BlackRock Marktausblick: Warten auf den Realitätscheck

BlackRock Marktausblick: Warten auf den Realitätscheck
Ann-Katrin Petersen, Chief Investment Strategist bei BlackRock. (Bild: BlackRock)

Von Ann-Katrin Petersen, Senior Investment Strategist bei BlackRock

Der Jahresauftakt 2024 an den Kapitalmärkten ist durchwachsen ausgefallen, wohlgemerkt nach einem bemerkenswert versöhnlichen Abschluss für das schwankungsreiche Börsenjahr 2023. Die Jahresendrallye war massgeblich durch einen ausgeprägten Zinssenkungsoptimismus befeuert worden. Gestützt durch fortgesetzt rückläufige Inflationsraten waren die Renditen von Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten seit Oktober deutlich gesunken. Nach Lage der Dinge dürfte 2024 als Jahr der geldpolitischen Zinswende in die jüngere Geschichte eingehen. Doch erwarten wir keine Rückkehr in die Welt, wie wir sie vor Ausbruch der Pandemie kannten und bevorzugen bei unserer taktischen Anlageallokation nach wie vor einen selektiveren Ansatz.

Hoffnungen auf eine „weiche Landung“ beflügeln den Markt

Die Aktienmärkte – und offenkundig sogar die US-Notenbank Fed – haben sich weitgehend auf das Narrativ einer „weichen Landung“ („Soft Landing“) der Volkswirtschaft eingelassen. Wir glauben, die beste aller Welten scheint zum Greifen nahe, wonach die US-amerikanische Verbraucherpreisinflation ohne Rezession auf die 2%-Preisstabilitätsmarke der Fed sinkt (Quelle: LSEG, Dezember 2023).

Zur Erinnerung: Noch vor einem Jahr lautete ein gängiges Narrativ gerade unter Ökonomen, dass die Teuerung in den USA und im Euroraum nur dann rasch in Richtung 2% zurückkehren könne, wenn sich die Konjunktur spürbar abkühlt und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage schrumpft. Zudem wurde, nicht zuletzt aus Zentralbankkreisen, die Sorge hervorgebracht, die letzte Meile der Inflationsbekämpfung sei die schwerste. Inzwischen scheint der Marktkonsens zu schlussfolgern, dass beide Einschätzungen irrtümlich gewesen sind.

In der Tat wurden erhebliche Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung erzielt, während quasi weiter Vollbeschäftigung herrscht. Wie in den ersten beiden Januarwochen vermeldet, verlangsamte sich das US-Beschäftigungswachstum im November 2023, bleibt aber angesichts des fortgesetzt knappen Arbeitskräfteangebots immer noch zu stark, bei einer Arbeitslosenquote von lediglich 3,7% (Quelle: Refinitiv Datastream). Im Euroraum lag die Arbeitslosigkeit bei rekordtiefen 6,4%. Das Beschäftigungswachstum bleibt positiv – obwohl die Wirtschaftsaktivität seit fünf Quartalen de facto stagniert (Quelle: LSEG, Dezember 2023).

Wir sind zwar ebenfalls der Meinung, dass die US-Gesamtinflation in diesem Jahr nahe bei 2% liegen wird – ähnliches gilt für den Euroraum – was das Börsennarrativ eines „Soft Landing“ vorerst stützen dürfte. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns in einer strukturell anderen Welt mit hartnäckig hohem unterliegenden Kostendruck bewegen, was mittelfristig wieder deutlicher zum Vorschein kommen könnte. Aus den jüngsten Inflations- und Arbeitsmarktdaten abzuleiten, man könne als Zentralbank komplett den Krisenmodus abschütteln, erscheint aus unserer Sicht gewagt. Mit anderen Worten besteht kein unmittelbarer Handlungsdruck, die Zinswende schnellstmöglich einzuläuten.

So suggerieren die jüngsten Inflationsdaten in den USA neben fallenden Güterpreisen nämlich auch, dass die Teuerung aufgrund struktureller Kräfte, etwa in Form der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und damit einhergehendem Lohndruck und der geopolitischen Fragmentierung, im Jahr 2025 wahrscheinlich wieder in die Nähe von 3% ansteigen wird. Dies könnte die Fed trotz der sich abzeichnende Zinswende fortgesetzt zu einer straff ausgerichteten Geldpolitik zwingen

In Deutschland und im Euroraum wiederum ist der Inflationsanstieg rund um den Jahreswechsel auf Sonderfaktoren zurückzuführen, darunter die Erstattung die Erhöhung der CO2-Abgabe und die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes in der Gastronomie auf 19%. Ab Februar dürfte die Preisdynamik wieder abnehmen, und in den kommenden Monaten durchaus die 2%-Zielmarke vorübergehend unterschreiten, da die Auswirkungen des Energieschocks nachlassen. Gleichzeitig bleibt in den Frankfurter Türmen der Europäischen Zentralbank (EZB) die Tonart angesichts des nach wie vor hohen Lohnwachstums vorsichtig, wenngleich zuletzt eine subtile kommunikative Verschiebung von „viel zu früh, um über Zinssenkungen zu diskutieren“ im November und Dezember hin zu einem ausgewogeneren Ton zu vernehmen war, der mehr Gewicht auf die Datenabhängigkeit bei der geldpolitischen Kurssteuerung legt.

In Summe ist an ein baldiges Zurückrutschen ins Tal der Niedrigzinsen wohl kaum zu denken, selbst wenn der Zeitpunkt für den ersten Zinsschritt näher rückt. Vielmehr erscheint der Zinssenkungsspielraum der Fed und EZB im neuen Marktregime begrenzt.

Zwar haben die Märkte seit Jahresbeginn etwa 25 Basispunkte an Senkungen ausgepreist, doch der Zinsoptimismus bleibt. Die Herausforderung für Investoren liegt nun aus unserer Sicht darin, ein Umfeld zu navigieren, in dem die Inflation nicht dauerhaft nahe der Preisstabilitätsmarken verharrt. Wenn dieses Risiko deutlicher zum Vorschein kommt, könnte die derzeitige Zuversicht unter Börsianern, die trotz des durchwachsenen Jahresstarts weiter klar auszumachen ist, in Frage gestellt werden. Augenmerk bleibt angebracht.

Gewinnberichtssaison unter der Lupe

Dabei erwarten wir in diesem Jahr nach der vornehmlich bewertungsseitig getriebenen Rally im Jahr 2023 einen stärkeren Fokus auf die Gewinnentwicklung der Unternehmen. Im Rahmen der angelaufenen Berichtssaison für das vierte Quartal 2023 werden die Unternehmen dies- und jenseits des Atlantiks erwartungsgemäss nochmals solide Quartalszahlen vorlegen. Doch sind die Aktienkurse bereits im Vorfeld spürbar gestiegen. Mit anderen Worten ist in den Kursen bereits viel Zuversicht vorweggenommen.

Wie viel Rückenwind ist also von einer soliden Gewinnsaison zu erwarten? Unseres Erachtens sollten die vorgelegten Zahlenwerke vor allem mehr Klarheit liefern, wie sich die Ausblicke der Unternehmenslenker für das neue Jahr gestalten. Nachdem die Konsensschätzungen für US-Aktien bereits im letzten Jahr angestiegen sind und laut Analyseanbieter LSEG in den nächsten zwölf Monaten ein Gewinnwachstum von bis zu 11% erwartet wird, lässt sich eine gewisse Fallhöhe angesichts der zu erwartenden Konjunkturverlangsamung nicht leugnen.

Bis zum aktuellen Rand haben sich die Gewinnmargen in den USA und im Euroraum erstaunlich gut gehalten. Denn die Unternehmen gaben im Durchschnitt höhere Kosten an die Verbraucher weiter und nahmen gleichzeitig Kostensenkungen vor. Wir gehen davon aus, dass sich die Margen im Laufe der Zeit normalisieren. Der Druck durch höhere Zinssätze und damit Finanzierungskosten, anhaltende Lohnzuwächse und eine niedrigere, wenn auch immer noch über dem Ziel liegende Inflation sollte erfahrungsgemäss nicht spurlos an den Gewinnen der Unternehmen vorbeigehen.

Was bedeutet das für Anleger?

Für Investoren scheint aktuell zu gelten, die Feste so zu feiern wie sie fallen. Damit ist einerseits gemeint, dass die mittelfristige Inflationsentwicklung und die damit zu erwartende Notenbankreaktion angesichts zuweilen durchaus ambitionierter Bewertungen perspektivisch den Gegenwind für die Börsen erhöhen sollten. Bewertungen spielen jedoch vor allem für die langfristige Wertentwicklung eine Rolle – weniger auf Sicht von einem Jahr. Kurzfristig, beziehungsweise solange die Inflation noch nicht wieder aufflammt, ist es andererseits durchaus möglich, dass sich das gegenwärtige positive Sentiment in weiter steigende Kurse von Risikoaktiva übersetzt. Solange das „Soft Landing“-Narrativ aus zunächst nachvollziehbaren Gründen verfängt, können Aktien durchaus weiter laufen und für einen gelungenen Start in das Jahr 2024 sorgen. Je stärker jedoch das Risiko einer letztlich doch hartnäckigeren Inflation im Laufe des Jahres sichtbar wird, desto ungemütlicher dürfte das Fahrwasser an den Börsen werden.

Wir bleiben dementsprechend bei Industrieländeraktien nach wie vor wählerisch. Taktisch, d.h. auf Sicht der kommenden sechs bis zwölf Monate, bevorzugen wir Japan, den Technologie-Sektor, das Investmentthema Künstliche Intelligenz (KI) und Qualitätstitel insgesamt, da sie sich voraussichtlich widerstandsfähiger gegenüber einer Veränderung des Marktgeschehens entpuppen werden. (BlackRock/mc/ps)

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