Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Schöllenen statt Winkelried

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Schöllenen statt Winkelried
Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen. (Foto: Raiffeisen)

Gross war die Erleichterung in der Schweiz, als am Freitag, 14. November, die Kunde über eine Einigung im Zollstreit aus den USA eintraf. Die Kuh war damit vom Eis. Nach gut drei Monaten, in denen ein prohibitiv hoher Zollsatz von 39% für einen Grossteil der Schweizer Exporte in die USA galt, dürfte dieser Satz nach Bereinigung der Detailbestimmungen in Kürze auf ein moderateres Niveau von 15% sinken. Dennoch gab es grosse und heftige Kritik aus gewissen Kreisen.

Kapitulation oder Schadensbegrenzung?
Von Kapitulation war die Rede und es stand der Vorwurf im Raum, die Schweiz habe erst gar nicht gekämpft. Ob dies zutrifft, lässt sich kaum verifizieren. Die Schweiz hat wohlweislich im Hintergrund verhandelt und nicht in aller Öffentlichkeit. Denn der amerikanische Präsident reagiert bekanntlich schnell gereizt und schlägt dann mit unverhältnismässigen Mitteln zurück. So geschehen im Fall Kanada, als ein harmloses Video über den Freihandel Donald Trump derart verärgerte, dass er die Zollsätze für kanadische Güter kurzerhand um weitere 10 Prozentpunkte zu den bereits bestehenden 35% erhöhte.

Wunschdenken versus Pragmatismus
Wer von der Schweiz verlangt, sie hätte heroisch kämpfen sollen, verkennt die Realität. Das US-Güterhandelsvolumen ist mehr als zehnmal so gross wie das der stark handelsorientierten, aber kleinen Schweiz. Und gemessen am Bruttoinlandprodukt sind die USA sogar über dreissigmal grösser. Wiederholt vorgeschlagene Vergeltungsmassnahmen wie etwa Importzölle auf amerikanischen Whiskey oder Harley-Davidson-Motorräder wären für die USA kaum mehr als ein Ärgernis, aber sicher kein wirksames Druckmittel und damit auch keine intelligente Verhandlungsstrategie. Die Anerkennung der Realität ist zuweilen bitter, aber ganz gewiss zielführender. Oder würden Sie etwa Mike Tyson einfach eine reinhauen?

Wenn selbst viel mächtigere Handelspartner wie die EU oder Japan klein beigeben und sich dem amerikanischen Druck beugen, wie hätte ausgerechnet die Schweiz einen erfolgreichen Handelskampf führen sollen? Pragmatismus ist gefragt. Genau diesen haben die Unternehmenschefs der Schweiz bei ihrem geschichtsträchtigen Besuch im Oval Office von Trump bewiesen. Auch sie wurden kritisiert. Dabei haben sie nur früher als die offizielle Schweiz realisiert, dass sich die politischen Rahmenbedingungen radikal verändert haben.

Zeit gewinnen
Mit der Übereinkunft gewinnt die Schweiz Zeit. Darin liegt ein Wert per se. Dinge können sich verändern. Wohingegen kein Abkommen geheissen hätte, dass die Zölle weiter Schaden anrichten. Jeder zusätzliche Monat mit prohibitiv hohen Zöllen von 39% bedeutet, dass bei den betroffenen Produkten die US-Nachfrage vermehrt auf andere Güter ausweicht und einige Güterhersteller in existenzielle Probleme geraten. Dass bei einem Zoll-Deal die Zeit für die Schweiz arbeitet, zeigt die Episode mit Brasilien. Verärgert über das Vorgehen der brasilianischen Justiz gegen Ex-Präsident Bolsonaro hat Trump die Zölle für brasilianische Importe im Sommer auf 50% angehoben. Doch per Mitte November hat er jegliche Zölle auf Rindfleisch, Kaffee und verschiedene Früchte aus Brasilien und anderen Ländern wieder aufgehoben, da die gestiegenen Lebensmittelpreise wachsenden Unmut in der amerikanischen Bevölkerung erzeugen und die Zustimmungsraten für den US-Präsidenten in den Keller sinken lassen. Früher oder später wird Donald Trump von seinen eigenen Fehlern eingeholt werden und er wird lernen, dass Zölle nicht die Lösung aller Probleme sind, sondern gleichzeitig neue heraufbeschwören. Die Zeit arbeitet in diesem Sinne für die Schweiz, etwa wenn sich herausstellen sollte, dass die reziproken Zölle widerrechtlich sind.

Kein Schönheitspreis
Verständlich ist der Frust über die offensichtliche Erpressung der Schweiz. Doch es gilt kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht von Emotionen leiten zu lassen. Emotionen sind bei Verhandlungen selten ein guter Ratgeber. Als kleines, exportorientiertes Land hat die Schweiz nun mal die schlechteren Karten. Immerhin reduziert die Schweiz mit dem Zoll-Deal die Belastung für die Exportwirtschaft auf ein Niveau, mit dem diese zurechtkommt. Aufgrund der Zollbefreiung von Pharmaprodukten und vielen Chemikalien beträgt der effektive Zollsatz für die Schweiz sogar «nur» rund 7%, einer der niedrigsten durchschnittlichen US-Zollsätze aller grösseren Volkswirtschaften. Durch die Aufhebung der Importzölle auf Kaffee, der für fast zwei Fünftel der Schweizer Nahrungsmittelexporte verantwortlich ist, dürfte der effektive Zollsatz letztlich sogar noch etwas tiefer liegen.

Schöllenen statt Winkelried
Für die diversen Zugeständnisse und auch die Art und Weise, wie der Deal zustande kam, dürfte die Schweiz gewiss keinen Schönheitspreis gewinnen. Aber das ist sekundär. Die Schweiz hat zu lange eine Politik des Musterknaben verfolgt. Sie hat ohne Not die strengeren Bankenvorschriften Basel III vor gewichtigen Konkurrenz-Finanzplätzen wie USA, EU oder UK umgesetzt, sie hat vorschnell auch die OECD-Mindestbesteuerung eingeführt, bevor klar war, ob diese zum globalen Standard wird. Zwei Drittel der Staaten weltweit haben die OECD-Steuer bis heute nicht umgesetzt. Diese Überkorrektheit hat die eigene Konkurrenzfähigkeit völlig unnötig geschwächt. Von dieser Politik muss sich die Schweiz verabschieden und wieder vermehrt Cleverness in den Vordergrund stellen. Und dazu gehört ganz bestimmt nicht, dass sie im US-Zollstreit den Winkelried spielt. Viel eher sollte sich die Schweiz bei den Versprechungen gegenüber der Regierung Trump an einer anderen Sage orientieren: Die Urner haben nach dem Pakt mit dem Teufel zuerst einen Geissbock über die Teufelsbrücke in der Schöllenen geschickt. (Raiffeisen/mc)

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