Frankreichs Premier Bayrou zurückgetreten

Paris – Frankreichs Premier François Bayrou hat nach einer verlorenen Vertrauensfrage den Rücktritt seiner Regierung eingereicht. Bis zur Nominierung eines Nachfolgers werden er und sein Kabinett geschäftsführend im Amt bleiben, hiess es auf der offiziellen Regierungs-Webseite.
Der Élysée-Palast hatte bereits am Montagabend mitgeteilt, Präsident Emmanuel Macron werde Bayrous Rücktritt annehmen. Macron, der über den Fall der Regierung selbst unter Druck gerät, wolle schon in den kommenden Tagen einen Nachfolger von Bayrou ernennen.
Macron in gespaltenem Land vor schwieriger Premier-Suche
Für Staatschef Macron gilt es, einen neuen Premierminister zu finden, der das politisch gespaltene Land führen kann. In der Nationalversammlung stehen sich Macrons Liberale, das linke Lager und die Rechtsnationalen um Marine Le Pen als drei grosse Blöcke gegenüber. Keiner von ihnen verfügt über eine eigene Mehrheit. Das Regieren in lagerübergreifenden Koalitionen ist Frankreich nicht gewohnt. Entsprechend vertrackt ist die Ausgangslage.
Trotz zahlreicher internationaler Krisen wird Macron sich daher nun wohl ein Stück weit von der internationalen Bühne zurückziehen. Für ihn heisst es zunächst: im Eiltempo einen neuen Regierungschef finden, bevor sich die Stimmung innenpolitisch zu sehr aufheizt und er zu sehr in die Schusslinie gerät. Schon am Mittwoch droht grosser Protest in Frankreich, in der kommenden Woche sind Streiks angekündigt.
Theoretisch bliebe Macron auch eine zweite Option: Er könnte die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ausrufen, so wie er das nach der Schlappe seines Mitte-Lagers bei der Europawahl im vergangenen Jahr getan hatte.
Mehrfach hatte der Präsident danach allerdings zu erkennen gegeben, eine erneute Auflösung, wenn irgend möglich, verhindern zu wollen. Auch dass er bereits kurz nach der Vertrauensfrage ankündigen liess, in wenigen Tagen einen neuen Regierungschef zu ernennen, spricht gegen diese Möglichkeit. Sollte die Suche nach einem Premier jedoch nicht gelingen, wäre dies dennoch eine Option, um zu versuchen aus der verfahrenen Lage herauszukommen.
Zwei gescheiterte Premier in kurzer Zeit – Druck auf Macron
Auch wenn Macron als Staatschef nicht direkt vom Regierungsrücktritt betroffen ist, ist der Schritt für ihn ebenfalls eine Schlappe. Mit Bayrou muss bereits der zweite Premier innerhalb eines guten Jahres seinen Posten räumen.
Die Regierung von Michel Barnier war im Dezember von der Opposition mit einem Misstrauensvotum nach nicht einmal drei Monaten im Amt gestürzt worden. Bayrou regierte nur knapp neun Monate. Das Scheitern der beiden schadet auch dem Ansehen von Macron, der den Premier ernennt.
Die Kritik der Opposition am Staatschef dürfte sich noch einmal verstärken. Besonders die Rechtsnationalen um Le Pen wittern eine Chance, ihre Macht im Land auszubauen. Sie drängen auf eine Neuwahl der Nationalversammlung. Die Altlinke LFI will gleich versuchen, Macron abzusetzen und eine vorgezogene Präsidentschaftswahl herbeizuführen. Dass dies gelingt, gilt aber als unwahrscheinlich.
Eigentlich ist die Wahl erst für 2027 vorgesehen. Viele Gemässigte fürchten, dass dieses Mal Marine Le Pen gewinnt, auch wenn wegen eines laufenden Justizverfahrens noch nicht feststeht, ob sie überhaupt wird kandidieren können.
Macron selbst kann nach zwei Amtszeiten 2027 nicht erneut antreten. Der Präsident will unbedingt verhindern, den Élysée an die Rechtsnationalen zu übergeben. Auch er wird das Votum daher im Hinterkopf haben, wenn er entscheidet, wie es in Frankreich nun weitergehen soll.
Verschuldetes Frankreich braucht neuen Haushalt
Ein nicht unbeachtlicher Faktor ist zudem Frankreichs Schuldenlast. Das hochverschuldete Land muss seinen Sparkurs dringend festigen und einen Haushalt für das kommende Jahr verabschieden. Sollte die Hängepartie zu lange anhalten, droht zudem, das Vertrauen an den Märkten zu sinken, was die französischen Finanzen noch stärker belasten würde. Auch in Brüssel schaut man genau auf die Haushaltslage. Die Europäische Kommission hatte bereits im vergangenen Jahr ein Strafverfahren wegen zu hoher Neuverschuldung eingeleitet und befürchtet nun, dass sich die Situation angesichts der politischen Lage weiter zuspitzen könnte. Die Hängepartie könnte für die Eurozone zur Belastung werden.
Wer kann es richten?
Noch ist unklar, auf wen Macron setzen könnte, um Frankreich aus der Krise zu führen. Als aussichtsreichen Kandidaten handeln Medien den Macron nahestehenden Verteidigungsminister Sébastien Lecornu. Auch die Namen von Justizminister Gérald Darmanin, Arbeits- und Gesundheitsministerin Catherine Vautrin oder von Finanz- und Wirtschaftsminister Éric Lombard fielen.
Macron wird wohl versuchen, einen Kandidaten zu finden, der sowohl von den Sozialisten als auch bei den konservativen Républicains akzeptiert wird, um so eine möglichst stabile Regierung zu haben. Ob der Spagat zwischen den sich traditionell gegenüberstehenden Lagern allerdings gelingen kann, bleibt abzuwarten. In Berlin, an das Paris zuletzt wieder enger heranrückte, werden unmittelbare Auswirkungen der innenpolitischen Krise in Frankreich auf die Zusammenarbeit beider Länder nicht erwartet. (awp/mc/ps)