Trumps Zölle und die Folgen: Das sagen die Ökonomen

Zürich – US-Präsident Donald Trump hat in der Nacht auf den 1. August einen Zollsatz von 39 Prozent für die Schweiz festgesetzt. In Kraft treten soll er am 7. August. Auf Nachfrage durch die Nachrichtenagentur AWP geben einige Ökonomen ihre Einschätzungen dazu ab.
Was bedeuten die Zölle für die Schweizer Wirtschaft?
ZKB, Kevin Gismondi: Sollten die angedrohten US-Importzölle tatsächlich umgesetzt werden und längere Zeit in Kraft bleiben, wäre für die Schweizer Wirtschaft mit weitreichenden negativen Folgen zu rechnen. Zyklische und preissensitive Industriebranchen wie die Maschinen-, Elektronik- und Metallindustrie, sowie die Uhrenindustrie wären bei derart hohen Importzöllen in den USA nicht mehr konkurrenzfähig. Dass die Schweiz viel härter mit Zöllen getroffen würde als die EU verringert die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Exportprodukte. Sie würden in der Folge erhebliche Umsatzverluste erleiden, was auch zahlreiche Arbeitsplätze in der Schweiz gefährden würde. Selbst ohne Eskalation des Zollkonflikts hätte die Schweizer Wirtschaft im laufenden Jahr nur ein unterdurchschnittliches Wachstum erreicht.
BANTLEON, Daniel Hartmann: Rein rechnerisch könnte das BIP der Schweiz um gut 0,5%-Punkte nach unten gedrückt werden. Allerdings gilt gleichzeitig zu bedenken, dass rund 80% der Exporte der Schweiz in Länder ausserhalb der USA gehen, allen voran nach Deutschland und die anderen EU-Länder. Gerade in Deutschland zeichnet sich durch die Wende in der Fiskalpolitik in den nächsten Quartalen ein kräftiger Aufschwung ab. Davon kann die Schweiz profitieren und einen Teil der Verluste in den USA kompensieren. Ausserdem hatte sich die Schweizer Wirtschaft in den vergangenen Jahren stets durch eine stabile Binnenkonjunktur ausgezeichnet, die nicht so schnell aus der Bahn geworfen wird. Wir rechnen daher nicht mit einer Rezession in den nächsten Quartalen, sondern bestenfalls mit einer Delle, die das Wachstum unter Umständen von derzeit knapp 2,0% in Richtung 1,0% drückt.
MIGROSBANK, Santosh Brivio: Von einer schnellen Rezession gehen wir vorderhand nicht aus. Wir nähern uns aber sehr schnell der Stagnation. Wir gehen davon aus, dass die Zölle bei 39% das jährliche BIP um 0,4% belastet; sollten noch (absurd) hohe Pharma-Zölle hinzukommen, gehen wir von einer Belastung von mindestens 0,6% p.a aus.
KOF KONJUNKTURFORSCHUNGSSTELLE, Hans Gersbach: Würde die Zolldrohung allerdings in sieben Tagen umgesetzt werden und bliebe lange Zeit in Kraft, hätte es erhebliche negative Auswirkungen auf die Schweizer Volkswirtschaft. In einem solchen Fall hängen die Auswirkungen massgeblich davon ab, ob die Pharmaindustrie, welche den weitaus grössten Anteil an Exporten in die USA ausmacht, ebenfalls von Zöllen in ähnlicher Grössenordnung getroffen wird oder nicht. Mit sogenannten reziproken Zöllen von 39% auf Schweizer Warenexporte in die USA (ohne Pharma) und 15% gegenüber Exporten aus der Europäischen Union (EU) sowie einem 10%-Zoll auf Pharmaprodukte aus der Schweiz, muss eine deutliche Verringerung des Bruttoinlandprodukts (BIP) erwartet werden. Diese würden je nach Möglichkeit von Handelsumlenkungen und Zeithorizont im Bereich von 0.3% des BIPs bis 0.6% des BIPs pro Jahr liegen. Es sind deshalb mindestens 0.3% Rückgang des BIPs zu erwarten, was jeden Schweizer und jede Schweizerin im Durchschnitt fast 300 CHF. pro Jahr kosten würden.
BAK-ECONOMICS, Claude Maurer: Solange Pharma ausgeschlossen bleibt, kosten die Zölle rund 0.3 Prozent Wachstum über die kommenden Jahre. Rund 12’500 Stellen weniger sind zu erwarten. Das Wachstum wäre aber noch positiv, im Schnitt bei 0.7%.
Droht ein Covid-ähnlicher Einbruch?
ZKB, Kevin Gismondi: Der Einbruch der Wirtschaftsleistung hängt von der Dauer der Umsetzung ab. Wir rechnen bislang mit einer Handelseinigung. Zum einen besteht noch ein Zeitfenster von einigen Tagen für erneute Verhandlungen. Zum anderen könnte es bei gutem Willen von beiden Seiten zu einer erneuten Fristverlängerung kommen. Die vergangenen Monate haben wiederholt gezeigt, dass derart hohe Zollandrohungen vor allem als Druck- und Verhandlungsmittel eingesetzt werden. Dies auch deshalb, weil sich die USA damit wirtschaftlich selbst schaden würden. Das gilt vor allem für Pharmaprodukte, die Donald Trump verbilligen möchte.
MIGROSBANK, Santosh Brivio: Punkto Geschwindigkeit vollzieht sich der Impact wahrscheinlich nicht so plötzlich wie während der Pandemie. Dort ging sozusagen über Nacht einfach gar nichts mehr, während in der aktuellen Situation der Handel ex-US nicht direkt tangiert ist. Hinsichtlich Impact-Tiefe dürfte der Einbruch bei längerem Bestehen der Zölle in angedachter Höhe sogar den Pandemie-Einbruch übertreffen und das Recovery dürfte mühseliger werden, weil alles andere als sicher ist, dass auch nach Trump die Zölle einfach wieder verschwinden werden.
BANTLEON, Daniel Hartmann: In der Pandemie wurde phasenweise das ganze Land lahmgelegt. Damit ist der Zollschock bei weitem nicht vergleichbar. Grosse Teile der Schweizer Wirtschaft – allen voran die Dienstleistungen – sind davon gar nicht betroffen.
VALIANT, Renato Flückiger: Den Vergleich mit der Aufhebung der EUR/CHF-Untergrenze erachte ich als passender: Der 39%-Importzoll-Schock für Schweizer US-Exporte erinnert in seiner Wucht an den „Franken-Schock» vom 15. Januar 2015, als die SNB den EUR/CHF-Mindestkurs überraschend aufhob. Beide Ereignisse verursachten massive Unsicherheit, Börsenkorrekturen und einen unmittelbaren Wettbewerbsverlust für die Schweizer Exportindustrie. Die Parallelen liegen besonders darin, dass jeweils ein externer Schock, über Nacht und weitgehend unvorhersehbar, die Preis- und Margensituation fundamental verschlechterte – sei es durch Währungsaufwertung (2015) oder durch Strafzölle (2025). Unterschiede gibt es vor allem bei der Betroffenheit: 2015 litt die gesamte Exportwirtschaft durch den teuren Franken, diesmal treffen die Zölle gezielt US-Exporteure. Auch der Mechanismus der Anpassung unterscheidet sich: Während 2015 die Unternehmen vor allem über Preise, Löhne und Automatisierung reagieren mussten, sind nun Standortentscheide, Marktdiversifikation und Produktionsverlagerungen zentral.
ODDO-BHF, Arthur Jurus: Die heutige Situation ist nicht mit der Pandemie vergleichbar, die zu einem abrupten Einbruch in nahezu allen Wirtschaftsbereichen führte. Der aktuelle Schock ist sektorenspezifisch – Pharma, Uhren, Lebensmittel – und betrifft hauptsächlich Exporte in die USA. Der Effekt wird sich über mehrere Quartale langsam entfalten – durch Margenrückgänge, rückläufige Aufträge und erschwerten Marktzugang. Eine schnelle, umfassende Rezession ist derzeit eher unwahrscheinlich.
Kommen nun Negativ-Zinsen durch die SNB?
ZKB; Kevin Gismondi: Der schwächere Wachstumsausblick schwächt den zugrundeliegenden Inflationsdruck in der Schweiz, was die Wahrscheinlichkeit einer geldpolitischen Lockerung grundsätzlich erhöht. Die Reaktion des Schweizer Frankens fiel bislang aber verhalten aus. Sollte sich der Franken aufgrund Safe-Haven Zuflüssen stark aufwerten, erwarten wir, dass die SNB mit sporadischen Devisenmarktinterventionen dagegen hält. Die SNB signalisierte zudem Zurückhaltung gegenüber Negativzinsen. Der Abwärtsdruck auf die Inflation kommt vorwiegend aus dem Ausland, insbesondere durch die importierten Energiegüter. Wenn sich der Franken vor allem gegenüber dem Euro ähnlich wie zuletzt stabil verhält, dürfte die importierte Deflation jedoch allmählich auslaufen. Der inländische Inflationsdruck bleibt aber nach wie vor sehr bescheiden. Das derzeitige Umfeld mit gedämpftem Wachstum dürfte bedeuten, dass der zugrunde liegende Preisdruck noch einige Zeit schwach bleiben wird. Der positive Inflationsbeitrag der Mieten begrenzt jedoch das Risiko einer ausgeprägten Deflation im Inland und die stabile Binnennachfrage spricht derzeit nicht für stärkere, breit basierte Preisrückgänge. In der Summe tendiert die Teuerung derzeit zwar um die Nullgrenze, doch Basiseffekte werden in der zweiten Jahreshälfte zu einem Anstieg der Gesamtinflation führen. Die SNB belässt ihren Leitzins deshalb bei 0%.
BAK-ECONOMICS, Claude Maurer: Zinssenkungen bringen wenig. Und auch eine aktive Schwächung des CHF gegenüber dem USD wäre wohl wenig glaubwürdig und daher schwierig zu bewerkstelligen. Besser ist das zielgerichtete Vorgehen mittels Fiskalpolitik, bspw Kurzarbeit.
VALIANT, Renato Flückiger: Der Leitzins ist mit 0.00% bereits sehr expansiv. Wenn sie diesen nun panikartig in den Negativbereich senken würde, wäre dies nicht zielführend und würde auch das Problem nicht lösen. Zumal unklar ist, welcher Zollansatz dann nach den Nachverhandlungen definitiv gelten wird. Und die SNB hat bereits mehrfach betont, dass sie nicht einzelne Bereiche oder Exportsektoren spezifisch unterstützt, sondern das Gesamtinteresse der Schweizer Wirtschaft berücksichtigt. Der Schweizerfranken könnte sich jedoch in der aktuellen Unsicherheit um die Schweizer Konjunktur selber etwas abschwächen. Negativzinsen helfen nicht, die politisch getriebene Zollproblematik zu lösen oder zu mindern.
ODDO-BHF, Arthur Jurus: Die SNB hat bereits reagiert und den Leitzins auf 0% gesenkt. Angesichts einer erwarteten Inflation von nur 0,2% für 2025 und dem durch den Handelskonflikt verursachten Wachstumsrückgang ist eine Rückkehr in den negativen Bereich wahrscheinlich – etwa auf -0,25% im September. Dies würde den Franken abschwächen, den Export stützen und die Kreditvergabe ankurbeln. Es handelt sich eher um eine defensive Anpassung als um eine Notfallmassnahme. Immobilien- und Aktienmärkte könnten davon profitieren.
Welche wirtschaftspolitischen Massnahmen bieten sich an?
MIGROSBANK, Santosh Brivio: Möglichst umfassende Erleichterungen für die betroffenen Branchen (ökologische, juristische, steuerliche Regulierungen, Bürokratie-Abbau, unkomplizierte Kurzarbeit-Regelungen). Zudem muss die Frage zumindest diskutiert werden, ob man auch steuerliche Entlastungen ins Auge fassen möchte: Die OECD-Mindeststeuer nähert sich immer mehr dem Zustand eines zahnlosen Papiertigers an, und die USA machen ja sowieso nicht mit…
BANTLEON, Daniel Hartmann: Wenn es bei den US-Strafzöllen in dieser Grössenordnung bleibt, ist es umso dringender, dass die aktuellen Verhandlungen mit der EU zum Abschluss gebracht werden und sich damit zumindest beim Export in die EU die Perspektiven verbessern. Mit anderen Worten sollte das mit der EU ausgehandelte Abkommen zur Stabilisierung der bilateralen Beziehungen unter Dach und Fach gebracht werden.
BAK-ECONOMICS, Claude Maurer: Kurzarbeit. Freihandelsabkommen. Anrufen WTO.