Meret Schneider: (K)ein Backlash für Pflanzenbasiertes

Das erste vegane drei-Sterne Restaurant serviert wieder Fleisch. Daniel Humm, der mit seinem Restaurant “Eleven Madison Park” als erster Koch mit einem veganen Konzept drei Sterne erkochte, schreibt nun wieder Fleischgerichte auf die Speisekarte. Klar ist das eine Schlagzeile wert. Klar überschlagen sich da hämische Kommentare und Gastrokritiker mit der süffisanten Überheblichkeit der “Schon-immer-gewusst-Haber” und überbieten sich in ihren gesellschaftlichen Analysen und esskulturell tradierten Gewissheiten. Klar kann auch ich nicht umhin, dem zumindest eine Antithese entgegenzustellen.
Daniel Humm, aufgewachsen in Zürich, hat eine Weltkarriere gemacht: Im Jahr 2005 übernahm der heute 48-Jährige die Art-Déco-Brasserie Eleven Madison Park, erkochte sich in kurzer zeit drei Sterne und erreichte 2017 den Spitzenplatz im Ranking der “World’s 50 Best Restaurants”. Kochen kann der Mann also. Nach den Lockdowns im Jahr 2020 eröffnete Humm das Restaurant mit einem neuen Konzept wieder, um ausschliesslich Gerichte auf pflanzlicher Basis zu servieren. Auch die veganen Gerichte wurden vom Guide Michelin mit drei Sternen ausgezeichnet – die Fonds aus Koji, Morchelbutter aus Sonnenblumenkernen und weitere Kreationen, allesamt aus lokalen Produkten und ohne die klassischen “Ersatzteile”, überzeugten auf ganzer Linie und sorgten für ausgebuchte Abende.
Heute nun, nach viereinhalb Jahren stehen vereinzelt wieder Fleischgerichte auf der Speisekarte; namentlich Muscheln, Hummer oder seine berühmte lackierte Ente. 80% der Gerichte sind jedoch weiterhin vegan, oder, wie man heute zu sagen pflegt: pflanzenbasiert. Und damit sind wir beim Kernpunkt angelangt: Er habe, meinte Daniel Humm, die Schwellenangst der Menschen unterschätzt, ein veganes Restaurant zu betreten. Viele schliessen einen Besuch in einem hochpreisigen Restaurant ohne tierische Produkte im Vornherein aus, was auch eine verpasste Chance darstellt, den Fleischverfechtern den Genuss eines rein pflanzlichen Gerichts zu ermöglichen. Daher habe er sich entschieden, wieder einige ausgewählte tierische Produkte auf die Karte zu schreiben, die Gemüsegerichte aber vegan zu belassen und das Menu zu 80% pflanzlich zu gestalten.
Ist dies nun ein Backlash für die pflanzenbasierte Küche? Der Beweis, dass vegane Gerichte in der gehobenen Gastronomie nicht funktionieren? Oder gar ein Zeichen für die Rückkehr zu klassischen Fleischgerichten und die Abkehr von Themen wie Tierwohl oder Nachhaltigkeit? Mitnichten. Vielmehr zeugt es für mich von einer Normalisierung der pflanzenbasierten Küche, wie es sich auch mit der vegetarischen vollzog. Nach einem ersten Hype, den die vegane Küche erfuhr und der zahlreiche vegane Restaurants, Alternativprodukte und Pop Ups aus dem Boden schiessen liess, wird Pflanzenbasiertes zur Normalität, die man im Restaurant immer öfter gleichberechtigt neben tierischen Gerichten erhält. Der Hype, der viele Probierfreudige in vegane Restaurants lockte und diesen ausgebuchte Abende bescherte, flachte ab, doch vegane Gerichte erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit – nur nicht in der stringenten Konsequenz der Veganerinnen und Veganer. Immer mehr Menschen essen gern öfter pflanzlich, kaufen Alternativprodukte zu Milch und Burger, sagen aber auch zu einem Stück Fleisch ab und zu nicht nein.
Pflanzlich zu essen wird zur Selbstverständlichkeit statt zum politischen Statement, das mit Buttons, Stickern und T-Shirts ostentativ zur Schau getragen werden muss. Man geht in gemischen Gruppen in Restaurants, in denen alle auf ihre Kosten kommen und im Idealfall auch überzeugte Fleischesser von der Schmackhaftigkeit pflanzlicher Gerichte überzeugt werden. Das ist weder eine Rückkehr zum Tier noch ein Armutszeugnis für die vegane Küche, sondern schlicht eine Abkehr vom kulturkämpferischen “Fleisch gegen Pflanzen”, das nur zu Reaktanz und wütenden Onlinekommentaren führt. Je vehementer für den Veganismus gekämpft wird, desto aggressiver die Gegenbewegung – mittlerweile gibt es sogar einen Verein, Carna Libertas, der sich für den Konsum von Fleisch einsetzt und in pflanzlichen Erzeugnissen offenbar eine Bedrohung sieht.
Das Konzept von Daniel Humm – 80% vegan – ist meines Erachtens kein Rückschritt, sondern ein Konzept für die Zukunft. Ohne Bevormundung, ohne das Gefühl, belehrt oder angeleitet zu werden, essen Menschen in einer Selbstverständlichkeit viel mehr pflanzlich, als sie es sonst tun würden – mit Genuss. Das ist die Richtung, in die sich unser Angebot bewegen muss, sei es im Supermarkt oder im Restaurant. Pflanzen als Basis, Tierprodukte als fakultatives Supplement. Damit wäre schon viel mehr getan, als mit dem gefühlt 150. veganen Burger, der schlicht wieder die Antifraktion auf den Plan treibt, die irgendwelche Bezeichnungen einklagt oder meinetwegen Vereine gründet.
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