Kunsthaus Zürich: Bourdelles Bronzeskulptur «Sappho» und Vertreter der französischen Plastik

Kunsthaus Zürich: Bourdelles Bronzeskulptur «Sappho» und Vertreter der französischen Plastik

Antoine Bourdelle, «Sappho» 1887/1925 (Ausschnitt), Bronze, 207 x 100 x 145 cm, Geschenk Alexis Rudier. (Bild: Kunsthaus Zürich)

Zürich – «Sappho», die bedeutende Bronzeskulptur des französischen Bildhauers Antoine Bourdelle, ist einer aufwendigen Restaurierung unterzogen worden. Vom 21. März bis 6. Juli 2014 wird sie im Kontext einer temporären Sammlungspräsentation mit Plastiken von u.a. Auguste Rodin, Henri Matisse und Henri Laurens präsentiert. Im Kunsthaus erstmals gezeigt wird auch das neu angekaufte Werk von Danh Vo, «We the People», das dem in der Ausstellung präsenten Thema der fragmentierten Figur und des Gewands eine weitere Wendung gibt.

Der aus Südwestfrankreich stammende Bildhauer Antoine Bourdelle (1861–1929) bildet mit Auguste Rodin und Aristide Maillol das Dreigestirn der frühmodernen französischen Plastik. Von intimen, kleinformatigen Arbeiten bis zu grossen öffentlichen Auftragsarbeiten hat Bourdelle, der bereits zu Lebzeiten weltweite Anerkennung erfuhr, alle Formate gepflegt. Sein Hauptthema ist die menschliche Figur, häufig dargestellt in mythologischen Kontexten. Letzteres gilt teilweise auch für die drei wichtigen Bronzen im Kunsthaus Zürich: «Apollon (Masque)» von 1900, eine Darstellung des Gesichtes von Apoll, dem griechischen Gott der Musik und der Dichtkunst, sodann «Beethoven» von 1902, eine Porträtbüste des grossen Komponisten – und «Sappho» von 1887/1925.

Überlebensgrosse Dichterin der Antike
Bei «Sappho» handelt es sich um eine monumentale Darstellung der gleichnamigen grössten Dichterin der Antike. Auf einer kleinen Erhöhung kauernd, trägt sie eine grosse Lyra bei sich. Vom hochgereckten grossen rechten Zeh bis zur nach oben gehaltenen rechten Hand ist ihre ganze Gestalt von einer starken Spannung erfüllt, die sich auch in den Falten ihres Kleides manifestiert. Sappho hat den Kopf gebeugt. Ihre rechte Hand verbindet sich darüber mit der Form des Instrumentes, vielleicht zählt die Dichterin gerade, tief versunken, das Versmass eines Gedichtes ab. Oder ist Liebesschmerz im Spiel? Interessant ist diesbezüglich die Darstellung einer wohl tanzenden nackten Frau auf der Sappho abgewandten Seite der Lyra.

Sapphos grosses Thema ist die Liebe – und die Verehrung für die Liebesgöttin Aphrodite. Bourdelle beschäftigte sich mehrere Male mit seiner Sappho-Komposition. Eine erste Fassung, nur 28 cm gross, entstand 1887. 1924 realisierte Bourdelle eine Bronze von 70 cm Höhe. Im Jahr darauf dann die in sieben Güssen existierende monumentale Bronze. Das im Kunsthaus aufbewahrte, überlebensgrosse Exemplar stammt von 1925. Dieses Werk ist für die Zeit ab der Eröffnung des Erweiterungsbaus für eine Platzierung im Garten der Kunst im Gespräch.

Bestand vollzählig restauriert
Die Restaurierung von Bourdelles Werk folgte auf Projekte zur Konservierung von Plastiken Maillols und Rodins. Nun steht der bedeutende Kunsthaus-Bestand an französischen (oder wie im Falle von Constantin Brancusi und Alberto Giacometti mit Frankreich als Land der Entstehung verbundenen) Plastiken der Klassischen Moderne wieder vollzählig und in gutem Zustand zur Verfügung.

Herstellung, Zustand und Restaurierung
Die Bronzeplastik Sappho von Antoine Bourdelle aus dem Jahre 1925 wurde im Sandguss-Verfahren in der Giesserei Alexis Rudier in Paris hergestellt. Der Hohlguss ist in mehreren grossen Einzelteilen gegossen, die durch stark verrostete Eisenschrauben zusammengehalten wurden.

Die ursprünglich vermutlich in einem bräunlichen Grundton chemisch patinierte Oberfläche der Plastik hat sich durch atmosphärische Korrosion im Laufe der Zeit typisch grünlich verfärbt. Durch die jahrzehntelange Aufstellung im Aussenraum war die originale Patina in grösserem Umfang beschädigt und die Lesbarkeit für den Betrachter eingeschränkt.
Ein konservatorischer und restauratorischer Eingriff umfasst neben der behutsamen und sorgfältigen Reinigung der stark strukturierten Oberfläche die langfristige Erhaltung der Originalsubstanz mit allen historischen Veränderungen und Spuren. Nach einer sorgfältigen Reinigung der Oberfläche und Entfernung von Schmutzablagerungen wurde die Plastik mit einem mikrokristallinen Wach überzogen. Insgesamt entsteht somit bei optimalem Schutz gegen die Umwelteinflüsse ein sehr viel homogeneres Erscheinungsbild, das die Lesbarkeit der Plastik verbessert. Ebenfalls aus konservatorischen Gründen wurde eine grosse Anzahl der stark korrodierten Eisenschrauben im Inneren durch Edelstahlschrauben ersetzt. Durch die Untersuchungen und Massnahmen des Projekts konnten nicht nur das Erscheinungsbild und die innere Struktur der Bronze restauriert werden, sondern es kamen auch spannende Details über die Entstehung und Geschichte von Bourdelles «Sappho» zutage.

Von Rodins «Iris» und Bourdelles «Sappho» zu Matisse› Rückenakten
Die erste Erwerbung einer Plastik eines massgeblichen französischen Meisters der (frühen) Moderne galt 1910 Auguste Rodins Gips-Fassung von «La prière» – eine stehende weibliche Figur, 1909 in für Rodin kennzeichnender Weise als Torso gestaltet. Die provokative «Iris, messagère des dieux» von 1890/91, ebenfalls eine fragmentierte Frauengestalt, gelangte 1949 in die Sammlung. Nur zwei Jahre später kam die von der Giesser Alexis Rudier als Geschenk bestimmte «Sappho» Bourdelles zum Bestand dazu. Von besonderem Gewicht war 1960 die Erwerbung von Henri Matisse‘ kapitalen vier «Rückenakten» aus den Jahren 1909, 1913, 1916/17 und 1930. Diese Werke gehören zu den mit Abstand bedeutendsten Werken der Plastik der Moderne und wurden mit Beiträgen des Kantons und der VZK von der Tochter des Künstlers erworben. Matisse war (wie zeitweilig Alberto Giacometti) ein Schüler Bourdelles. 1961 gelangte als Geschenk der Erben Franz Meyer Henri Laurens‘ monumentale «La grande musicienne» ans Kunsthaus. 1968 kamen aus der Sammlung Werner und Nelly Bär ein ganzes Konvolut an grossherzigen Schenkungen, darunter Rodins «Femme accroupie» und «Balzac», Bourdelles «Beethoven», ein früher Kopf Picassos, sowie zwei kleinere Plastiken von Matisse. Insgesamt konnte während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein bedeutender Bestand zusammengetragen werden, von dem jetzt mit «Sappho» ein weiteres Hauptwerk wieder präsentiert werden kann.

Präsentation und Publikation
Vom 21. März bis 6. Juli 2014 wird «Sappho» im Kontext einer temporären Sammlungspräsentation mit Plastiken insbesondere von Auguste Rodin, Henri Matisse und Henri Laurens präsentiert. Ebenfalls werden die neu angekauften Teile des Werks «We the People» (2010-2013) von Danh Vo (*1975) gezeigt, etwa das Fragment eines Fusses oder eine Drapierung des Gewands. Diese stammen vom gross angelegten Projekt des Künstlers, die Freiheitsstatue als Replik 1:1 zu reproduzieren und in ihre Einzelteile zu zerlegen. Das Bild der zerstückelten und am Boden liegenden Libertas kann auch in einem politisch aufgeladenen Kontext gelesen werden – und verbindet sich motivisch mit der in der Ausstellung präsenten Thematik von weiblicher Figur, Fragment und Gewand.

Eine Publikation mit 16 Seiten und 14 Abbildungen begleitet die Präsentation und wird kostenlos abgegeben. Sie gibt Einblick in die restauratorischen Massnahmen und liefert Erläuterungen zu den Werken der Ausstellung.

Das Restaurierungsprojekt «Sappho» wurde unterstützt von der Fondation BNP Paribas Suisse. (Kunsthaus Zürich/mc/ps)

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