BlackRock Marktausblick: Themen fürs letzte Jahresdrittel

BlackRock Marktausblick: Themen fürs letzte Jahresdrittel
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock.

Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock

Während sich für die EZB-Sitzung (Europäische Zentralbank) in der kommenden Woche eine weitere Zinsanhebung abzeichnet, könnte die Fed angesichts der leichten Entspannung am US-Arbeitsmarkt sechs Tage später auf einen solchen Schritt verzichten. Wie dem auch immer sei: Nach mehr als einem Jahr, in dem die Kapitalmärkte mit Argusaugen vor allem auf die Geldpolitik geschaut haben, könnte sich im letzten Drittel dieses Jahres der Fokus verschieben.

Denn ob nun der Zinsgipfel tatsächlich erreicht ist oder an der einen oder anderen Stelle noch eine weitere Anhebung nachgelegt wird, dürfte für den Gesamtblick auf Aktien und Anleihen eher nachrangig sein. Eher schon spielt eine Rolle, dass die Notenbanken wohl länger als ursprünglich erwartet an den höheren Zinsen festhalten werden, Stichwort „higher for longer“ (also „höher für länger“). Aber auch dies dürften die Märkte weitgehend eingepreist haben, so dass der Blick frei wird für die sonst noch relevanten Themen Richtung Jahresende. Vor allem das Wachstum oder konkreter: die relativen Wachstumsperspektiven verschiedener Regionen dürften hier eine Rolle spielen. Ausserdem spricht einiges dafür, dass auch die immer deutlicheren Verschiebungen in der geostrategischen Architektur für die Finanzmärkte Bedeutung erlangen, vor allem wenn es um die relative Attraktivität einzelner Märkte und Regionen geht. Für die DACH-Region schliesslich, und allen voran für Deutschland, dürfte die anstehende kältere Jahreszeit den Blick erneut auf die Versorgungslage und den Preis für Energie lenken.

Ein starker Hinweis auf weitere Zinsschritte erfolgte nicht, wenngleich die US-Notenbank Fed ihren Leitzinsgipfel im Kampf gegen den heftigsten Inflationsschock seit Jahrzehnten möglicherweise noch nicht ganz erklommen haben könnte. Wichtiger noch: Mr. Powell versuchte, wie von uns vermutet, den Fokus von der Höhe der Leitzinsen auf die Dauer ihres Verbleibs zu verlagern. Im Nachgang der Rede verschoben sich die Markterwartungen für eine Senkung des US-Leitzinses auf Juni 2024, einen Monat später als zu Beginn der letzten Woche erwartet. Der Notenbankchef warnte vor einer weiterhin „zu hohen“ Inflation und verlautbare, die Fed beabsichtige, „die Geldpolitik auf einem restriktiven Niveau beizubehalten“, bis der Preisdruck nachlasse bzw. sich die Inflation nachhaltig in Richtung der 2%-Zielmarke bewege. Gleichzeitig signalisierte er, dass die Fed dabei vorsichtig vorgehen werde und wog ab, „zu viel zu tun, könnte der Wirtschaft auch unnötigen Schaden zufügen“.

Der Neustart aus der Covid-Pandemie hat deutliche Wachstumsunterschiede zwischen den USA, Europa und Asien zutage treten lassen. In den Vereinigten Staaten lag der Schwerpunkt auf einer Normalisierung des Konsums von Gütern zurück auf Dienstleistungen, während die aggregierte Nachfrage sich dynamisch aus der Covid-Flaute heraus entwickelt und sogar den Schock der massivsten Zinsanhebungen seit 1980 – zumindest bis dato – ohne dramatischen Wachstumseinbruch oder gar Rezession überstanden hat. Dazu kommt, dass durch expansive Fiskalpolitik, vor allem den Inflation Reduction Act (IRA), die Angebotsbedingungen verbessert und den US-Unternehmen damit, im Wettbewerb mit ihren globalen Pendants, Investitionen erleichtert wurden. In Europa ist im Vergleich die Wachstumsdynamik seit der Pandemie deutlich zurückgeblieben. Gründe hierfür waren die schwächere direkte Unterstützung des privaten Verbrauchs während der Lockdowns sowie der zähere Fluss von Beihilfen für Unternehmen zur Aufrechterhaltung der Investitionstätigkeit. Dazu kam, dass Europa erheblich stärker von dem zweiten exogenen Schock der jüngeren Geschichte, Russlands Invasion in der Ukraine, getroffen wurde. Allein die im Vergleich zu den USA gut doppelt so hohe Belastung mit Energieaufwendungen relativ zum BIP (Bruttoinlandsprodukt) stellte eine erhebliche Wachstumsbremse für europäische Unternehmen dar. Dazu kamen Veränderungen im Welthandel, von denen Europa ebenfalls stärker betroffen ist als die USA. Asien schliesslich, das die Covid-Pandemie als letzte hinter sich liess, hat bisher einen bestenfalls durchwachsenen Neustart hinlegen können und ist, was das Wachstum betrifft, hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Wegen der Bedeutung der Region für die Weltwirtschaft hat dies Rückwirkungen, vor allem für die vom Handel abhängigen Volkswirtschaften Europas. Und mit Blick auf strukturelle Verschiebungen, etwa im Bereich der Bevölkerungsentwicklung, sind perspektivisch weitere Herausforderungen für Ostasien und dessen Handelspartner nicht auszuschliessen. Derartige Veränderungen, die seit dem Frühjahr immer klarer zutage treten, dürften auch an den Finanzmärkten zunehmend Beachtung finden. Eine entscheidende Frage dabei dürfte sein, wie Europa darauf reagiert, dass in den anderen Blöcken der Triade die Fiskalpolitik angesichts unzureichender wirtschaftlicher Dynamit wesentlich pragmatischer agiert. So hat die US-Regierung mit dem IRA nicht nur einen starken Wachstumsimpuls gesetzt, sondern auch die relative Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen gestärkt und damit Europa in Zugzwang gebracht. Von der Bereitschaft zu expansiver Fiskalpolitik in Ostasien ganz zu schweigen. Dagegen scheint auf dem alten Kontinent der Fokus nach wie vor auf einer Rückkehr zu möglichst weitgehender fiskalischer Austerität zu liegen, sei es bei der Rückkehr zu den Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes für die EU insgesamt, sei es bei der Schuldenbremse für Deutschland. Es besteht dadurch die Gefahr, dass eine Region, die schon jetzt im Wachstum deutlich zurückfällt und zudem von strukturellen Veränderungen stärker betroffen wird als andere Teile der Welt, sich mit einer zu sehr auf Sparsamkeit gerichteten Politik selbst schadet. Auch dies dürften Investoren zur Kenntnis nehmen und entsprechend einpreisen.

Energieversorgung im kommenden Winter: zu früh für Entwarnung
Zwar sind die deutschen Gasspeicher aktuell zu gut 94% gefüllt, der Gaspreis mit weniger als einem Viertel des Vorjahrespreises eher entspannt und auch der Verbrauch bis jetzt nahe dem niedrigen Niveau von September 2022, dennoch erscheint es für Entwarnung zu früh. Vergessen wir nicht, dass die jetzige entspannte Versorgungslage den günstigen Ausgangswerten am Ende des letzten Winters zu verdanken ist. Einige wenige Monate deutlich kälterer Temperaturen können das Bild schnell ändern. Und wenn dieser ausklingende Sommer eines gezeigt hat, dann ist es doch die Unberechenbarkeit des Wetters. Anleger sollten also in den kommenden Wochen nicht nur das Börsenbarometer gut im Blick behalten. (BlackRock/mc/ps)

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