Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Modern Times 2.0

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Modern Times 2.0
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Wer kennt nicht Charlie Chaplin und den von ihm geschaffenen Spielfilm „Modern Times“ der am 5. Februar 1936 uraufgeführt wurde? Achtzig Jahre ist es her, dass der unerreichte Komiker seine Version des technischen Fortschritts in Form der Fliessbandfertigung präsentierte – geprägt auch von der Massenarbeitslosigkeit als Folge der grossen Depression. Auch heute leben wir in modernen Zeiten. Und der Glaube an die Grenzenlosigkeit der Technologie ist grösser denn je.

Es gab allerdings auch kaum eine Generation in der jüngeren Menschheitsgeschichte, die nicht glaubte, dass heute alles anders ist als früher. Ob auch besser, sei dahingestellt, denn nicht viele sprechen auch heute noch von guten alten Zeiten, wobei sie ausser Acht lassen, dass alle die guten alten Zeiten meist auch einmal schlechte neue waren. Charlie der Tramp ist eine witzige Figur und die Handlung ebenso. So überspitzt sie sein mag, birgt sie doch eine gehörige Portion Realität in sich. Der Masse der arbeitenden Ameisen stehen wenige Bosse gegenüber, die in ihrem Büro mehr oder wenig „produktiven“ Tätigkeiten nachgehen.

Charlie’s Boss etwa spielte alles andere als geschickt Puzzle, hält sich für unverzichtbar, sieht sich dabei als Visionär und ist streng fortschrittsgläubig. In Tat und Wahrheit ist er aber in hohem Grade gelangweilt und dazu ausgesprochen dekadent. Und von Technik hat er keine Ahnung, ist aber ein glühender Fan davon. Das erinnert fast an Fussball, wo es von Experten nur so wimmelt. Nur leider sind Fabrikhallen keine Wettkampfarenen und in den USA gibt es immer weniger davon.

Das neue moderne Jahrtausend
Das alles spielte im letzten Jahrtausend, ist also zumindest gefühlt – sehr, sehr lange her. Eine grosse Depression wie im letzten Jahrhundert hat sich seitdem nicht mehr ereignet, wenn man eine solche an der Arbeitslosigkeit (in den USA) misst. Dafür häufen sich Finanzkrisen und mit ihnen Schulden und die machen mittlerweile auch ganz schön depressiv. Allein drei Crashs an den Finanzmärkten ereigneten sich schon im erst so jungen Jahrtausend. Nur sieben Jahre nach dem Platzen der Dotcomblase kam es zur Subprime Krise in den USA und vier Jahre später zur Euroschuldenkrise. Nur kurz darauf stand deren Neuauflage an, die dann mit dem „whatever it takes“ Mario Draghis auch nur vermeintlich verbannt wurde. Die heutigen Modern Times sind vor allem Zeiten der Rettungshilfen. Unter Fortschritt verstehe ich etwas anderes.

Gerettet wird vor allem, was gross ist, Fluglinien, Automobilhersteller, ja sogar Staaten, aber vor allem und immer wieder Banken. Banken gelten gemeinhin als Herd der Ansteckung. Darüber sind sich eigentlich alle einig, genauso wie darüber, dass Grösse volkswirtschaftlich gefährlich sein kann, verkörpert sie doch Marktmacht, die leider häufig auch missbraucht wird. To big to fail ist zwar kein bankenspezifisches Phänomen, aber leider sind die Banken noch immer der Puls der Wirtschaft, dessen Frequenz an den Casinos dieser Welt – den Börsen – gemessen wird.

Null Fortschritt
Und es geht weiter wie bisher. Aktuell sind es die italienischen Banken, die gemäss erfahrenen Experten – auch hierzulande – gerettet werden müssen. Die griechischen Banken „mussten“ bekanntlich wiederholt gerettet werden. Die Argumentation ist stets dieselbe. Werden die angeschlagenen Finanzhäuser nicht gerettet oder auf Finanzlatein rekapitalisiert, droht Ansteckungsgefahr rund um den Globus, weil die Verflechtungen in der Branche höchstkomplex, gleichzeitig aber auch ziemlich intransparent sind. Eine tiefe Rezession, Massenarbeitslosigkeit und alles was damit zusammenhängt, drohen. Das will natürlich kein Politiker (verantworten). Dann lieber nochmal retten – den eigenen Kopf gleich mit.

In der heutigen modernen Zeit ist es uns nicht gelungen, diese gefährliche Konstellation zu entflechten. Natürlich ist es nicht im Sinne der Finanzbranche, daran etwas zu ändern, solange die Verluste der Allgemeinheit angelastet werden können und Gewinne privatisiert werden – ein verheerender Automatismus. Etwas mehr Fortschritt wäre da schon wünschenswert in der heutigen modernen Zeit. Es muss ja nicht ganz so weit gehen wie in Charlies Chaplins „Modern Times“. Die automatische Fütterung misslingt auch dort.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

Raiffeisen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert