Die Lektion am Gotthard: Werte schaffen statt Geld

Die Lektion am Gotthard: Werte schaffen statt Geld

(Foto: gottardo2016.ch)

Reisen bildet, oder verändert zumindest kurzfristig die Perspektive. Wer sich die Zeugnisse vergangener Hochkulturen, zum Beispiel im heutigen Frankreich oder Spanien anschaut, findet zwangsläufig auch Erhellendes zum heutigen Zustand Europas und zur Bedeutung des Gotthardtunnels.

Von Helmuth Fuchs, zur Zeit unterwegs in Spanien

Europa, als Paradebeispiel für eine Jahrhunderte andauernde Entwicklung zum Besseren, tut sich schwer. Nicht spezifisch mit einer komplexen Frage, sondern mit sich selbst und allen anderen. Eine Wirtschaft, die sich einseitig auf den Finanzsektor und die finanziell Erfolgreichen ausgerichtet hat und eine Politik, die sich zunehmend der Klientenbewirtschaftung hingibt und die Gestaltungskraft verliert, sind die sichtbarsten Zeichen.

Nur wer Grosses leistet, kann Grosses hinterlassen
Mit Staunen und Bewunderung schaut Europa gerade auf die kleine Schweiz, die als Willensnation zum wiederholten Mal ein Gebirgsmassiv nach jahrelanger Arbeit und mit Milliarden an Investitionen zentimetergenau durchlöchert hat. Eine Leistung, die vielleicht auch in zweitausend Jahren ähnliche Demut bei den Betrachtern hervorruft wie die grandiosen Tempel- und Vergnügungsanlagen der Römer bei uns. Ingenieure, Mineure und Bauleiter haben Grosses geleistet, das Volk hatte die Weitsicht, die Mittel zu genehmigen.

Wer Grosses hinterlassen will, muss zuerst solches leisten. Die meisten heutigen Milliardäre und Millionäre sind aber offenbar wenig inspiriert über das eigentliche Geldverdienen hinaus. Und genau hier liegt eine der Ursachen für die heutige Misere Europas. In den letzten drei Jahrzenten hat eine fast ausschliessliche Reduktion des Erfolges auf die finanzielle Sicht stattgefunden. Es wurde erstrebenswerter, Bankmanager zu werden als Ingenieur, Lehrer, Künstler, Schriftsteller, Erfinder, Unternehmer oder Astronaut. Die Werteverschiebung ging einher mit einer Machtverschiebung. Nicht mehr die Bürger und Politiker bestimmen die Geschicke eines Staates, sondern zunehmend die Zentral- und Staatsbanken, Fondsmanager und Finanzkommissionen. Dabei geht es fast nur um sehr partikuläre oder egoistische Ziele, aber fast nie um möglichst grossen Wohlstand für viele.

Geld alleine ist kein Wert
Waren früher Finanzen ein Mittel, um Unternehmen zu finanzieren und staatliche Visionen umzusetzen, ist der finanzielle Zustand heute schon oft der einzige Zweck und Massstab eines Unternehmens. Das eröffnet finanziell potenten Unternehmen, Staaten und Personen fast unbeschränkte Möglichkeiten, allen andern (und das ist die grosse Mehrheit): Nicht mehr viel. Die Digitalisierung wird in Kombination mit der Globalisierung die «the winner takes it all»-Mentalität noch verstärken. Das ist im eigentlichen Sinne undemokratisch, da in einer Demokratie die Mehrheit von Fortschritt und Wohlstand profitieren sollte, nicht nur wenige Glückliche.

Fokus auf die Möglichkeiten des Geldes, nicht das Geld
Wer mit Geld nur Geld erschafft, schafft keinen Fortschritt. In diesem Sinne muss für eine Veränderung zum Besseren unternehmerische Leistung, der Wille zur Gestaltung wieder in den Vordergrund rücken. Finanz- und Vermögenstransaktionen, die nur dazu dienen, mehr Vermögen ohne eine volkswirtschaftliche Leistung oder einen gemeinschaftlichen Nutzen zu stiften, sollten signifikant besteuert werden. Dafür sollten Arbeit, Innovationen und Investitionen steuerlich entlastet oder befreit werden.

Wir bewundern Leistungen, nicht Kontostände
Auch hier leistet die Schweiz mit der Abstimmung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen oder der nächsten Steuerreform Beiträge zur europäischen Entwicklung. Zwar noch nicht so bleibend wie die Gotthardröhre, aber nicht minder wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Perspektiven der kommenden Generationen.

Wenn wir heute die Werke der Römer oder die Leistungen der Renaissance-Künstler bestaunen, bewundern wir deren Gestaltungskraft, nicht deren Kontostand. Zeit für uns also, die Macht von den Banken und Bankmanagern wieder ein wenig mehr auf die Unternehmer, Gestalter und visionären Politiker zu verschieben. So hinterlassen wir mehr als Spreadsheets und Bilanzen und können auch zukünftige Generationen zum Staunen bringen.

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