingeladen. Cassis erhofft sich unter den Gästen Staatschefs und Aussenminister. Auch der ukrainische Präsident Selenskyj soll dabei sein, allerdings sei noch unklar, in welcher Form, sagte Cassis.

Selenksyj äusserte in seiner Videoansprache zur Eröffnung des Weltwirtschaftsforums die Hoffnung, dass aus der Konferenz eigene Vorschläge hervorgehen werden. Die Ukraine selber habe auch Ideen, wie der Wiederaufbau aussehen könnte. Denkbar wäre zum Beispiel, dass gewisse Firmen gewisse Branchen oder gewisse Länder gewissen Regionen unterstützten, wie Selenskyj sagte.

Warten wäre «unverzeihlich»
Wie konkret der Wiederaufbau schliesslich aussehen wird, ist noch unklar. Der Krieg dauert an und ein Ende scheint derzeit nicht absehbar. Es wäre aber «unverzeihlich», wenn man nicht schon jetzt mit den Überlegungen beginnen würde, sagte Cassis in Davos.

An der Konferenz sollen daher die Leitplanken und der finanzielle Bedarf für den Wiederaufbau festgelegt werden. Eine Frage ist auch, welche Rolle die internationalen Banken und multinationalen Organisationen spielen. Mit wie viel Geld sich die Schweiz am Wiederaufbau beteiligen wird, soll gemäss Cassis noch vor der Konferenz vom 4. und 5. Juli bestimmt werden.

Gespräche zu Schweizer Schutzmandat
Cassis richtete seinen Blick am WEF aber nicht nur auf den Wiederaufbau der Ukraine, sondern auch auf die mögliche Rolle der Schweiz nach dem Krieg. Die Schweiz sei bereit, ein Schutzmandat für die Ukraine in Russland und umgekehrt zu übernehmen, sagte Cassis. Der ukrainische Aussenminister bestätigte vor den Medien, dass es Gespräche dazu gebe. Mehr sagte er dazu jedoch nicht.

Als Schutzmacht übernähme die Schweiz einen Teil der konsularischen oder diplomatischen Aufgaben. Die Staaten können so minimale Beziehungen aufrechterhalten. Formell erfolgt die Erteilung der Mandate an die Schweiz durch den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen der Schweiz und dem mandatierten Staat. Dieser Vertrag muss von dem Staat, in welchem das Mandat ausgeübt wird, genehmigt werden.

Viele Diskussionen über Neutralität
Am WEF kam auch die Schweizer Neutralität mehrfach zur Sprache. Cassis verwendete dabei den Begriff der «kooperativen Neutralität». Dieser Begriff sei aus der Wahrnehmung des Bundesrats entstanden, Teil einer Wertegemeinschaft zu sein. Er bedeute, dass sich die Schweiz als neutrales Land für die Stärkung und Sicherung von eigenen und gemeinsamen Grundwerten, eigenen und gemeinsamen Friedensbemühungen und für eine regelbasierte und stabile Sicherheitsarchitektur einsetze.

Auch beim Treffen von Verteidigungsministerin Viola Amherd mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg war die Neutralität der Schweiz ein Thema. Unter Berücksichtigung eben dieser will die Schweiz «enger und besser» mit der Nato zusammenzuarbeiten. Die Nato sei offen dafür, die Schweiz müsse aber die Initiative ergreifen, sagte Amherd zu Keystone-SDA.

Ein fruchtbares Treffen hatten am WEF auch Umweltministerin Simonetta Sommaruga und Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Mit Robert Habeck, dem deutschen Vizekanzler und Wirtschafts- und Energieminister, haben sie vereinbart, dass Verhandlungen zu einem Solidaritätsabkommen bei der Gasversorgung aufgenommen werden. Die Schweiz und Deutschland wollen sich damit bei Energiekrisen gegenseitig unterstützen können.

Das WEF dauert noch bis am Donnerstagmittag, die Bundesräte sind aber nicht mehr vor Ort. Erwartet wird etwa noch eine Rede des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz sowie eine Diskussion mit Vitali Klitschko, dem Bürgermeister von Kiew. (awp/mc/pg)

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