«Wir leben in einer Diktatur der Finanzmärkte»

«Wir leben in einer Diktatur der Finanzmärkte»

Gewohnt deutliche Worte: Oskar Lafontaine am SEF. (Bild © SEF 2012)

Interlaken – Mit dem Auftritt von Steve Forbes ging in Interlaken das 14. Swiss Economic Forum unter dem Konferenzthema „Stärken stärken“ zu Ende. Zu den renommierten Rednern gehörten Oskar Lafontaine, Paul Bulcke, Hansjörg Wyss und Uli Hoeness. Eröffnet wurde das Forum gestern von Bundesrätin Doris Leuthard, Prof. Dr. Wolfgang Franz und dem Überraschungsgast Philipp M. Hildebrand.

„Wir leben nicht in einer Demokratie, sondern in einer Diktatur der Finanzmärkte“, erklärt Oskar Lafontaine, der frühere Vorsitzende der deutschen Partei «Die Linke». Der britische Europa-Parlamentarier Nigel Farage nennt die EU einen „riesigen Betrug“. Lafontaine und Farage präsentierten am zweiten Tag des 14. Swiss Economic Forum in Interlaken ihre Ansichten zu Europa. Lafontaine beklagte das Demokratie-Defizit in Europa. Wenn die Löhne und die Renten flächendeckend fallen, sei das nicht im Sinne der Mehrheit. „Wie können wir Europa konstruieren, dass sich die Mehrheit wieder durchsetzt?“ Der Euro sei von Anfang an falsch konstruiert gewesen, sagt Lafontaine. Es brauche keine Deregulierung in Europa. „Wenn wir nicht zu einer Regulierung der Finanzmärkte kommen, gibt es eine Katastrophe“. Die Staaten müssten von den Finanzmärkten entkoppelt werden. Schulden seien nichts anderes als das Vermögen der Reichen. Deshalb brauche es eine Millionärssteuer, um die Schulden abzubauen. „Wer den Gewinn macht, muss auch den Verlust tragen. Wer dieses Prinzip nicht akzeptiert, setzt die Marktwirtschaft ausser Kraft.“

Griechenland im wirtschaftlichen Gefängnis
Auch das Bankensystem müsse neu geordnet werden. Kein Wirtschaftsunternehmen dürfe so stark sein, dass der Staat von ihm abhängt. Der Europa-Abgeordnete Nigel Farage ist Präsident der englischen UKIP (United Kingdom Independence Party). Griechenland sitze in einem wirtschaftlichen Gefängnis. In Athen herrsche völlige Hoffnungslosigkeit. Alle sagten den Griechen, sie müssten beim Euro bleiben. Doch Griechenland sei am Rande einer Revolution und diese werde dem Land von der EU aufgezwungen. Farage ist der Meinung, dass Griechenland den Euro verlassen müsse. „Ich hoffe, dass die Märkte diesen Sommer den Euro zerstören“. Angela Merkel habe gesagt, dass wir eine europäische Identität schaffen müssten. „Meine Antwort ist: Nie im Leben. Es ist völlig falsch, Europa in ein von Deutschland dominiertes Projekt zu führen. Die europäischen Wähler wollen das auch nicht.“ Farage möchte in einem Europa arbeiten, das aus souveränen Staaten besteht. „Denken Sie an Jugoslawien; wenn man die Leute zwingt zusammenzuleben, so folgen Nationalismus und Rassismus.“ Im Gegensatz zu Lafontaine verlangt Farage eine Deregulierung der Wirtschaft in Europa, damit sie gegenüber Asien bestehen kann.

Das Thema Europa kam auch an einem Podiumsgespräch mit Jungpolitikern und Wirtschaftsfachleuten zur Sprache. Der Wirtschaftsexperte Beat Kappeler betonte: „Wenn wir in der EU wären, hätten wir das gleiche Schlamassel und müssten erst noch zahlen.“ Stefan Borgas, ehemaliger CEO der Lonza AG betonte, „de facto ist es ein Riesenvorteil, dass wir nicht von der EU in Sippenhaft genommen werden“. Doch in Wirklichkeit sei die Schweiz schon weit in der EU verankert. Unsere Märkte liegen zu 65 Prozent in der EU. „Wir sind nicht nur Rosinenpicker, wir zahlen Milliarden in die EU. Wir nehmen viele EU-Bürger auf und ein Teil unserer Elite arbeitet in der EU.“ Die Attacken aus Brüssel gegen die Schweiz „werden nicht so heiss gegessen wie gekocht“. Borgas rät: ruhig bleiben, weiter machen.

Von der Stärke der Schweiz beeindruckt
Steve Forbes, Chairman und CEO des Forbes-Medienunternehmes gratulierte der Schweiz zu ihrem Wirtschaftswachstum und ihrer gesunden und soliden Währung bei niedrigen Steuern. „Die Schweiz hat da eine gute Arbeit geleistet.“ Die heutige Krise sei darauf zurückzuführen, dass „zu viele Wirtschaftswissenschafter und Politiker eine falsche Diagnose gestellt haben“. So seien Zerstörungen angerichtet worden, die die Welt seit langem nicht mehr gesehen habe. Die grössten Fehler seien in der Währungspolitik gemacht worden. Aber instabiles Geld führe zu einer instabilen Wirtschaft. Das schlimmste, was man in der heutigen Krise tun könne, sei die Steuern erhöhen, wie dies südeuropäische Länder heute tun. Die Einnahmen der Länder mit niedrigen Steuern seien höher als die Einnahmen der Regierungen mit hohen Steuern. Auch in den Dreissigerjahren seien die Steuern erhöht worden, und da habe man sich gewundert, dass die Wirtschaft zusammenbrach. „Wir sollten auch Deutschland den Rat geben: erleichtert das Steuersystem, reduziert die Mehrwertsteuer. So gibt es Raum, dass auch private Firmen wieder nach oben kommen“.

Forbes kritisiert ausserdem die Umweltpolitik vieler Staaten. Die Milliarden, die zur Reduzierung von CO2 ausgegeben würden, seien „ganz einfach rausgeschmissenes Geld“. Nach den Präsidentschaftswahlen im Herbst werde es in den USA grosse Veränderungen geben und das Steuersystem werde stark vereinfacht. Deshalb sei Optimismus am Platz. „Niedrige Steuern führen zu Wohlstand und machen es den Regierungen möglich, sich zu bewegen“. Die Steuerentlastungen in den USA würden sich positiv auf die ganze Welt auswirken. „Wir sind jetzt am Tiefpunkt, wenn Sie in einem Jahr wieder hier sind, wird alles viel positiver sein“.

Die Gesellschaft stärken
Die Welt sei unstabil geworden und verändere sich schnell, erklärte Paul Bulcke, CEO von Nestlé, in seinem Referat. Doch Krisen seien immer auch eine Chance und eine Herausforderung. „Erfolg ist gefährlich, durch Erfolg lernt man nichts“. Wichtig sei, dass man sich immer wieder selbst hinterfrage. „Um als Unternehmen erfolgreich zu sein, muss man Werte schaffen für die gesamte Gesellschaft und nicht nur für die Aktionäre“.

Myles Munroe, Minister, Pastor und Autor aus den Bahamas, ist der Ansicht, dass sich die Globalisierung in der „ultimativen Krise“ befinde. Die Wirtschaftswissenschaftler seien inzwischen still geworden, weil ihre Theorien den Veränderungen nicht gewachsen sind. Aber ohne Druck hat es nie Veränderungen gegeben. Das Gute an der Krise ist, dass sie zu Innovationen führt. Myles ist der Ansicht, dass jeder Mensch Stärke und Macht wolle. Doch man müsse zwischen Stärke und Macht unterscheiden. Man könne Macht ohne Stärke haben. Macht sei 80 Prozent Einstellung und 20 Prozent Begabung.

Gewinner des Swiss Economic Award 2012
Das Forum verleiht jährlich auch den bedeutendsten Jungunternehmerpreis der Schweiz – den Swiss Economic Award – in den Kategorien Dienstleistung, Produktion/Gewerbe sowie Hightech/Biotech. Die von Carolina Müller-Möhl präsidierte Jury verlieh dieses Jahr den Preis für den Bereich „Dienstleistungen“ an die Livesystems AG. Ihr passengertv ist ein neuartiges visuelles Fahrgast-Informationssystem, das die Kommunikations-und Informationswerkzeuge im öffentlichen Verkehr revolutioniert. Den Preis in der Kategorie „Produktion/Gewerbe“ gewinnt die „bodenständige und innovative“ Firma Jumi AG. Sie produziert authentischen Käse und Omoso Rindfleisch-Produkte. Die Firma Teseq AG gewinnt den Preis in der Kategorie „Hightech/Biotech“. Sie entwickelt Testgeräte zur Prüfung von elektromagnetischer Verträglichkeit.

Teilnehmer-Nachfrage immer noch steigend
Das Swiss Economic Forum hat sich als führendes Wirtschaftstreffen der Schweizer KMU mit einem grossen Nutzwert und einer hochstehenden Teilnehmerqualität einen Namen gemacht. Die gegenüber dem Vorjahr um 28 Prozent höhere Nachfrage nach Teilnahmeplätzen überstieg das Angebot auch heuer massiv: Rund 700 Interessenten konnten nicht berücksichtigt werden. Aus diesem Grund werden die Plätze jeweils unter notarieller Aufsicht zugelost.

Das Swiss Economic Forum in Zahlen
Das Swiss Economic Forum wurde 1998 gegründet und 1999 erstmals durchgeführt. CEOs sind Stefan Linder und Peter Stähli. Während dem Anlass stehen 22 Mitarbeitende und Bereichsleiter sowie rund 420 Helferinnen und Helfer im Einsatz. Es nahmen über 1250 hochrangige Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik teil, hinzu kommen über 50 Referentinnen und Referenten.
(Rückblick auf den ersten Tag: siehe Medienmitteilung von gestern Donnerstag Abend).

Das 15. Swiss Economic Forum findet am 6./7. Juni 2013 in Interlaken statt. (SEF/mc/ps)

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