Meret Schneider: Tiefstpreise an den Konsumierenden vorbei
Goldene Zeiten für Sparfüchse – könnte man meinen. Nachdem der Kampf um die günstigsten Preise im Detailhandel zunächst beim Fleisch entbrannte, machte kurz darauf die Preisoffensive von Aldi beim Brot Schlagzeilen: Aldi verkauft neu das Pfünderli zum symbolträchtigen Preis von 99 Rappen – also weniger als einen Franken für 500g Brot. Kurz nach dieser Ankündigung zogen Lidl und Denner nach und auch die Migros liess verlauten, man werde das Halbweiss- und Ruchbrot zu 500g neu für einen Franken verkaufen – was einer Preissenkung von 17% bzw. 13% entspricht. Darauf konnte auch der zweite orange Riese nicht umhin, ebenfalls eine Preissenkung auf einen Franken anzukündigen und so ist das gute alte Pfünderli nun in sämtlichen Grossverteilern zu rund einem Franken erhältlich.
Beim Preiskampf ums Fleisch ist klar: Durch Aktionen und Preissenkungen auf teurere Lebensmittel und Edelstücke werden Kundinnen und Kunden in den Discounter gelockt, die dort den gesamten Wocheneinkauf tätigen, statt bei der Konkurrenz einzukaufen. Fleischaktionen sind sogenannte Frequenzbringer, die dafür sorgen, dass sich Konsumierende für den entsprechenden Detailhändler entscheiden, weil diese Lebensmittel einen grossen Anteil im Haushaltsbudget von Herrn und Frau Schweizer ausmachen. Doch wie sieht es beim Brot aus, das im Zuge der Preissenkungen nicht nur im Wortsinne in aller Munde war? Aldi meint dazu: Brot ist ein wichtiges Grundnahrungsmittel und wir möchten, dass es sich jede und jeder leisten kann.
Soweit, so gut, doch stellt sich in Anbetracht der Haushaltsbudgets die Frage, ob man mit einer Preissenkung ausgerechnet beim ohnehin bereits günstigen Nahrungsmittel Brot tatsächlich etwas für die weniger verdienende Bevölkerung tut – oder nicht viel mehr den psychologischen Effekt des Brotes unter einem Franken dafür nutzt, sich als kostengünstigster Detailhändler zu positionieren. Der Anteil aller Nahrungsmittel am Haushaltsbudget in der Schweiz beträgt durchschnittlich 6.8%, wobei Brot als günstiges Nahrungsmittel einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Kaufkraft hat. Klar ist, dass in einer Situation, in der rund 700’000 Personen (rund 8% der Bevölkerung) in der Schweiz von Armut betroffen sind und ca 14% nur knapp über der Armutsgrenze leben, eine Debatte über Kaufkraft und steigende Preise absolut angebracht ist. Ebenso klar ist jedoch, dass für steigende Lebenshaltungskosten keineswegs die Lebensmittel, sondern viel mehr Mieten, Krankenkassenprämien und Energiekosten verantwortlich sind und die 10 Rappen beim Brot maximal einen psychologischen Effekt nach sich ziehen.
Nicht psychologisch ist dieser Effekt der Brotpreissenkungen jedoch bei einer anderen Bevölkerungsgruppe: Den Bäckerinnen und Bäckern und den Getreidebauern. Während Discounter und Grossverteiler ihre Frequenzbringer-Aktionen oder Preissenkungen wie im Falle der Brotpreise dadurch querfinanzieren können, dass Kundinnen und Kunden im Geschäft nicht nur Brot kaufen, sondern den gesamten Einkauf tätigen und durch das grössere Kundenaufkommen die paar Rappen Einbusse beim Brot kompensiert werden, ist dies beim Handwerksbäcker nicht der Fall. Die Detailhändler machen das Geschäft mit einem Mix: mit Kundinnen und Kunden, die Rabatte jagen, und mit jenen, die nicht strikt nach Einkaufszetteln einkaufen müssen. Einer der Marketing-Tricks: mit Qualität und tiefen Preisen locken, und darauf setzen, dass das eine oder andere Produkt zusätzlich im Warenkorb landet.
Das ist eine Strategie, die für Bäckereien nicht aufgeht. Sie geraten durch die sogenannten Preisoffensiven zunehmend unter Druck. Gleiches gilt für die Produzierenden von Brotgetreide, die durch Preissenkungen zwar noch keine direkten Konsequenzen spüren, sich jedoch in einer Situation der Dumpingpreisstrategie in einer schwachen Verhandlungsposition gegenüber dem Detailhandel befinden. Wäre es den Detailhändlern also tatsächlich ein Anliegen, dass sich künftig «jeder Brot leisten können soll», wie es Aldi formuliert, so wären nicht ein paar Rappen Preisabschlag ein sinnvoller Beitrag dazu. Vielmehr wäre es eine Fairpreisstrategie, die den tatsächlichen Wert des Lebensmittels abbildet, Handwerksbäckereien nicht in Existenznot bringt und Getreidebäuerinnen und -bauern faire Löhne garantiert. Alles andere ist schlicht ein detailhandelsinterner Kampf um den preissensibelsten Sparfuchs.
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