Martin Durchschlag, CEO HIAG Immobilien AG

Martin Durchschlag, CEO HIAG Immobilien AG
Martin Durchschlag, CEO HIAG Immobilien AG. (Foto: HIAG)

Martin Durchschlag, CEO HIAG Immobilien AG. (Foto: HIAG)

von Robert Jakob

Moneycab.com: Herr Durchschlag, „Verdichtung“ ist das Motto der nächsten Jahrzehnte im Schweizer Bau. Das verdanken wir der Zuwanderung. Wieviel Quadratmeter Wohnraum können wir uns pro Einwohner noch leisten?

Martin Durchschlag: Verdichtung bedeutet primär die effiziente Nutzung der beschränkten Ressource Boden. Ehemals industriell genutzte Areale weisen oft eine sehr hohe Dichte auf und sind in Bezug auf Infrastruktur und Verkehrsträger sehr gut an die wirtschaftlichen Zentren angebunden. Dort setzen wir an, indem wir diese Flächen auf einen neuen Nutzungszyklus ausrichten und für einen neuen Nutzungsmix nachverdichten. Gegenüber Nachverdichtung herrscht auch in der Bevölkerung eine relative hohe Akzeptanz.

Nachhaltiges Bauen schont auch die Ressource Raum für zukünftige Generationen. Haben Sie schon Anfragen von Nachhaltigkeitsfonds, die bei Ihnen ein Audit durchführen wollen?

Wo wir uns in unserem Geschäftsmodell wesentlich vom Markt unterscheiden ist, dass wir grossflächige Areale, also Quartiere entwickeln und unsere Entwicklungen nicht verkaufen, sondern langfristig Eigentümer bleiben. Durch die städteplanerische Verknüpfung von mehreren Projekten kommen wir zu ganz anderen Lösungen als eine Mehrzahl an Eigentümern untereinander aushandeln müssten. Da wir keinen raschen Exit suchen, haben wir keinen Interessenkonflikt zwischen höheren Investitionskosten und effizienterem Betrieb, sondern denken immer über den gesamten Nutzungszyklus. Solche Aspekte finden kaum Platz in den Nachhaltigkeitschecklisten, obwohl die Potenziale hier wesentlich höher sind als beim Bauwerk selbst. Was zudem stets unterschätzt wird ist der Fortschritt. Neue Materialien und Techniken führen zu Lösungen, die im Gesamtblick effizienter sind, aber noch nicht in die Nachhaltigkeitschecklisten eingeflossen sind. Daher entstehen auch laufend neue Labels und die Auditindustrie blüht. Viel wichtiger als das Thema Nachhaltigkeit bürokratisch zu bewirtschaften ist uns, dass wir die Grundwerte der Nachhaltigkeit auf jeder Ebene im Unternehmen bei jeder Entscheidung mitbedenken.

«Wo wir uns in unserem Geschäftsmodell wesentlich vom Markt unterscheiden ist, dass wir grossflächige Areale, also Quartiere entwickeln und unsere Entwicklungen nicht verkaufen, sondern langfristig Eigentümer bleiben.» Martin Durchschlag, CEO HIAG Immobilien AG

In den von Ihnen entwickelten Industriearealen vermieten Sie sehr viele Lofts. Meinen Sie nicht, dass dieser Wohntrend sich bald einmal totgelaufen hat?

Im Moment vermieten wir nur Loftbüros, keine Wohnlofts. Die Lofts entstehen zumeist in denkmalgeschützten Spinnereibauten, die aufgrund ihrer grossen Fensterflächen und hohen Raumhöhen ein ganz besonderes Flair ausstrahlen. Dass sich nach eineinhalb Jahrhunderten die Gebäude mit verhältnismässig vertretbaren Eingriffen in hochqualitative Büro und Wohnräume umnutzen lassen zeigt wie nachhaltig man damals geplant hat. In Windisch erreichen wir bei den Wohnlofts, die wir im Edelrohbau zum Kauf anbieten, praktisch Minergiedämmung mit der Möglichkeit auch die kontrolliere Raumlüftung auszubauen. Ein Nachhaltigkeitszertifikat ist mit dem Denkmalschutz praktisch nicht vereinbar. Letztendlich stellen Wohnlofts nicht einfach einen Trend dar, sondern sind ein Nischenprodukt, das bereits seit 100 Jahren existiert.

Mit dem „Recycling“ ausgedienter  Industrieareale trägt die HIAG unmittelbar zur Landschaftspflege bei. Was ist das grösste Risiko das dabei auf Sie wartet? Bodenaltlasten?

Landschaftspflege insofern, als durch die Entwicklung nicht Grünraum verbraucht wird, sondern bereits früher intensiv genutztes Land. Im Vergleich zu baureifem Grünland fallen dabei zusätzliche Kosten für Rückbau, Altlastenbereinigung und Neuerschliessung an. Verunreinigungen in Bausubstanz und Boden sind gut untersuchbar und daher planbare Kosten des Projekts.

Was ist für Sie denn am wenigsten planbar?

Nicht planbar und damit das grösste Risiko sind Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen während eines Planungsprozesses. Wir haben einen Fall, wo die Neueinführung der Mehrwertabgabe auf Aufzonungen die vorne aufgeführten Mehrkosten nicht berücksichtigen und damit die Besteuerungsbasis faktisch falsch berechnen. Es kann sein, dass wir die Umzonungspläne ad acta legen beziehungsweise uns gegen eine Aufzonung wehren werden, da die Weiterführung der industriellen, damit aber auch immissionsintensiven Nutzung wirtschaftlicher und mit weniger Risiken verbunden ist. Ein anderes Beispiel ist das neue Energiegesetz des Kanton Aargau in Kombination mit der 2014 in Kraft getretene Revision der SIA-Norm 181: Bei der ersten Anwendung der neuen Vorschriften hat sich herausgestellt, dass das betroffene Gebäude über Nacht nicht mehr ausreichend abkühlt um die für die Nutzung zulässige Maximaltemperatur im Inneren nicht zu überschreiten.

Das führt dann wohl zum Wärmestau, oder?

Ja, weil nach wie vor der Fokus auf den winterlichen Wärmeschutz gelegt wird und man entsprechend gezwungen wird, die Gebäude unsinnigerweise zu dämmen und dabei die Sommermonate vernachlässigt. Der Nutzer muss nun im schlimmsten Fall eine zusätzliche Kühlanlage vorsehen. Die Energie die beim Heizen eingespart werden soll wird nun bei der Kühlung verbraucht. Die zusätzliche Investition von rund  einer  Million Franken  hat keinen Effizienzgewinn gebracht, sondern nur zusätzliche Kosten. Immerhin wird in diesem konkreten Fall der Nutzer nicht in den Nachbarkanton ausweichen, da es sich um eine dem Kanton nahestehende Organisation handelt. Die Rechnung zahlt der Steuerzahler.

«Weniger zentral gelegene Regionen und Gemeinden haben aber durchaus ihre Möglichkeiten, attraktive Rahmenbedingungen und ein günstiges Investitionsklima zu schaffen.»

Ihre Areale liegen immer verkehrstechnisch gut erschlossen. Kommt der Jura beispielsweise nie in Frage?

Da die Arealumnutzung mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, sind in peripheren Lagen Entwicklungen auf der grünen Wiese meist konkurrenzfähiger. Weniger zentral gelegene Regionen und Gemeinden haben aber durchaus ihre Möglichkeiten, attraktive Rahmenbedingungen und ein günstiges Investitionsklima zu schaffen. Auch dort ist die Grundlage vorhanden, dass wir Standorte erfolgreich neu positionieren und entwickeln können. Wir schliessen keine Region a priori aus.

Sorgen Sie auch bei der Auswahl der Mieter für einen ausgewogenen sozialen Mix?

Wichtig ist uns, dass die neuen Quartiere langfristig attraktiv sind. Belebung und Vielfalt spielen in der Wahrnehmung der Nutzer dabei eine wichtige Rolle. Das fliesst nicht nur in die Zusammensetzung der Projekte auf einem Areal ein, sondern auch in die Grundrisse und Marktpositionierung der einzelnen Gebäude. Aufgrund der hohen baurechtlichen Anforderungen wird ein Neubau jedoch immer substanziell teurer sein und höhere Mieten aufweisen müssen als ein in die Jahre gekommener Bestandsbau.

Wie gestaltet sich die Planung mit den öffentlichen Behörden?  Was sind da für HIAG regelmässig die grössten Herausforderungen?

Wir arbeiten sehr eng mit den Gemeinden und Behörden zusammen und binden diese in unsere Wettbewerbs- und Planungsverfahren ein. Anhand von Wettbewerbsbeiträgen werden konkrete planungstechnische Fragestellungen sehr effizient und zielführend diskutiert. Angesichts der umfassenden Rekursmöglichkeiten im Bewilligungsverfahren ist uns wichtig, die Projekte auf Ebene Behörden und Denkmalschutz möglichst umfassend abzustimmen. Diese enge Zusammenarbeit hat sich sehr bewährt.

«Wir sehen jedes Areal als Unternehmen, in dem sich die lokale Organisation je nach Aufgabenstellung anders zusammenstellt.»

Jedes Ihrer Grossprojekte hat einen eigenen Areal-CEO. Bis zu welcher Grenze haben diese Entscheidungsfreiheiten?

Im Rahmen einer Arealbeplanung ergeben sich laufend neue Entwicklungen und Erkenntnisse. Es ist sehr wichtig, über den gesamten Planungsprozess zeitnah reagieren und entscheiden zu können. Wir sehen jedes Areal als Unternehmen, in dem sich die lokale Organisation je nach Aufgabenstellung anders zusammenstellt. Der Arealentwickler ist Geschäftsführer dieses Unternehmens und muss im Rahmen der Arealstrategie alle situativ erforderlichen Entscheidungen fällen können.

Das Projekt The Cloud in Baar  mit 99 Eigentumswohnungen soll 2016 fertig sein. Wie läuft denn da bei Quadratmeterpreisen von rund 10‘000 Franken der Verkauf?

Die Nachfrage nach Eigentum ist ungebrochen. Das Projekt ‚The Cloud‘ spricht entsprechend seiner Lage und Architektur ein gehobenes Segment an, wir sind aber nicht im Bereich von sogenannten Luxusobjekten. Wir stellen aber allgemein fest, dass Ab-Plan-Verkäufe abgenommen haben und die Banken die Tragfähigkeit heute sorgfältiger prüfen. Ich halte das für eine gesunde Entwicklung.

Ist der Verkauf von gemischten Nutzungen, wie beispielsweise  im Projekt „Floos“ in Wetzikon einfacher oder schwieriger als ein reines Industriehallen- oder ein reines Wohnobjekt?

Unser Bestreben ist es, den Nutzungsmix auf die Qualitäten der jeweiligen Lage auszurichten. Strassenseitig ist Wohnen beim Projekt Floos zum Beispiel nicht attraktiv, dort sind Verkaufs oder Gewerbeflächen besser vermarktbar. Bei Industrieflächen erfolgt die Vermarktung meist vor der Entwicklung, dort sind es Erreichbarkeit, Entwicklungsmöglichkeit, das Recht auf Immissionen, die einen Standort attraktiv machen. Schnittstellen zu Wohnnutzung führen hier potenziell zu Interessenskonflikten. Die Mischung aus Wohnen und Gewerbe auf einem Areal kann sich im Idealfall auch gegenseitig befruchten, wie der Businesspark und die Wohnprojekte am Kunzareal in Windisch.

Die reine Büronutzung in Ihrem Portfolio liegt unter 10 Prozent. Die durchschnittliche Mietdauer beträgt 19 Jahre, bei steigender Tendenz. Das alles ist ein Stabilitätsanker für Ihr Geschäft. Dennoch: Wo liegen im Augenblick Gefahren für den Immobilienmarkt?

Unsere Ankernutzer sind tatsächlich sehr standortgebunden, sie haben in ihre Mitarbeiter, ihre lokalen Märkte und ihre Anlagen investiert. Sie denken entsprechend langfristig und hinterfragen ihren Standort nicht bei kurzfristigen Marktverwerfungen. Das Besondere am aktuellen Marktumfeld ist sicherlich das Zinsumfeld, vor allem da sich langsam die Erwartung im Markt festsetzt, dass es noch länger anhalten könnte. Der daraus resultierende Anlagenotstand lenkt zusätzliche Mittel in den Immobilienmarkt. Wir konnten vor kurzem eine kleinere attraktive aber leerstehende Büroliegenschaft um fast das doppelte des Wertes verkaufen, den wir Ende letzten Jahres zu Marktwert in den Büchern hatten. Die Bewertung war aus unserer Sicht korrekt, die Zahlungsbereitschaft lässt sich in diesem Fall ausschliesslich mit dem Zinsumfeld erklären. Würden solche Transaktionen in der Breite auftreten, ist auch bei den Bewertungen die Gefahr von Übertreibungen evident. Noch sind diese Transaktionen aber Einzelfälle.

Hiag lässt schon mal Kaufinteressenten mit einer virtuellen-3D-Brille durch ihre künftigen Wohnungen spazieren. Liegt darin die Zukunft des Immobilienverkaufs?

Die Brille ist ein Prototyp. Wir finden es spannend und anregend diese neuen Technologien im Kontext der Wohnungsvermarktung zu testen. Gerade für Käufer einer Wohnung die noch gar nicht gebaut ist, kann diese Anwendung eine wichtige Hilfestellung sein. Ich bin gespannt, wie lange es noch dauert, bis sich die Jury eines Architekturwettbewerbes virtuell durch die Projektbeiträge bewegt. Das schöne am technischen Fortschritt ist, dass wir uns viele Anwendungsfälle noch gar nicht vorstellen können. Bahnbrechende Innovationen mussten nie initiiert, sondern nur zugelassen werden.

Zur Person:
Martin Durchschlag, Jahrgang 1976, übernahm 2011 die Geschäftsführung der HIAG Immobilien. Er stiess 2004 zur HIAG Gruppe und steuerte als CFO den Übergang vom Holzindustriekonzern zum Immobilienunternehmen. Vor seiner Tätigkeit bei der HIAG war er in der strategischen Unternehmensberatung tätig. Martin Durchschlag studierte Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau an der Technischen Universität Wien. Er lebt mit seiner Familie in Basel.

Zum Unternehmen:
Ursprünglich aus der Holzindustrie kommend, spezialisierte sich die HIAG auf die Entwicklung von ehemaligen Industriearealen. Das Immobilien-Portfolio ist sowohl geografisch wie auch bezüglich Nutzungen diversifiziert. Das langfristig ausgerichtete Geschäftsmodell basiert im Wesentlichen auf langfristigen  Mietverträgen mit industriellen, gewerblichen und privaten Mietern sowie dank ganzheitlicher Entwicklungskompetenz auf einer nachhaltigen Wertsteigerung der oft grossen Areale. HIAG Immobilien beschäftigt rund 25 Mitarbeitende und  ging vor etwas mehr als einem Jahr zu einem Kurs von 76 CHF an die Schweizer Börse SIX.

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