BlackRock Marktausblick: Zinswende 2024 – eine Fata Morgana?

BlackRock Marktausblick: Zinswende 2024 – eine Fata Morgana?
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock. (Foto: zvg)

Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock

Die Erwartung kräftiger Zinssenkungen seitens US-Notenbank Fed und Europäischer Zentralbank EZB war der entscheidende Treiber der bemerkenswerten Jahresendrally 2023 gewesen. Und hatte der Beginn des neuen Jahres doch mit aufkommender Skepsis bei vielen Marktteilnehmern Wasser in diesen Wein gegossen, so scheint inzwischen diese kurze Verirrung in trübe Gedanken weitgehend abgeschüttelt und der Blick auf die verbleibenden elf Monate des Jahres wieder ein rundum erfreulicher zu sein.

Um anderthalb Prozent liegen globale Aktenpreise wieder im Plus, und trotz der eher holprig gestarteten Berichtssaison für das Schlussquartal 2023 verheissen die Ausblicke der meisten Investmenthäuser Jahresergebnisse für die grossen Aktienindizes im solide einstelligen bis niedrig zweistelligen Prozentbereich (Quelle: Refinitiv, 29.01.2024). Das erscheint, angesichts ökonomischer und (geo)-politischer Unsicherheiten sowie der Tatsache, dass wir geradewegs aus einem sehr starken Aktienjahr kommen, einmal mehr als Ausdruck eines unerschütterlichen Optimismus. Dieser speist sich weiterhin vor allem aus der Annahme, die Zentralbanken würden angesichts fallender Inflationszahlen im Jahresverlauf die Geldpolitik spürbar lockern. Grund genug also, einmal genauer hinzuschauen.

Für Fed und EZB preisen die Zinsmärkte jeweils bis zu 150 Basispunkte Senkungen bis zum Jahresende ein. Das entspricht, unterstellen wir moderate Schritte von jeweils 0,25 Prozentpunkten, bis zu sechs Terminen, um diese Lockerung zu liefern. Zumindest für die EZB würde dies mit genau fünf Sitzungen einigermassen passen, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Bank im Juni mit den Zinssenkungen beginnt. In der vergangenen Woche hat Christine Lagarde genau dies nicht ausgeschlossen, einen entsprechenden Schritt aber von der weiteren Entwicklung der Lohndynamik sowie der Inflationserwartungen abhängig gemacht.

In der Pressekonferenz gefragt, ob Juni ein realistischer Termin für die erste Zinssenkung sei, antwortete die EZB-Präsidentin sibyllinisch: Diesbezügliche Entscheidungen würden datenabhängig, nicht datumsabhängig, getroffen. Und weil keineswegs ausgemacht ist, dass die Lohndynamik ebenso schnell nachlässt wie die gesamte, von Energiepreisen verzerrte Inflationsrate – Stichwort Arbeitskräftemangel – könnte sich die EZB hier einen passenden Grund zurechtgelegt haben, künftige Zinsentscheidungen nicht primär mit Blick auf die aktuelle Preisentwicklung, sondern vielmehr auf tiefer liegende Parameter wie eben die Lohnentwicklung zu richten. Auch hier haben wir schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die EZB angesichts ihrer bisherigen Betonung der Headline-Inflation in ein Kommunikationsdilemma geraten könnte, wenn ebendiese Headline-Inflation aufgrund von Basiseffekten stark fällt und die Notenbank damit in Sachen Zinssenkungen zur Getriebenen wird.

Durch den Fokus auf die Lohnentwicklung hat Lagarde nun elegant den Bogen zu weniger schwankungsanfälligen Daten geschlagen und damit die Chance erhöht, dass Marktteilnehmer ihre Zinserwartungen von Autopilot auf manuelle, datenorientierte Steuerung zurückstellen. Unterm Strich scheint angesichts der nachlassenden Inflation und der Schwäche der Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone ein Zinspfad wie jener, den die Märkte derzeit einpreisen, keineswegs ausgeschlossen. Die jüngste Abschwächung des Euro gegenüber dem US-Dollar, auch und gerade nach der EZB-Pressekonferenz, scheint zu bestätigen, dass viele Marktteilnehmer dies ähnlich sehen.

Die Inflationsentwicklung bleibt natürlich dennoch der Dreh- und Angelpunkt anstehender Zentralbankentscheidungen. Auch in den USA dürfte diesbezüglich in der vergangenen Woche eine wichtige Hürde genommen worden sein. Denn der Kerndeflator der persönliche Konsumausgaben (core PCE, Personal Consumption Expenditure) sank unter die wichtige 3%-Marke. Allerdings ist die Kerninflation in den USA weniger von Energiepreisen beeinflusst als in Europa (schon weil in den USA im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur halb so viel für Energie ausgegeben wird wie in Europa), dafür aber von eher trägen Komponenten wie Löhnen und der sogenannten „shelter component“, also den Kosten selbst genutzten Wohnraums.

Und da knappe Arbeit sich auch jenseits des Atlantiks in robusten Lohnsteigerungen niederschlägt und die Preise für Wohnimmobilien ihre Talsohle durchschritten zu haben scheinen, dürfte ein weiterer kräftiger Rückgang von core PCE Richtung 2%-Marke alles andere als ausgemacht sein. Vor diesem Hintergrund erscheint sowohl der in den Fed Funds Futures abgebildete Zeitpunkt der ersten Fed-Zinssenkung (ein Schritt um mindestens 25 Basispunkte schon am 1. Mai ist zu über 90% eingepreist) als auch der Umfang für das Gesamtjahr (80% Wahrscheinlichkeit für Senkungen von mindestens 100 Basispunkten bis Dezember) ambitioniert (Quelle: CME Group, 29.01.2024).

Für die Fed geht es um alles

Und noch etwas könnte die Entscheidung vor allem der Fed in diesem Jahr deutlich stärker beeinflussen als in der Vergangenheit: die anstehende Präsidentschaftswahl. Dieser Faktor wird nach meinem Eindruck in Publikationen zum Zinsausblick 2024 erstaunlich selten thematisiert. Die Frage aber, inwieweit sich die Fed in einem zunehmend aufgeheizten politischen Klima dem Vorwurf aussetzen möchte, die bisherige Regierung im Wahlkampf durch eine Zinssenkung unterstützen zu wollen, erscheint allemal berechtigt. Es ist durchaus nicht auszuschliessen, dass die Fed die eine oder andere ins Auge gefasste Zinssenkung noch einmal überdenkt.

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