BlackRock Marktausblick: Was das neue Marktregime für Langfristinvestoren bedeutet

BlackRock Marktausblick: Was das neue Marktregime für Langfristinvestoren bedeutet
Ann-Katrin Petersen, Senior Investment Strategist bei BlackRock. (Bild: BlackRock)

Von Ann-Katrin Petersen, BlackRock Senior-Kapitalmarktstrategin

Wie jedes Jahr zu Beginn des zweiten Quartals hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seinen umfangreichen Ausblick für die Weltwirtschaft veröffentlicht. Zweifelsohne sind es turbulente Zeiten, vor deren Hintergrund sich vergangene Woche tausende Staatslenker, Notenbanker, Journalisten und Vertreter des Privatsektors zur Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington versammelten. Die geschäftsführende IWF-Direktorin Kristalina Georgiewa erklärte, das Weltwirtschaftswachstum werde auch in den kommenden Jahren „historisch schwach“ ausfallen.

Für das laufende Jahr deutet der jüngste Ausblick, nicht zuletzt infolge des unerbittlichen Kriegs in der Ukraine, auf ein kraftloses Wachstum der Weltwirtschaft bei hartnäckigem unterliegenden Inflationsdruck hin. Dennoch liegt die Konjunkturprognose des Währungsfonds mit einem Zuwachs von 2,8% für das Kalenderjahr 2023 oberhalb der Konsenserwartungen – und spiegelt beispielsweise nicht die von uns erwartete „vorprogrammierte Rezession“ in den USA wider. Dabei ist seit einigen Wochen kaum mehr zu übersehen, dass der zügigste Straffungszyklus der US-Notenbank Fed seit den 1980er Jahren im Kampf gegen primär angebotsseitig getriebene Inflationsrisiken Bremsspuren in der Wirtschaft und Risse im Finanzsystem verursacht. Wenig überraschend rechnet der IWF in einem sogenannten „plausiblen Alternativszenario“ mit einem globalen Wachstum von lediglich 2,5% – es wäre das magerste seit 22 Jahren, ungeachtet der Jahre 2009 (globalen Finanzkrise) und 2020 (Ausbruch der Corona-Pandemie).

Die Quintessenz: Die Unsicherheit bleibt in einer insgesamt unbeständigen Grosswetterlage erhöht. Insgesamt überwiegen derzeit die Abwärtsrisiken für die Weltkonjunktur – sei es, so der IWF, in Form einer hartnäckiger als erwartet ausfallenden Inflation, die die Notenbankwelt zu einer noch strafferen Ausrichtung der Geldpolitik zwingen könnte, verschärften Finanzierungsbedingen und geoökonomischer Blockbildung als Stolpersteinen für die Investitionstätigkeit der Unternehmen oder in Form von wieder aufflammenden Verwerfungen im Banken- und Finanzsektor. Doch bestehen auch Chancen, dass es besser kommt als befürchtet. So ist eine sich verselbständigende Lohn-Preis-Spirale bislang ausgeblieben. Aufwärtsrisiken lägen, so der IWF, darüber hinaus in einer kräftigeren Erholung des Welthandels und nachlassenden Lieferkettenstörungen im Zusammenhang mit dem Ende der Corona-Lockdownmassnahmen in Ostasien.

Neues Regime, neuer Ansatz
Ungeachtet der für Investoren relevanten Fragestellung, ob in der kürzeren Frist Abwärts- oder Aufwärtsrisiken die Oberhand behalten, ist in einer Welt, in der Angebotsfaktoren und Produktionshemmnisse eine massgebliche Rolle spielen – sei es im Zusammenhang mit einer Neuverkabelung des Welthandels und geoökonomischen Blockbildung, einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung oder der grünen Transformation der Wirtschaft – unseres Erachtens auch weiterhin mit erhöhter Makro- und Marktvolatilität zu rechnen.

Was bedeutet diese unbeständigere Grosswetterlage für einen strategischen, mehrjährigen Kapitalanlagehorizont? Wir glauben, dass auch langfristig ausgerichtete Portfolios in diesem neuen, schwankungsreicheren Regime flexibler ausgestaltet sein müssen – und das erfordert einen neuen Ansatz für die Portfoliokonstruktion als während der vier Jahrzehnte langen Ära der „Great Moderation“ (Grosse Moderation).

Knapp umschrieben sah der traditionelle Ansatz vieler Langfristinvestoren langfristige Staatsobligationen vor, um den Ausverkauf von Risikoanlagen abzufedern, konzentrierte sich auf breite Anlageblöcke an den börsennotierten Aktien- und Obligationenmärkten und stützte sich auf eine strategische Vermögensallokationen (SAA) nach dem Motto „festlegen und vergessen“. Dieser Ansatz wurde während der „Great Moderation“ aufgebaut, in der vergleichsweise wenig schwankungsreiche Konjunktur- und Inflationsdaten einen anhaltenden Bullenmarkt für börsennotierte Aktien und festverzinsliche Wertpapiere förderten. Diese Ära ist unseres Erachtens vorbei – und deshalb ist es unserer Ansicht nach unwahrscheinlich, dass der traditionelle Ansatz, der darauf abzielt, unter den Bedingungen zu funktionieren, die die Grosse Moderation definiert haben, im neuen Regime zu funktionieren.

Die jüngste Debatte über den Portfolioaufbau hat die Frage aufgeworfen, ob das 60/40-Portfolio – bei dem 60% des Portfolios auf börsennotierte Aktien und die restlichen 40% auf festverzinsliche Wertpapiere entfallen – die richtige Allokation in diesem volatileren Umfeld ist. Wir denken, dass es in der Debatte nicht um den genauen Anlagemix geht, sondern vielmehr um die Portfoliokonstruktionstechniken.

In der Praxis sehen wir drei Implikationen für ganzheitlich und langfristig ausgerichtete Portfolios:

  • Erstens glauben wir, dass längerfristig höhere Zinssätze zu einer Renaissance der Rolle von „Income“ – der Einkommensseite im Portfolio – führen. Innerhalb des Obligationensegments bevorzugen wir auch in strategischer Hinsicht kurzfristige vor langfristigen nominalen Staatsobligationen, halten bonitätsstarke Unternehmensobligationen für attraktiv und bleiben bei inflationsgeschützten Obligationen übergewichtet.
  • In Bezug auf das Anlageuniversum glauben wir zweitens, dass breite, blockartige Allokationen in börsennotierten Aktien und Obligationenindizes die Wertentwicklung und Widerstandsfähigkeit von Portfolios einschränken können. Je nach Risikoprofil sollten Anleger mit einem langfristigen Investmenthorizont erwägen, granulare strategische Positionen – über Sektoren hinweg, aber auch unter Hinzunahme von nicht börsennotierten Privatmarktanlagen – als Bausteine für ihre Portfolios hinzuzuziehen, um sie gegenüber dem neuen Regime widerstandsfähiger zu gestalten.
  • Und drittens sollten Anleger unseres Erachtens häufiger einen Blick ins Depot werfen. Der „Dornröschenschlaf“-Ansatz der traditionellen Portfoliokonstruktion („festlegen und vergessen“) passt unserer Meinung nach nicht zu einer volatileren Welt. Eine dynamischere und flexiblere Handhabung ist vielmehr das Gebot der Stunde.

(BlackRock/mc/ps)

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